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[N. N.]: Hofzimmer der Klugen. Übers. v. Georg Martzi. Frankfurt (Main), 1692.

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sie zu andern Lastern tragen. Es ist ein
grosses Ubel/ wann man das Böse hasset/
und doch das Gute nicht liebet.

XX.

Nichts ist seltzamer und doch zugleich
wahrer/ als daß diejenigen Laster/ welche
der Tugend am gleichsten sehen/ diejenigen
sind/ die man am meisten fliehen muß/ dann
sie seynd tausendmahl gefährlicher/ als die
andern. Ein Feind/ welcher sich unter dem
Schein einer auffrichtigen und warhaffti-
gen Freundschafft verbirget/ ist vielmehr zu
fürchten/ als ein offenbahrer Feind. Wir
werden den angemaßten Tugenden unsehl-
barlich in die Hände fallen/ wann wir un-
ser Hertz nicht von allen Gattungen der Be-
gierden und Passionen reinigen.

XXI.

Die vornehmste Geschicklichkeit des Le-
bens bestehet darinn/ daß man das Gute
erkennet und lieben kan. Die Sorgen/
Bekümmernüssen und Mühseligkeiten ge-
hen durch diese zwey Spälte in die Seele/
und unser gantzes Unglück komt entweder
daher/ daß wir übel von den Sachen urthei-
len/ oder daher/ daß wir unsere Liebe nicht
wol reguliren. Die Passion macht/ daß

wir

ſie zu andern Laſtern tragen. Es iſt ein
groſſes Ubel/ wann man das Boͤſe haſſet/
und doch das Gute nicht liebet.

XX.

Nichts iſt ſeltzamer und doch zugleich
wahrer/ als daß diejenigen Laſter/ welche
der Tugend am gleichſten ſehen/ diejenigen
ſind/ die man am meiſten fliehen muß/ dann
ſie ſeynd tauſendmahl gefaͤhrlicher/ als die
andern. Ein Feind/ welcher ſich unter dem
Schein einer auffrichtigen und warhaffti-
gen Freundſchafft verbirget/ iſt vielmehr zu
fuͤrchten/ als ein offenbahrer Feind. Wir
werden den angemaßten Tugenden unſehl-
barlich in die Haͤnde fallen/ wann wir un-
ſer Hertz nicht von allen Gattungen der Be-
gierden und Paſſionen reinigen.

XXI.

Die vornehmſte Geſchicklichkeit des Le-
bens beſtehet darinn/ daß man das Gute
erkennet und lieben kan. Die Sorgen/
Bekuͤmmernuͤſſen und Muͤhſeligkeiten ge-
hen durch dieſe zwey Spaͤlte in die Seele/
und unſer gantzes Ungluͤck komt entweder
daher/ daß wir uͤbel von den Sachen urthei-
len/ oder daher/ daß wir unſere Liebe nicht
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[116[106]/0117] ſie zu andern Laſtern tragen. Es iſt ein groſſes Ubel/ wann man das Boͤſe haſſet/ und doch das Gute nicht liebet. XX. Nichts iſt ſeltzamer und doch zugleich wahrer/ als daß diejenigen Laſter/ welche der Tugend am gleichſten ſehen/ diejenigen ſind/ die man am meiſten fliehen muß/ dann ſie ſeynd tauſendmahl gefaͤhrlicher/ als die andern. Ein Feind/ welcher ſich unter dem Schein einer auffrichtigen und warhaffti- gen Freundſchafft verbirget/ iſt vielmehr zu fuͤrchten/ als ein offenbahrer Feind. Wir werden den angemaßten Tugenden unſehl- barlich in die Haͤnde fallen/ wann wir un- ſer Hertz nicht von allen Gattungen der Be- gierden und Paſſionen reinigen. XXI. Die vornehmſte Geſchicklichkeit des Le- bens beſtehet darinn/ daß man das Gute erkennet und lieben kan. Die Sorgen/ Bekuͤmmernuͤſſen und Muͤhſeligkeiten ge- hen durch dieſe zwey Spaͤlte in die Seele/ und unſer gantzes Ungluͤck komt entweder daher/ daß wir uͤbel von den Sachen urthei- len/ oder daher/ daß wir unſere Liebe nicht wol reguliren. Die Paſſion macht/ daß wir

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Zitationshilfe: [N. N.]: Hofzimmer der Klugen. Übers. v. Georg Martzi. Frankfurt (Main), 1692, S. 116[106]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martzi_klugen_1692/117>, abgerufen am 29.04.2024.