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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

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"So ist ein großer, ein sehr großer Fehler vorge-
kommen!"

"Welcher?"

"Du hast Vorposten gestellt nach Baadri und Kaloni
hin, aber nicht nach Ain Sifni zu."

"Dorther werden die Türken nicht kommen. Die Leute
von Ain Sifni würden es uns verraten."

"Aber wenn die Türken nicht nach Ain Sifni gehen,
sondern bei Dscheraijah den Khausser überschreiten und
dann zwischen Ain Sifni und hier das Thal zu erreichen
suchen? Mir scheint, sie würden dann dieselbe Richtung
nehmen, in der sich dort jene Lichter bewegen. Siehe, sie
sind bereits wieder nach links vorgerückt!"

"Emir, deine Vermutung ist vielleicht die richtige. Ich
werde sofort mehrere Wachen vorschicken!"

"Und ich werde mir einmal diese Sterne näher be-
trachten. Hast du einen Mann, der diese Gegend genau
kennt?"

"Niemand kennt sie besser als Selek."

"Er ist ein guter Reiter; er soll mich führen!"

Wir stiegen so schnell wie möglich hinab. Der letztere
Teil der Unterredung war von uns leise geführt worden,
so daß niemand, und besonders auch der Baschi-Bozuk
nicht, etwas davon vernommen hatte. Selek war bald ge-
funden; er erhielt ein Pferd und nahm seine Waffen zu
sich. Auch Halef mußte mit. Ich konnte mich auf ihn
mehr als auf jeden andern verlassen. Zwanzig Minuten
später, nachdem ich den Stern zuerst gesehen hatte, jagten
wir auf dem Wege nach Ain Sifni dahin. Auf der nächsten
Höhe blieben wir halten. Ich musterte das Halbdunkel
vor uns und sah endlich das Aufleuchten wieder. Ich
machte Selek auf dasselbe aufmerksam.

"Emir, das ist kein Stern, das sind auch keine

„So iſt ein großer, ein ſehr großer Fehler vorge-
kommen!“

„Welcher?“

„Du haſt Vorpoſten geſtellt nach Baadri und Kaloni
hin, aber nicht nach Aïn Sifni zu.“

„Dorther werden die Türken nicht kommen. Die Leute
von Aïn Sifni würden es uns verraten.“

„Aber wenn die Türken nicht nach Aïn Sifni gehen,
ſondern bei Dſcheraijah den Khauſſer überſchreiten und
dann zwiſchen Aïn Sifni und hier das Thal zu erreichen
ſuchen? Mir ſcheint, ſie würden dann dieſelbe Richtung
nehmen, in der ſich dort jene Lichter bewegen. Siehe, ſie
ſind bereits wieder nach links vorgerückt!“

„Emir, deine Vermutung iſt vielleicht die richtige. Ich
werde ſofort mehrere Wachen vorſchicken!“

„Und ich werde mir einmal dieſe Sterne näher be-
trachten. Haſt du einen Mann, der dieſe Gegend genau
kennt?“

„Niemand kennt ſie beſſer als Selek.“

„Er iſt ein guter Reiter; er ſoll mich führen!“

Wir ſtiegen ſo ſchnell wie möglich hinab. Der letztere
Teil der Unterredung war von uns leiſe geführt worden,
ſo daß niemand, und beſonders auch der Baſchi-Bozuk
nicht, etwas davon vernommen hatte. Selek war bald ge-
funden; er erhielt ein Pferd und nahm ſeine Waffen zu
ſich. Auch Halef mußte mit. Ich konnte mich auf ihn
mehr als auf jeden andern verlaſſen. Zwanzig Minuten
ſpäter, nachdem ich den Stern zuerſt geſehen hatte, jagten
wir auf dem Wege nach Aïn Sifni dahin. Auf der nächſten
Höhe blieben wir halten. Ich muſterte das Halbdunkel
vor uns und ſah endlich das Aufleuchten wieder. Ich
machte Selek auf dasſelbe aufmerkſam.

„Emir, das iſt kein Stern, das ſind auch keine

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[19/0033] „So iſt ein großer, ein ſehr großer Fehler vorge- kommen!“ „Welcher?“ „Du haſt Vorpoſten geſtellt nach Baadri und Kaloni hin, aber nicht nach Aïn Sifni zu.“ „Dorther werden die Türken nicht kommen. Die Leute von Aïn Sifni würden es uns verraten.“ „Aber wenn die Türken nicht nach Aïn Sifni gehen, ſondern bei Dſcheraijah den Khauſſer überſchreiten und dann zwiſchen Aïn Sifni und hier das Thal zu erreichen ſuchen? Mir ſcheint, ſie würden dann dieſelbe Richtung nehmen, in der ſich dort jene Lichter bewegen. Siehe, ſie ſind bereits wieder nach links vorgerückt!“ „Emir, deine Vermutung iſt vielleicht die richtige. Ich werde ſofort mehrere Wachen vorſchicken!“ „Und ich werde mir einmal dieſe Sterne näher be- trachten. Haſt du einen Mann, der dieſe Gegend genau kennt?“ „Niemand kennt ſie beſſer als Selek.“ „Er iſt ein guter Reiter; er ſoll mich führen!“ Wir ſtiegen ſo ſchnell wie möglich hinab. Der letztere Teil der Unterredung war von uns leiſe geführt worden, ſo daß niemand, und beſonders auch der Baſchi-Bozuk nicht, etwas davon vernommen hatte. Selek war bald ge- funden; er erhielt ein Pferd und nahm ſeine Waffen zu ſich. Auch Halef mußte mit. Ich konnte mich auf ihn mehr als auf jeden andern verlaſſen. Zwanzig Minuten ſpäter, nachdem ich den Stern zuerſt geſehen hatte, jagten wir auf dem Wege nach Aïn Sifni dahin. Auf der nächſten Höhe blieben wir halten. Ich muſterte das Halbdunkel vor uns und ſah endlich das Aufleuchten wieder. Ich machte Selek auf dasſelbe aufmerkſam. „Emir, das iſt kein Stern, das ſind auch keine

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Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/33>, abgerufen am 18.04.2024.