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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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§ 15. Umfang der Rechtskraft.
Das ist aber alles nur die Folge der Wirkung, welche die Rechts-
kraft hat für die Partei, für den Unterthanen, über welchen der
Akt ergangen ist. Für diesen begründet sie ein Recht an dem Akte;
und zwar besteht das Recht darin, dass der Akt zu seinem Nachteil
nicht geändert werden darf, indem ihm weniger gegeben oder mehr
genommen würde, als dieser bestimmt. In dieser einfachen Gestalt
wirkt die Rechtskraft bei der einseitigen Rechtspflege. Bei der zwei-
seitigen erscheint auch eine zweiseitige Rechtskraft: der Akt
ist von entgegengesetzten Seiten her gebunden; das Recht des Klägers
verhindert eine Verminderung dessen, was der Beklagte zu leisten
hat, das des Beklagten eine Erhöhung. Auf diese Weise wirkt die
Rechtskraft mittelbar zwischen den Parteien: sie wirkt zu
Gunsten der einen gegen die andere, indem sie die öffentliche Gewalt
in dieser Richtung bindet. Die unmittelbare Wirkung geht immer
gegen die gebundene öffentliche Gewalt.

2. Die Partei, für welche die Rechtskraft wirkt, ist im civil-
gerichtlichem Urteil stets genannt. Dass sie im Verfahren gehörig
beteiligt gewesen sei, ist nur Gültigkeitsbedingung des Urteils. In
der Verwaltungsrechtspflege findet nicht durchweg eine förmliche Fest-
stellung der Parteieigenschaft im Urteil selbst statt; vor allem aber
gehen in der Verwaltung Urteile und einfache Verwaltungsakte für
die nämlichen Sachen neben einander; es kann sogar ein und derselbe
Akt für den einen ein Urteil sein, für den andern ein einfacher Ver-
waltungsakt.

Deshalb wird es hier für die Frage, wer Partei war und für wen
die Rechtskraft wirkt, von solcher Wichtigkeit, ob thatsächlich eine
Beteiligung als Partei stattfand. Dazu genügt nicht, dass
jemand, der ein Interesse an der Sache hat, vor Erlassung des Aktes
gehört worden ist; das kann auch bei einfachen Verwaltungsakten
geschehen. Es ist notwendig, dass er gerade als Partei aufgetreten
ist oder wenigstens in die Parteirolle gesetzt war, mochte er dann
davon weiter Gebrauch machen oder nicht.

Das kann erkennbar werden an gewissen Formen des Auf-
tretens oder der Zuziehung, durch welche das Gesetz gerade die
Parteirolle kennzeichnet. Soweit solche Formen nicht gegeben sind,
genügt es, dass jemand durch das Gesetz für die Sache als Partei
berufen ist und eine thatsächliche Beteiligung stattgehabt hat durch
freiwilliges Auftreten oder eine Zuziehung irgend welcher Art, die

-- Das gleiche dürfen wir annehmen, wenn Bernatzik, Rechtskraft S. 117 und
118, "die Organe der öffentlichen Gewalt" als die Gebundenen erklärt.

§ 15. Umfang der Rechtskraft.
Das ist aber alles nur die Folge der Wirkung, welche die Rechts-
kraft hat für die Partei, für den Unterthanen, über welchen der
Akt ergangen ist. Für diesen begründet sie ein Recht an dem Akte;
und zwar besteht das Recht darin, daſs der Akt zu seinem Nachteil
nicht geändert werden darf, indem ihm weniger gegeben oder mehr
genommen würde, als dieser bestimmt. In dieser einfachen Gestalt
wirkt die Rechtskraft bei der einseitigen Rechtspflege. Bei der zwei-
seitigen erscheint auch eine zweiseitige Rechtskraft: der Akt
ist von entgegengesetzten Seiten her gebunden; das Recht des Klägers
verhindert eine Verminderung dessen, was der Beklagte zu leisten
hat, das des Beklagten eine Erhöhung. Auf diese Weise wirkt die
Rechtskraft mittelbar zwischen den Parteien: sie wirkt zu
Gunsten der einen gegen die andere, indem sie die öffentliche Gewalt
in dieser Richtung bindet. Die unmittelbare Wirkung geht immer
gegen die gebundene öffentliche Gewalt.

2. Die Partei, für welche die Rechtskraft wirkt, ist im civil-
gerichtlichem Urteil stets genannt. Daſs sie im Verfahren gehörig
beteiligt gewesen sei, ist nur Gültigkeitsbedingung des Urteils. In
der Verwaltungsrechtspflege findet nicht durchweg eine förmliche Fest-
stellung der Parteieigenschaft im Urteil selbst statt; vor allem aber
gehen in der Verwaltung Urteile und einfache Verwaltungsakte für
die nämlichen Sachen neben einander; es kann sogar ein und derselbe
Akt für den einen ein Urteil sein, für den andern ein einfacher Ver-
waltungsakt.

Deshalb wird es hier für die Frage, wer Partei war und für wen
die Rechtskraft wirkt, von solcher Wichtigkeit, ob thatsächlich eine
Beteiligung als Partei stattfand. Dazu genügt nicht, daſs
jemand, der ein Interesse an der Sache hat, vor Erlassung des Aktes
gehört worden ist; das kann auch bei einfachen Verwaltungsakten
geschehen. Es ist notwendig, daſs er gerade als Partei aufgetreten
ist oder wenigstens in die Parteirolle gesetzt war, mochte er dann
davon weiter Gebrauch machen oder nicht.

Das kann erkennbar werden an gewissen Formen des Auf-
tretens oder der Zuziehung, durch welche das Gesetz gerade die
Parteirolle kennzeichnet. Soweit solche Formen nicht gegeben sind,
genügt es, daſs jemand durch das Gesetz für die Sache als Partei
berufen ist und eine thatsächliche Beteiligung stattgehabt hat durch
freiwilliges Auftreten oder eine Zuziehung irgend welcher Art, die

— Das gleiche dürfen wir annehmen, wenn Bernatzik, Rechtskraft S. 117 und
118, „die Organe der öffentlichen Gewalt“ als die Gebundenen erklärt.
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[197/0217] § 15. Umfang der Rechtskraft. Das ist aber alles nur die Folge der Wirkung, welche die Rechts- kraft hat für die Partei, für den Unterthanen, über welchen der Akt ergangen ist. Für diesen begründet sie ein Recht an dem Akte; und zwar besteht das Recht darin, daſs der Akt zu seinem Nachteil nicht geändert werden darf, indem ihm weniger gegeben oder mehr genommen würde, als dieser bestimmt. In dieser einfachen Gestalt wirkt die Rechtskraft bei der einseitigen Rechtspflege. Bei der zwei- seitigen erscheint auch eine zweiseitige Rechtskraft: der Akt ist von entgegengesetzten Seiten her gebunden; das Recht des Klägers verhindert eine Verminderung dessen, was der Beklagte zu leisten hat, das des Beklagten eine Erhöhung. Auf diese Weise wirkt die Rechtskraft mittelbar zwischen den Parteien: sie wirkt zu Gunsten der einen gegen die andere, indem sie die öffentliche Gewalt in dieser Richtung bindet. Die unmittelbare Wirkung geht immer gegen die gebundene öffentliche Gewalt. 2. Die Partei, für welche die Rechtskraft wirkt, ist im civil- gerichtlichem Urteil stets genannt. Daſs sie im Verfahren gehörig beteiligt gewesen sei, ist nur Gültigkeitsbedingung des Urteils. In der Verwaltungsrechtspflege findet nicht durchweg eine förmliche Fest- stellung der Parteieigenschaft im Urteil selbst statt; vor allem aber gehen in der Verwaltung Urteile und einfache Verwaltungsakte für die nämlichen Sachen neben einander; es kann sogar ein und derselbe Akt für den einen ein Urteil sein, für den andern ein einfacher Ver- waltungsakt. Deshalb wird es hier für die Frage, wer Partei war und für wen die Rechtskraft wirkt, von solcher Wichtigkeit, ob thatsächlich eine Beteiligung als Partei stattfand. Dazu genügt nicht, daſs jemand, der ein Interesse an der Sache hat, vor Erlassung des Aktes gehört worden ist; das kann auch bei einfachen Verwaltungsakten geschehen. Es ist notwendig, daſs er gerade als Partei aufgetreten ist oder wenigstens in die Parteirolle gesetzt war, mochte er dann davon weiter Gebrauch machen oder nicht. Das kann erkennbar werden an gewissen Formen des Auf- tretens oder der Zuziehung, durch welche das Gesetz gerade die Parteirolle kennzeichnet. Soweit solche Formen nicht gegeben sind, genügt es, daſs jemand durch das Gesetz für die Sache als Partei berufen ist und eine thatsächliche Beteiligung stattgehabt hat durch freiwilliges Auftreten oder eine Zuziehung irgend welcher Art, die 3 3 — Das gleiche dürfen wir annehmen, wenn Bernatzik, Rechtskraft S. 117 und 118, „die Organe der öffentlichen Gewalt“ als die Gebundenen erklärt.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/217>, abgerufen am 24.04.2024.