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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
dem die staatliche Behörde, die darüber steht, berufen ist, auch die
durch solche Gewohnheit geschaffene Ordnung anzuerkennen und zu
handhaben, wird diese rechtsverbindlich und zu einer Rechtsquelle für
die Ordnung öffentlichrechtlicher Verhältnisse23.

Die Wirksamkeit des Gewohnheitsrechts ist auch innerhalb dieses
engen Kreises beschränkt durch sein Verhältnis zum Gesetz. Die
Richtung unserer Rechtsentwicklung geht unverkennbar dahin, das
Gewohnheitsrecht durch gesetztes Recht zu verdrängen. Wenn für
das Civil- und Strafrecht hier und da Gewohnheitsrecht gänzlich aus-
geschlossen wird, auch bloss ergänzendes, so gilt das nicht ohne
weiteres auch für das Verwaltungsrecht. Wohl aber verallgemeinert
sich von selbst die in Civilgesetzbüchern etwa ausgesprochene Un-
zulässigkeit des aufhebenden (derogatorischen) Gewohnheitsrechts;
denn das gesetzte Recht ist unmöglich auf dem Gebiete der Ver-
waltung seiner Kraft nach geringer. Vielleicht darf diese Unzulässig-
keit jetzt schon als ein allgemeingültiger, selbstverständlicher Grund-
satz angesehen werden24.

Dadurch tritt das Gewohnheitsrecht allerdings ziemlich stark
zurück. Es besteht thatsächlich nur für die vernachlässigten Ge-
biete des öffentlichen Rechts. Es sind fast nur noch jene unbeholfenen
und unfertigen Gebilde der Schul-, Wege-, Brücken-, Kirchenlasten-
Verbände, für welche Gewohnheitsrecht zur Ordnung ihrer inneren
Verhältnisse in Betracht kommt25.

§ 11.
Das Verwaltungsrechtsinstitut und die Scheidung vom Civilrecht.

I. Das Rechtsinstitut ist ein Hülfsmittel der Rechtswissen-
schaft zur Beherrschung der Fülle von Stoff, welche die Rechtsbe-
ziehungen der von ihr beobachteten Rechtssubjekte darbieten. Sie
führt darin das Ganze zurück auf gleichbleibende Einheiten, in deren
ständiger Wiederholung es besteht.

23 Beispiele in O.Tr. 16. Dez. 1870 (Str. 80 S. 179), 18. April 1871 (Str. 81
S. 286); O.V.G. 29. Jan. 1879, 18. März 1880, 15. Mai 1886, 22. Mai 1886,
29. Okt. 1887, 12. Mai 1888.
24 Laband, St.R. I S. 580; Mot. z. Entw. d. bürg. Ges.B. I S. 3 ff.; O.V.G.
22. Mai 1886, 14. Sept. 1887.
25 Darüber das Nähere in der Lehre von den öffentlichen Lasten. -- Das
allmähliche Zurückweichen des Gewohnheitsrechts auch auf diesem engen Gebiete
ist nicht zu verkennen; G. Meyer, St.R. I S. 6; v. Stengel, V.R. S. 29; Leut-
hold,
Sächs. V.R. S. 68; Schulze, St.R. I S. 11.

Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
dem die staatliche Behörde, die darüber steht, berufen ist, auch die
durch solche Gewohnheit geschaffene Ordnung anzuerkennen und zu
handhaben, wird diese rechtsverbindlich und zu einer Rechtsquelle für
die Ordnung öffentlichrechtlicher Verhältnisse23.

Die Wirksamkeit des Gewohnheitsrechts ist auch innerhalb dieses
engen Kreises beschränkt durch sein Verhältnis zum Gesetz. Die
Richtung unserer Rechtsentwicklung geht unverkennbar dahin, das
Gewohnheitsrecht durch gesetztes Recht zu verdrängen. Wenn für
das Civil- und Strafrecht hier und da Gewohnheitsrecht gänzlich aus-
geschlossen wird, auch bloſs ergänzendes, so gilt das nicht ohne
weiteres auch für das Verwaltungsrecht. Wohl aber verallgemeinert
sich von selbst die in Civilgesetzbüchern etwa ausgesprochene Un-
zulässigkeit des aufhebenden (derogatorischen) Gewohnheitsrechts;
denn das gesetzte Recht ist unmöglich auf dem Gebiete der Ver-
waltung seiner Kraft nach geringer. Vielleicht darf diese Unzulässig-
keit jetzt schon als ein allgemeingültiger, selbstverständlicher Grund-
satz angesehen werden24.

Dadurch tritt das Gewohnheitsrecht allerdings ziemlich stark
zurück. Es besteht thatsächlich nur für die vernachlässigten Ge-
biete des öffentlichen Rechts. Es sind fast nur noch jene unbeholfenen
und unfertigen Gebilde der Schul-, Wege-, Brücken-, Kirchenlasten-
Verbände, für welche Gewohnheitsrecht zur Ordnung ihrer inneren
Verhältnisse in Betracht kommt25.

§ 11.
Das Verwaltungsrechtsinstitut und die Scheidung vom Civilrecht.

I. Das Rechtsinstitut ist ein Hülfsmittel der Rechtswissen-
schaft zur Beherrschung der Fülle von Stoff, welche die Rechtsbe-
ziehungen der von ihr beobachteten Rechtssubjekte darbieten. Sie
führt darin das Ganze zurück auf gleichbleibende Einheiten, in deren
ständiger Wiederholung es besteht.

23 Beispiele in O.Tr. 16. Dez. 1870 (Str. 80 S. 179), 18. April 1871 (Str. 81
S. 286); O.V.G. 29. Jan. 1879, 18. März 1880, 15. Mai 1886, 22. Mai 1886,
29. Okt. 1887, 12. Mai 1888.
24 Laband, St.R. I S. 580; Mot. z. Entw. d. bürg. Ges.B. I S. 3 ff.; O.V.G.
22. Mai 1886, 14. Sept. 1887.
25 Darüber das Nähere in der Lehre von den öffentlichen Lasten. — Das
allmähliche Zurückweichen des Gewohnheitsrechts auch auf diesem engen Gebiete
ist nicht zu verkennen; G. Meyer, St.R. I S. 6; v. Stengel, V.R. S. 29; Leut-
hold,
Sächs. V.R. S. 68; Schulze, St.R. I S. 11.
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[134/0154] Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung. dem die staatliche Behörde, die darüber steht, berufen ist, auch die durch solche Gewohnheit geschaffene Ordnung anzuerkennen und zu handhaben, wird diese rechtsverbindlich und zu einer Rechtsquelle für die Ordnung öffentlichrechtlicher Verhältnisse 23. Die Wirksamkeit des Gewohnheitsrechts ist auch innerhalb dieses engen Kreises beschränkt durch sein Verhältnis zum Gesetz. Die Richtung unserer Rechtsentwicklung geht unverkennbar dahin, das Gewohnheitsrecht durch gesetztes Recht zu verdrängen. Wenn für das Civil- und Strafrecht hier und da Gewohnheitsrecht gänzlich aus- geschlossen wird, auch bloſs ergänzendes, so gilt das nicht ohne weiteres auch für das Verwaltungsrecht. Wohl aber verallgemeinert sich von selbst die in Civilgesetzbüchern etwa ausgesprochene Un- zulässigkeit des aufhebenden (derogatorischen) Gewohnheitsrechts; denn das gesetzte Recht ist unmöglich auf dem Gebiete der Ver- waltung seiner Kraft nach geringer. Vielleicht darf diese Unzulässig- keit jetzt schon als ein allgemeingültiger, selbstverständlicher Grund- satz angesehen werden 24. Dadurch tritt das Gewohnheitsrecht allerdings ziemlich stark zurück. Es besteht thatsächlich nur für die vernachlässigten Ge- biete des öffentlichen Rechts. Es sind fast nur noch jene unbeholfenen und unfertigen Gebilde der Schul-, Wege-, Brücken-, Kirchenlasten- Verbände, für welche Gewohnheitsrecht zur Ordnung ihrer inneren Verhältnisse in Betracht kommt 25. § 11. Das Verwaltungsrechtsinstitut und die Scheidung vom Civilrecht. I. Das Rechtsinstitut ist ein Hülfsmittel der Rechtswissen- schaft zur Beherrschung der Fülle von Stoff, welche die Rechtsbe- ziehungen der von ihr beobachteten Rechtssubjekte darbieten. Sie führt darin das Ganze zurück auf gleichbleibende Einheiten, in deren ständiger Wiederholung es besteht. 23 Beispiele in O.Tr. 16. Dez. 1870 (Str. 80 S. 179), 18. April 1871 (Str. 81 S. 286); O.V.G. 29. Jan. 1879, 18. März 1880, 15. Mai 1886, 22. Mai 1886, 29. Okt. 1887, 12. Mai 1888. 24 Laband, St.R. I S. 580; Mot. z. Entw. d. bürg. Ges.B. I S. 3 ff.; O.V.G. 22. Mai 1886, 14. Sept. 1887. 25 Darüber das Nähere in der Lehre von den öffentlichen Lasten. — Das allmähliche Zurückweichen des Gewohnheitsrechts auch auf diesem engen Gebiete ist nicht zu verkennen; G. Meyer, St.R. I S. 6; v. Stengel, V.R. S. 29; Leut- hold, Sächs. V.R. S. 68; Schulze, St.R. I S. 11.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/154>, abgerufen am 28.03.2024.