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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

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diesen Giaurs aufzunehmen. Aber wir haben in der Frühe
erfahren, daß die Christen bereits moslemitische Einwohner
von Zawitha, Minijanisch, Murghi und Lizan getötet
haben, und hier in der Nähe von Seraruh sind einige
Häuser weggebrannt worden. Wir ritten dir entgegen,
damit du diese Kunde so bald wie möglich empfangen
solltest."

"So kommt. Wir wollen sehen, was davon zu glau-
ben ist!"

Wir ritten im scharfen Tempo die Höhe hinunter
und kamen bald an die Stelle, wo der Weg sich nach dem
obern und dem untern Dorfe zu teilt. Wir schlugen die
erstere Richtung ein, da der Bey in dem oberen Dorfe
ein Haus besaß. Er wurde an demselben von einer Schar
Kurden erwartet, welche mit langen Lanzen und vielen
kurzen Wurfspießen bewaffnet waren. Es war die Jagd-
gesellschaft.

Wir stiegen ab, und der Aufseher des Hauses brachte
uns Speise und Trank herbei. Während wir uns labten,
hielt der Bey draußen vor dem Hause ein Verhör bezüg-
lich der Unruhen der Nestorianer. Das Ergebnis des-
selben schien ein sehr befriedigendes zu sein, denn als er
bei uns eintrat, lächelte er wie ein Mann, der unnötiger-
weise belästigt worden ist.

"Ist Gefahr vorhanden?" fragte ich ihn.

"Gar nicht. Diese Nestorah haben uns verlassen, um
hinfort keine Dscherum *) mehr bezahlen zu müssen, und
da drüben bei Seraruh ist ein altes Haus verbrannt.
Nun reden diese Memmen von Aufstand und Blutvergießen,
während die Giaurs doch froh sind, wenn wir sie unge-
schoren lassen. Kommt; ich habe Befehl zum Aufbruch
gegeben. Wir reiten nach Seraruh zu, und da haben wir

*) Geldstrafen.

dieſen Giaurs aufzunehmen. Aber wir haben in der Frühe
erfahren, daß die Chriſten bereits moslemitiſche Einwohner
von Zawitha, Minijaniſch, Murghi und Lizan getötet
haben, und hier in der Nähe von Seraruh ſind einige
Häuſer weggebrannt worden. Wir ritten dir entgegen,
damit du dieſe Kunde ſo bald wie möglich empfangen
ſollteſt.“

„So kommt. Wir wollen ſehen, was davon zu glau-
ben iſt!“

Wir ritten im ſcharfen Tempo die Höhe hinunter
und kamen bald an die Stelle, wo der Weg ſich nach dem
obern und dem untern Dorfe zu teilt. Wir ſchlugen die
erſtere Richtung ein, da der Bey in dem oberen Dorfe
ein Haus beſaß. Er wurde an demſelben von einer Schar
Kurden erwartet, welche mit langen Lanzen und vielen
kurzen Wurfſpießen bewaffnet waren. Es war die Jagd-
geſellſchaft.

Wir ſtiegen ab, und der Aufſeher des Hauſes brachte
uns Speiſe und Trank herbei. Während wir uns labten,
hielt der Bey draußen vor dem Hauſe ein Verhör bezüg-
lich der Unruhen der Neſtorianer. Das Ergebnis des-
ſelben ſchien ein ſehr befriedigendes zu ſein, denn als er
bei uns eintrat, lächelte er wie ein Mann, der unnötiger-
weiſe beläſtigt worden iſt.

„Iſt Gefahr vorhanden?“ fragte ich ihn.

„Gar nicht. Dieſe Neſtorah haben uns verlaſſen, um
hinfort keine Dſcherum *) mehr bezahlen zu müſſen, und
da drüben bei Seraruh iſt ein altes Haus verbrannt.
Nun reden dieſe Memmen von Aufſtand und Blutvergießen,
während die Giaurs doch froh ſind, wenn wir ſie unge-
ſchoren laſſen. Kommt; ich habe Befehl zum Aufbruch
gegeben. Wir reiten nach Seraruh zu, und da haben wir

*) Geldſtrafen.
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[441/0455] dieſen Giaurs aufzunehmen. Aber wir haben in der Frühe erfahren, daß die Chriſten bereits moslemitiſche Einwohner von Zawitha, Minijaniſch, Murghi und Lizan getötet haben, und hier in der Nähe von Seraruh ſind einige Häuſer weggebrannt worden. Wir ritten dir entgegen, damit du dieſe Kunde ſo bald wie möglich empfangen ſollteſt.“ „So kommt. Wir wollen ſehen, was davon zu glau- ben iſt!“ Wir ritten im ſcharfen Tempo die Höhe hinunter und kamen bald an die Stelle, wo der Weg ſich nach dem obern und dem untern Dorfe zu teilt. Wir ſchlugen die erſtere Richtung ein, da der Bey in dem oberen Dorfe ein Haus beſaß. Er wurde an demſelben von einer Schar Kurden erwartet, welche mit langen Lanzen und vielen kurzen Wurfſpießen bewaffnet waren. Es war die Jagd- geſellſchaft. Wir ſtiegen ab, und der Aufſeher des Hauſes brachte uns Speiſe und Trank herbei. Während wir uns labten, hielt der Bey draußen vor dem Hauſe ein Verhör bezüg- lich der Unruhen der Neſtorianer. Das Ergebnis des- ſelben ſchien ein ſehr befriedigendes zu ſein, denn als er bei uns eintrat, lächelte er wie ein Mann, der unnötiger- weiſe beläſtigt worden iſt. „Iſt Gefahr vorhanden?“ fragte ich ihn. „Gar nicht. Dieſe Neſtorah haben uns verlaſſen, um hinfort keine Dſcherum *) mehr bezahlen zu müſſen, und da drüben bei Seraruh iſt ein altes Haus verbrannt. Nun reden dieſe Memmen von Aufſtand und Blutvergießen, während die Giaurs doch froh ſind, wenn wir ſie unge- ſchoren laſſen. Kommt; ich habe Befehl zum Aufbruch gegeben. Wir reiten nach Seraruh zu, und da haben wir *) Geldſtrafen.

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Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 441. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/455>, abgerufen am 23.04.2024.