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Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883.

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Erstes Kapitel.
schütterung es ihm verursachte, als er zum ersten mal
hörte, dass eine im magnetischen Meridian liegende
Magnetnadel durch einen über derselben parallel hinge-
führten Stromleiter in einem bestimmten Sinne aus dem
Meridian abgelenkt wird. Das Instinctive ist ebenso
fehlbar wie das klar Bewusste. Es hat vor allem nur
Werth auf einem Gebiet, mit welchem man sehr ver-
traut ist.

Stellen wir uns, statt Mystik zu treiben, lieber die
Frage: Wie entstehen instinctive Erkenntnisse, und was
liegt in ihnen? Was wir an der Natur beobachten, prägt
sich auch unverstanden und unanalysirt in unsern
Vorstellungen aus, welche dann in den allgemeinsten
und stärksten Zügen die Naturvorgänge nachahmen.
Wir besitzen nun in diesen Erfahrungen einen Schatz,
der immer bei der Hand ist, und von welchem nur der
kleinste Theil in den klaren Gedankenreihen enthalten ist.
Der Umstand, dass wir diese Erfahrungen leichter ver-
wenden können als die Natur selbst, und dass sie doch
im angedeuteten Sinn frei von Subjectivität sind, ver-
leiht ihnen einen hohen Werth. Es liegt in der Eigen-
thümlichkeit der instinctiven Erkenntniss, dass sie vor-
wiegend negativer Natur ist. Wir können nicht sowol
sagen, was vorkommen muss, als vielmehr nur was nicht
vorkommen kann, weil nur letzteres mit der unklaren
Erfahrungsmasse, in welcher man das Einzelne nicht
unterscheidet, in grellem Gegensatz steht.

Legen wir den instinctiven Erkenntnissen auch einen
hohen heuristischen Werth bei, so dürfen wir auf unserm
Standpunkte doch bei der Anerkennung ihrer Autorität
nicht stehen bleiben. Wir müsssn vielmehr fragen: Unter
welchen Bedingungen konnte die gegebene instinctive
Erkenntniss entstehen? Gewöhnlich finden wir dann,
dass dasselbe Princip, zu dessen Begründung wir die
instinctive Erkenntniss herangezogen haben, wieder die
Grundbedingung für das Entstehen dieser Erkenntniss
bildet. Das ist auch ganz unverfänglich. Die instinc-
tive Erkenntniss leitet uns zu dem Princip, welches sie

Erstes Kapitel.
schütterung es ihm verursachte, als er zum ersten mal
hörte, dass eine im magnetischen Meridian liegende
Magnetnadel durch einen über derselben parallel hinge-
führten Stromleiter in einem bestimmten Sinne aus dem
Meridian abgelenkt wird. Das Instinctive ist ebenso
fehlbar wie das klar Bewusste. Es hat vor allem nur
Werth auf einem Gebiet, mit welchem man sehr ver-
traut ist.

Stellen wir uns, statt Mystik zu treiben, lieber die
Frage: Wie entstehen instinctive Erkenntnisse, und was
liegt in ihnen? Was wir an der Natur beobachten, prägt
sich auch unverstanden und unanalysirt in unsern
Vorstellungen aus, welche dann in den allgemeinsten
und stärksten Zügen die Naturvorgänge nachahmen.
Wir besitzen nun in diesen Erfahrungen einen Schatz,
der immer bei der Hand ist, und von welchem nur der
kleinste Theil in den klaren Gedankenreihen enthalten ist.
Der Umstand, dass wir diese Erfahrungen leichter ver-
wenden können als die Natur selbst, und dass sie doch
im angedeuteten Sinn frei von Subjectivität sind, ver-
leiht ihnen einen hohen Werth. Es liegt in der Eigen-
thümlichkeit der instinctiven Erkenntniss, dass sie vor-
wiegend negativer Natur ist. Wir können nicht sowol
sagen, was vorkommen muss, als vielmehr nur was nicht
vorkommen kann, weil nur letzteres mit der unklaren
Erfahrungsmasse, in welcher man das Einzelne nicht
unterscheidet, in grellem Gegensatz steht.

Legen wir den instinctiven Erkenntnissen auch einen
hohen heuristischen Werth bei, so dürfen wir auf unserm
Standpunkte doch bei der Anerkennung ihrer Autorität
nicht stehen bleiben. Wir müsssn vielmehr fragen: Unter
welchen Bedingungen konnte die gegebene instinctive
Erkenntniss entstehen? Gewöhnlich finden wir dann,
dass dasselbe Princip, zu dessen Begründung wir die
instinctive Erkenntniss herangezogen haben, wieder die
Grundbedingung für das Entstehen dieser Erkenntniss
bildet. Das ist auch ganz unverfänglich. Die instinc-
tive Erkenntniss leitet uns zu dem Princip, welches sie

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[26/0038] Erstes Kapitel. schütterung es ihm verursachte, als er zum ersten mal hörte, dass eine im magnetischen Meridian liegende Magnetnadel durch einen über derselben parallel hinge- führten Stromleiter in einem bestimmten Sinne aus dem Meridian abgelenkt wird. Das Instinctive ist ebenso fehlbar wie das klar Bewusste. Es hat vor allem nur Werth auf einem Gebiet, mit welchem man sehr ver- traut ist. Stellen wir uns, statt Mystik zu treiben, lieber die Frage: Wie entstehen instinctive Erkenntnisse, und was liegt in ihnen? Was wir an der Natur beobachten, prägt sich auch unverstanden und unanalysirt in unsern Vorstellungen aus, welche dann in den allgemeinsten und stärksten Zügen die Naturvorgänge nachahmen. Wir besitzen nun in diesen Erfahrungen einen Schatz, der immer bei der Hand ist, und von welchem nur der kleinste Theil in den klaren Gedankenreihen enthalten ist. Der Umstand, dass wir diese Erfahrungen leichter ver- wenden können als die Natur selbst, und dass sie doch im angedeuteten Sinn frei von Subjectivität sind, ver- leiht ihnen einen hohen Werth. Es liegt in der Eigen- thümlichkeit der instinctiven Erkenntniss, dass sie vor- wiegend negativer Natur ist. Wir können nicht sowol sagen, was vorkommen muss, als vielmehr nur was nicht vorkommen kann, weil nur letzteres mit der unklaren Erfahrungsmasse, in welcher man das Einzelne nicht unterscheidet, in grellem Gegensatz steht. Legen wir den instinctiven Erkenntnissen auch einen hohen heuristischen Werth bei, so dürfen wir auf unserm Standpunkte doch bei der Anerkennung ihrer Autorität nicht stehen bleiben. Wir müsssn vielmehr fragen: Unter welchen Bedingungen konnte die gegebene instinctive Erkenntniss entstehen? Gewöhnlich finden wir dann, dass dasselbe Princip, zu dessen Begründung wir die instinctive Erkenntniss herangezogen haben, wieder die Grundbedingung für das Entstehen dieser Erkenntniss bildet. Das ist auch ganz unverfänglich. Die instinc- tive Erkenntniss leitet uns zu dem Princip, welches sie

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Zitationshilfe: Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/38>, abgerufen am 23.04.2024.