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Marx, Karl: Das Kapital. Buch III: Der Gesammtprocess d. Kapitalist. Produktion. Kapitel XXIX-LII. Hamburg, 1894.

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Der gewöhnlichen Anschauung erscheinen diese Vertheilungs-
verhältnisse als Naturverhältnisse, als Verhältnisse, die aus der
Natur aller gesellschaftlichen Produktion, aus den Gesetzen der
menschlichen Produktion schlechthin entspringen. Es kann zwar
nicht geleugnet werden, dass vorkapitalistische Gesellschaften andre
Vertheilungsweisen zeigen, aber diese werden dann als unentwickelte,
unvollkommene und verkleidete, nicht auf ihren reinsten Ausdruck
und ihre höchste Gestalt reducirte, anders gefärbte Weisen jener
naturgemäßen Vertheilungsverhältnisse gedeutet.

Das einzig Richtige in dieser Vorstellung ist dies: Gesellschaft-
liche Produktion irgend einer Art (z. B. die der naturwüchsigen
indischen Gemeinwesen oder die des mehr künstlich entwickelten
Kommunismus der Peruaner) vorausgesetzt, kann stets unterschieden
werden zwischen dem Theil der Arbeit, dessen Produkt unmittelbar
von den Producenten und ihren Angehörigen individuell konsumirt
wird, und -- abgesehn von dem Theil der der produktiven Kon-
sumtion anheimfällt -- einem andern Theil der Arbeit, der immer
Mehrarbeit ist, dessen Produkt stets zur Befriedigung allgemeiner
gesellschaftlicher Bedürfnisse dient, wie immer dies Mehrprodukt
vertheilt werde, und wer immer als Repräsentant dieser gesell-
schaftlichen Bedürfnisse fungire. Die Identität der verschiednen
Vertheilungsweisen kommt also darauf hinaus, dass sie identisch
sind, wenn man von ihren Unterscheidungen und specifischen Formen
abstrahirt, nur die Einheit in ihnen, im Gegensatz zu ihrem Unter-
schied festhält.

Weiter gebildetes, mehr kritisches Bewusstsein gibt jedoch den
geschichtlich entwickelten Charakter der Vertheilungsverhältnisse
zu56), hält dafür aber um so fester an dem sich gleichbleibenden,
aus der menschlichen Natur entspringenden, und daher von aller
geschichtlichen Entwicklung unabhängigen Charakter der Produk-
tionsverhältnisse selbst.

Die wissenschaftliche Analyse der kapitalistischen Produktions-
weise beweist dagegen umgekehrt, dass sie eine Produktionsweise
von besondrer Art, von specifischer historischer Bestimmtheit ist;
dass sie, wie jede andre bestimmte Produktionsweise, eine gegebne
Stufe der gesellschaftlichen Produktivkräfte und ihrer Entwicklungs-
formen als ihre geschichtliche Bedingung voraussetzt: eine Be-
dingung, die selbst das geschichtliche Resultat und Produkt eines
vorhergegangnen Processes ist, und wovon die neue Produktions-

56) J. Stuart Mill: Some Unsettled Questions in Pol. Econ. London 1844.

Der gewöhnlichen Anschauung erscheinen diese Vertheilungs-
verhältnisse als Naturverhältnisse, als Verhältnisse, die aus der
Natur aller gesellschaftlichen Produktion, aus den Gesetzen der
menschlichen Produktion schlechthin entspringen. Es kann zwar
nicht geleugnet werden, dass vorkapitalistische Gesellschaften andre
Vertheilungsweisen zeigen, aber diese werden dann als unentwickelte,
unvollkommene und verkleidete, nicht auf ihren reinsten Ausdruck
und ihre höchste Gestalt reducirte, anders gefärbte Weisen jener
naturgemäßen Vertheilungsverhältnisse gedeutet.

Das einzig Richtige in dieser Vorstellung ist dies: Gesellschaft-
liche Produktion irgend einer Art (z. B. die der naturwüchsigen
indischen Gemeinwesen oder die des mehr künstlich entwickelten
Kommunismus der Peruaner) vorausgesetzt, kann stets unterschieden
werden zwischen dem Theil der Arbeit, dessen Produkt unmittelbar
von den Producenten und ihren Angehörigen individuell konsumirt
wird, und — abgesehn von dem Theil der der produktiven Kon-
sumtion anheimfällt — einem andern Theil der Arbeit, der immer
Mehrarbeit ist, dessen Produkt stets zur Befriedigung allgemeiner
gesellschaftlicher Bedürfnisse dient, wie immer dies Mehrprodukt
vertheilt werde, und wer immer als Repräsentant dieser gesell-
schaftlichen Bedürfnisse fungire. Die Identität der verschiednen
Vertheilungsweisen kommt also darauf hinaus, dass sie identisch
sind, wenn man von ihren Unterscheidungen und specifischen Formen
abstrahirt, nur die Einheit in ihnen, im Gegensatz zu ihrem Unter-
schied festhält.

Weiter gebildetes, mehr kritisches Bewusstsein gibt jedoch den
geschichtlich entwickelten Charakter der Vertheilungsverhältnisse
zu56), hält dafür aber um so fester an dem sich gleichbleibenden,
aus der menschlichen Natur entspringenden, und daher von aller
geschichtlichen Entwicklung unabhängigen Charakter der Produk-
tionsverhältnisse selbst.

Die wissenschaftliche Analyse der kapitalistischen Produktions-
weise beweist dagegen umgekehrt, dass sie eine Produktionsweise
von besondrer Art, von specifischer historischer Bestimmtheit ist;
dass sie, wie jede andre bestimmte Produktionsweise, eine gegebne
Stufe der gesellschaftlichen Produktivkräfte und ihrer Entwicklungs-
formen als ihre geschichtliche Bedingung voraussetzt: eine Be-
dingung, die selbst das geschichtliche Resultat und Produkt eines
vorhergegangnen Processes ist, und wovon die neue Produktions-

56) J. Stuart Mill: Some Unsettled Questions in Pol. Econ. London 1844.
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[414/0423] Der gewöhnlichen Anschauung erscheinen diese Vertheilungs- verhältnisse als Naturverhältnisse, als Verhältnisse, die aus der Natur aller gesellschaftlichen Produktion, aus den Gesetzen der menschlichen Produktion schlechthin entspringen. Es kann zwar nicht geleugnet werden, dass vorkapitalistische Gesellschaften andre Vertheilungsweisen zeigen, aber diese werden dann als unentwickelte, unvollkommene und verkleidete, nicht auf ihren reinsten Ausdruck und ihre höchste Gestalt reducirte, anders gefärbte Weisen jener naturgemäßen Vertheilungsverhältnisse gedeutet. Das einzig Richtige in dieser Vorstellung ist dies: Gesellschaft- liche Produktion irgend einer Art (z. B. die der naturwüchsigen indischen Gemeinwesen oder die des mehr künstlich entwickelten Kommunismus der Peruaner) vorausgesetzt, kann stets unterschieden werden zwischen dem Theil der Arbeit, dessen Produkt unmittelbar von den Producenten und ihren Angehörigen individuell konsumirt wird, und — abgesehn von dem Theil der der produktiven Kon- sumtion anheimfällt — einem andern Theil der Arbeit, der immer Mehrarbeit ist, dessen Produkt stets zur Befriedigung allgemeiner gesellschaftlicher Bedürfnisse dient, wie immer dies Mehrprodukt vertheilt werde, und wer immer als Repräsentant dieser gesell- schaftlichen Bedürfnisse fungire. Die Identität der verschiednen Vertheilungsweisen kommt also darauf hinaus, dass sie identisch sind, wenn man von ihren Unterscheidungen und specifischen Formen abstrahirt, nur die Einheit in ihnen, im Gegensatz zu ihrem Unter- schied festhält. Weiter gebildetes, mehr kritisches Bewusstsein gibt jedoch den geschichtlich entwickelten Charakter der Vertheilungsverhältnisse zu 56), hält dafür aber um so fester an dem sich gleichbleibenden, aus der menschlichen Natur entspringenden, und daher von aller geschichtlichen Entwicklung unabhängigen Charakter der Produk- tionsverhältnisse selbst. Die wissenschaftliche Analyse der kapitalistischen Produktions- weise beweist dagegen umgekehrt, dass sie eine Produktionsweise von besondrer Art, von specifischer historischer Bestimmtheit ist; dass sie, wie jede andre bestimmte Produktionsweise, eine gegebne Stufe der gesellschaftlichen Produktivkräfte und ihrer Entwicklungs- formen als ihre geschichtliche Bedingung voraussetzt: eine Be- dingung, die selbst das geschichtliche Resultat und Produkt eines vorhergegangnen Processes ist, und wovon die neue Produktions- 56) J. Stuart Mill: Some Unsettled Questions in Pol. Econ. London 1844.

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Zitationshilfe: Marx, Karl: Das Kapital. Buch III: Der Gesammtprocess d. Kapitalist. Produktion. Kapitel XXIX-LII. Hamburg, 1894, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital0302_1894/423>, abgerufen am 19.04.2024.