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Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883.

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Einleitung.
oder Vorgänge zur Kenntniss bringen, so kann man
ihn dieselben entweder selbst beobachten lassen; dann
entfällt aber der Unterricht; oder man muss ihm die
Naturvorgänge auf irgendeine Weise beschreiben, um
ihm die Mühe, jede Erfahrung selbst aufs neue zu
machen, zu ersparen. Die Beschreibung ist aber nur
möglich in Bezug auf Vorgänge, die sich immer wieder-
holen, oder doch nur aus Theilen bestehen, die immer
wiederkehren. Beschrieben, begrifflich in Gedanken
nachgebildet, kann nur werden, was gleichförmig, gesetz-
mässig ist, denn die Beschreibung setzt die Anwendung
von Namen für die Elemente voraus, welche nur bei immer
wiederkehrenden Elementen verständlich sein können.

5. In der Mannigfaltigkeit der Naturvorgänge er-
scheint manches gewöhnlich, anderes ungewöhnlich, ver-
wirrend, überraschend, ja sogar dem Gewöhnlichen
widersprechend. Solange dies der Fall ist, gibt es
keine ruhige einheitliche Naturauffassung. Es entsteht
somit die Aufgabe, die gleichartigen, bei aller Mannig-
faltigkeit stets vorhandenen Elemente der Naturvorgänge
aufzusuchen. Hierdurch wird einerseits die sparsamste,
kürzeste Beschreibung und Mittheilung ermöglicht. Hat
man sich andererseits die Fertigkeit erworben, diese
gleichbleibenden Elemente in den mannigfaltigsten Vor-
gängen wiederzuerkennen, sie in denselben zu sehen,
so führt dies zur übersichtlichen, einheitlichen,
widerspruchslosen und mühelosen Erfassung
der Thatsachen
. Hat man es dahin gebracht, überall
dieselben wenigen einfachen Elemente zu bemerken,
die sich in gewohnter Weise zusammenfügen, so treten
uns diese als etwas Bekanntes entgegen, wir sind nicht
mehr überrascht, es ist uns nichts mehr an den Erschei-
nungen fremd und neu, wir fühlen uns in denselben zu
Hause, sie sind für uns nicht mehr verwirrend, sondern
erklärt. Es ist ein Anpassungsprocess der Gedanken
an die Thatsachen, um den es sich hier handelt.

6. Die Oekonomie der Mittheilung und Auffassung
gehört zum Wesen der Wissenschaft, in ihr liegt das

Einleitung.
oder Vorgänge zur Kenntniss bringen, so kann man
ihn dieselben entweder selbst beobachten lassen; dann
entfällt aber der Unterricht; oder man muss ihm die
Naturvorgänge auf irgendeine Weise beschreiben, um
ihm die Mühe, jede Erfahrung selbst aufs neue zu
machen, zu ersparen. Die Beschreibung ist aber nur
möglich in Bezug auf Vorgänge, die sich immer wieder-
holen, oder doch nur aus Theilen bestehen, die immer
wiederkehren. Beschrieben, begrifflich in Gedanken
nachgebildet, kann nur werden, was gleichförmig, gesetz-
mässig ist, denn die Beschreibung setzt die Anwendung
von Namen für die Elemente voraus, welche nur bei immer
wiederkehrenden Elementen verständlich sein können.

5. In der Mannigfaltigkeit der Naturvorgänge er-
scheint manches gewöhnlich, anderes ungewöhnlich, ver-
wirrend, überraschend, ja sogar dem Gewöhnlichen
widersprechend. Solange dies der Fall ist, gibt es
keine ruhige einheitliche Naturauffassung. Es entsteht
somit die Aufgabe, die gleichartigen, bei aller Mannig-
faltigkeit stets vorhandenen Elemente der Naturvorgänge
aufzusuchen. Hierdurch wird einerseits die sparsamste,
kürzeste Beschreibung und Mittheilung ermöglicht. Hat
man sich andererseits die Fertigkeit erworben, diese
gleichbleibenden Elemente in den mannigfaltigsten Vor-
gängen wiederzuerkennen, sie in denselben zu sehen,
so führt dies zur übersichtlichen, einheitlichen,
widerspruchslosen und mühelosen Erfassung
der Thatsachen
. Hat man es dahin gebracht, überall
dieselben wenigen einfachen Elemente zu bemerken,
die sich in gewohnter Weise zusammenfügen, so treten
uns diese als etwas Bekanntes entgegen, wir sind nicht
mehr überrascht, es ist uns nichts mehr an den Erschei-
nungen fremd und neu, wir fühlen uns in denselben zu
Hause, sie sind für uns nicht mehr verwirrend, sondern
erklärt. Es ist ein Anpassungsprocess der Gedanken
an die Thatsachen, um den es sich hier handelt.

6. Die Oekonomie der Mittheilung und Auffassung
gehört zum Wesen der Wissenschaft, in ihr liegt das

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[5/0017] Einleitung. oder Vorgänge zur Kenntniss bringen, so kann man ihn dieselben entweder selbst beobachten lassen; dann entfällt aber der Unterricht; oder man muss ihm die Naturvorgänge auf irgendeine Weise beschreiben, um ihm die Mühe, jede Erfahrung selbst aufs neue zu machen, zu ersparen. Die Beschreibung ist aber nur möglich in Bezug auf Vorgänge, die sich immer wieder- holen, oder doch nur aus Theilen bestehen, die immer wiederkehren. Beschrieben, begrifflich in Gedanken nachgebildet, kann nur werden, was gleichförmig, gesetz- mässig ist, denn die Beschreibung setzt die Anwendung von Namen für die Elemente voraus, welche nur bei immer wiederkehrenden Elementen verständlich sein können. 5. In der Mannigfaltigkeit der Naturvorgänge er- scheint manches gewöhnlich, anderes ungewöhnlich, ver- wirrend, überraschend, ja sogar dem Gewöhnlichen widersprechend. Solange dies der Fall ist, gibt es keine ruhige einheitliche Naturauffassung. Es entsteht somit die Aufgabe, die gleichartigen, bei aller Mannig- faltigkeit stets vorhandenen Elemente der Naturvorgänge aufzusuchen. Hierdurch wird einerseits die sparsamste, kürzeste Beschreibung und Mittheilung ermöglicht. Hat man sich andererseits die Fertigkeit erworben, diese gleichbleibenden Elemente in den mannigfaltigsten Vor- gängen wiederzuerkennen, sie in denselben zu sehen, so führt dies zur übersichtlichen, einheitlichen, widerspruchslosen und mühelosen Erfassung der Thatsachen. Hat man es dahin gebracht, überall dieselben wenigen einfachen Elemente zu bemerken, die sich in gewohnter Weise zusammenfügen, so treten uns diese als etwas Bekanntes entgegen, wir sind nicht mehr überrascht, es ist uns nichts mehr an den Erschei- nungen fremd und neu, wir fühlen uns in denselben zu Hause, sie sind für uns nicht mehr verwirrend, sondern erklärt. Es ist ein Anpassungsprocess der Gedanken an die Thatsachen, um den es sich hier handelt. 6. Die Oekonomie der Mittheilung und Auffassung gehört zum Wesen der Wissenschaft, in ihr liegt das

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Zitationshilfe: Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/17>, abgerufen am 28.03.2024.