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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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Die Polizeigewalt.
umfasste die Polizei zunächst nur einen beschränkten Kreis von
Gegenständen, die in den Reichs- und Landes-Polizeiordnungen mit
ziemlicher Regelmässigkeit wiederkehren4.

Im Übergang zur neueren Zeit aber nimmt sie einen mächtigen
Aufschwung; sie ist es geradezu, die den Staat in seinem ganzen
Verhältnis zum Unterthanen kennzeichnet: Heer und Justiz bleiben
selbständig, alles, was daneben zur inneren Festigung und Stärkung
des Gemeinwesens geschehen kann, ist Polizei, die rastlos neue Mittel
und Wege findet und von der sich entwickelnden Kameralwissenschaft
Anleitung dazu erhält5. Alles aber, was die Obrigkeit erspriesslich
findet, dazu hat sie jetzt auch das Recht, um es nötigenfalls gewalt-
sam durchzusetzen (oben § 4).

Der heutige Begriff der Polizei bedeutet demgegenüber eine Ein-
schränkung und festere Abgrenzung.

1. Schon im alten Rechte macht sich ein gewisser Widerstand
bemerkbar. Das Naturrecht, welches die Staatsgewalt über alle
Schranken hinweggetragen hatte, sucht man nun wieder anzurufen, um
der Polizei ein Mass zu setzen. Auf die damit verbundene Zwangs-
gewalt
kommt es an; man benutzt bald die eine, bald die andere
Einteilung, um sie zurückzudrängen.

Die Rechtsphilosophie stellt den Satz auf, dass die Staatsgewalt
Zwang nur anwenden dürfe zur "Erhaltung des Sicherheitszustandes",
nicht dagegen zur "Mehrung der Vollkommenheit ihrer Bürger".
Daraus folgert man einen Unterschied zwischen Sicherheits- und
Wohlfahrtspolizei,
indem nur die erstere mit Zwangsgewalt aus-
gerüstet wäre6.

(die gleichen Dinge als "Ordnung und Constitution für die Bauersleut"); Bd. V
S. 98 finden sich die bekannten "Polizei-Ausreuter", wesentlich bestimmt, die
städtische Nahrung gegen das platte Land zu schützen; es handelt sich um "das
Polizeiwesen und das davon dependirende Wohlsein der Einwohner in Städten".
4 v. Berg, Deutsch. Pol.R. I S. 50.
5 Justi, Pol.W. Einl. § 2; Moser, Landeshoh. in Pol.S. c. I § 2; Lotz,
Begriff der Pol. u. Umfang der Staatsgewalt § 7: "Unter Polizei kann unmöglich
etwas anderes verstanden werden als die direkte Selbstthätigkeit der Staatsregierung
für die Erreichung des Staatszweckes seinem ganzen Umfange nach". Auch die
Post ist z. B. "Polizeiangelegenheit": Moser, St.R. V S. 174; Justi, a. a. O.
§ 71. In gewissem Masse auch die "Vorsorge für die Verwaltung der Gerechtig-
keit": Justi, a. a. O. § 844.
6 Die Unterscheidung selbst ist ziemlich allgemein, manchmal schon in die Be-
griffsbestimmung der Polizei aufgenommen: Moser, Landeshoh. in Pol.S. c. I § 2;
Leist, St.R. § 152. Die Folgerung bezüglich der Zulässigkeit des Zwangs wird
gezogen von Hufeland, Naturrecht § 394; volkstümlicher die Schrift Demophilos

Die Polizeigewalt.
umfaſste die Polizei zunächst nur einen beschränkten Kreis von
Gegenständen, die in den Reichs- und Landes-Polizeiordnungen mit
ziemlicher Regelmäſsigkeit wiederkehren4.

Im Übergang zur neueren Zeit aber nimmt sie einen mächtigen
Aufschwung; sie ist es geradezu, die den Staat in seinem ganzen
Verhältnis zum Unterthanen kennzeichnet: Heer und Justiz bleiben
selbständig, alles, was daneben zur inneren Festigung und Stärkung
des Gemeinwesens geschehen kann, ist Polizei, die rastlos neue Mittel
und Wege findet und von der sich entwickelnden Kameralwissenschaft
Anleitung dazu erhält5. Alles aber, was die Obrigkeit ersprieſslich
findet, dazu hat sie jetzt auch das Recht, um es nötigenfalls gewalt-
sam durchzusetzen (oben § 4).

Der heutige Begriff der Polizei bedeutet demgegenüber eine Ein-
schränkung und festere Abgrenzung.

1. Schon im alten Rechte macht sich ein gewisser Widerstand
bemerkbar. Das Naturrecht, welches die Staatsgewalt über alle
Schranken hinweggetragen hatte, sucht man nun wieder anzurufen, um
der Polizei ein Maſs zu setzen. Auf die damit verbundene Zwangs-
gewalt
kommt es an; man benutzt bald die eine, bald die andere
Einteilung, um sie zurückzudrängen.

Die Rechtsphilosophie stellt den Satz auf, daſs die Staatsgewalt
Zwang nur anwenden dürfe zur „Erhaltung des Sicherheitszustandes“,
nicht dagegen zur „Mehrung der Vollkommenheit ihrer Bürger“.
Daraus folgert man einen Unterschied zwischen Sicherheits- und
Wohlfahrtspolizei,
indem nur die erstere mit Zwangsgewalt aus-
gerüstet wäre6.

(die gleichen Dinge als „Ordnung und Constitution für die Bauersleut“); Bd. V
S. 98 finden sich die bekannten „Polizei-Ausreuter“, wesentlich bestimmt, die
städtische Nahrung gegen das platte Land zu schützen; es handelt sich um „das
Polizeiwesen und das davon dependirende Wohlsein der Einwohner in Städten“.
4 v. Berg, Deutsch. Pol.R. I S. 50.
5 Justi, Pol.W. Einl. § 2; Moser, Landeshoh. in Pol.S. c. I § 2; Lotz,
Begriff der Pol. u. Umfang der Staatsgewalt § 7: „Unter Polizei kann unmöglich
etwas anderes verstanden werden als die direkte Selbstthätigkeit der Staatsregierung
für die Erreichung des Staatszweckes seinem ganzen Umfange nach“. Auch die
Post ist z. B. „Polizeiangelegenheit“: Moser, St.R. V S. 174; Justi, a. a. O.
§ 71. In gewissem Maſse auch die „Vorsorge für die Verwaltung der Gerechtig-
keit“: Justi, a. a. O. § 844.
6 Die Unterscheidung selbst ist ziemlich allgemein, manchmal schon in die Be-
griffsbestimmung der Polizei aufgenommen: Moser, Landeshoh. in Pol.S. c. I § 2;
Leist, St.R. § 152. Die Folgerung bezüglich der Zulässigkeit des Zwangs wird
gezogen von Hufeland, Naturrecht § 394; volkstümlicher die Schrift Demophilos
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[246/0266] Die Polizeigewalt. umfaſste die Polizei zunächst nur einen beschränkten Kreis von Gegenständen, die in den Reichs- und Landes-Polizeiordnungen mit ziemlicher Regelmäſsigkeit wiederkehren 4. Im Übergang zur neueren Zeit aber nimmt sie einen mächtigen Aufschwung; sie ist es geradezu, die den Staat in seinem ganzen Verhältnis zum Unterthanen kennzeichnet: Heer und Justiz bleiben selbständig, alles, was daneben zur inneren Festigung und Stärkung des Gemeinwesens geschehen kann, ist Polizei, die rastlos neue Mittel und Wege findet und von der sich entwickelnden Kameralwissenschaft Anleitung dazu erhält 5. Alles aber, was die Obrigkeit ersprieſslich findet, dazu hat sie jetzt auch das Recht, um es nötigenfalls gewalt- sam durchzusetzen (oben § 4). Der heutige Begriff der Polizei bedeutet demgegenüber eine Ein- schränkung und festere Abgrenzung. 1. Schon im alten Rechte macht sich ein gewisser Widerstand bemerkbar. Das Naturrecht, welches die Staatsgewalt über alle Schranken hinweggetragen hatte, sucht man nun wieder anzurufen, um der Polizei ein Maſs zu setzen. Auf die damit verbundene Zwangs- gewalt kommt es an; man benutzt bald die eine, bald die andere Einteilung, um sie zurückzudrängen. Die Rechtsphilosophie stellt den Satz auf, daſs die Staatsgewalt Zwang nur anwenden dürfe zur „Erhaltung des Sicherheitszustandes“, nicht dagegen zur „Mehrung der Vollkommenheit ihrer Bürger“. Daraus folgert man einen Unterschied zwischen Sicherheits- und Wohlfahrtspolizei, indem nur die erstere mit Zwangsgewalt aus- gerüstet wäre 6. 3 4 v. Berg, Deutsch. Pol.R. I S. 50. 5 Justi, Pol.W. Einl. § 2; Moser, Landeshoh. in Pol.S. c. I § 2; Lotz, Begriff der Pol. u. Umfang der Staatsgewalt § 7: „Unter Polizei kann unmöglich etwas anderes verstanden werden als die direkte Selbstthätigkeit der Staatsregierung für die Erreichung des Staatszweckes seinem ganzen Umfange nach“. Auch die Post ist z. B. „Polizeiangelegenheit“: Moser, St.R. V S. 174; Justi, a. a. O. § 71. In gewissem Maſse auch die „Vorsorge für die Verwaltung der Gerechtig- keit“: Justi, a. a. O. § 844. 6 Die Unterscheidung selbst ist ziemlich allgemein, manchmal schon in die Be- griffsbestimmung der Polizei aufgenommen: Moser, Landeshoh. in Pol.S. c. I § 2; Leist, St.R. § 152. Die Folgerung bezüglich der Zulässigkeit des Zwangs wird gezogen von Hufeland, Naturrecht § 394; volkstümlicher die Schrift Demophilos 3 (die gleichen Dinge als „Ordnung und Constitution für die Bauersleut“); Bd. V S. 98 finden sich die bekannten „Polizei-Ausreuter“, wesentlich bestimmt, die städtische Nahrung gegen das platte Land zu schützen; es handelt sich um „das Polizeiwesen und das davon dependirende Wohlsein der Einwohner in Städten“.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/266>, abgerufen am 19.04.2024.