Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

Bild:
<< vorherige Seite
§ 20. Der Polizeibefehl.
§ 20.
Der Polizeibefehl.

Befehl ist die auf einem Abhängigkeitsverhältnis beruhende
Willenserklärung zu bindender Bestimmung des Verhaltens des Unter-
gebenen. Öffentlichrechtlich ist der Befehl, wenn das zu Grunde
liegende Abhängigkeitsverhältnis das des Unterthanen gegenüber der
öffentlichen Gewalt ist.

Befehle können sich auf ein besonderes Gewaltverhältnis gründen,
in welchem der Betroffene zum Staate steht. Diese Befehle fallen
unter den Begriff der Anweisung, welche eben die Geltendmachung
solcher besonderer Pflichten bedeutet (vgl. oben § 8, S. 101 ff.); Dienst-
befehle, Anstaltsordnungen sind Beispiele.

Andere Befehle ergehen ohne die Voraussetzung eines besonderen
persönlichen Verhältnisses, aus der allgemeinen Machtvollkommenheit
der öffentlichen Gewalt schlechthin. Das sind reine obrigkeit-
liche Befehle
1.

Der Polizeibefehl ist ein solcher obrigkeitlicher Befehl der letzteren
Art. Er unterscheidet sich von den anderen Arten obrigkeitlicher
Befehle dadurch, dass er erlassen wird zur Geltendmachung der all-
gemeinen Unterthanenpflicht,
die gute Ordnung des Gemein-
wesens nicht zu stören. Seinen Inhalt nimmt er daher von dieser
Pflicht. Aber seine Wirkung beruht auf der selbständig verpflichten-
den Kraft des Willens der öffentlichen Gewalt, die in ihm erscheint.

Die Bedeutung des Polizeibefehls ist eine doppelte.

den, den sie bei sich aufnehmen, binnen 24 Stunden der Polizeibehörde anzuzeigen.
O.L.G. Colmar 31. März 1886 (Jurist. Ztschft. f. E.L. 11 S. 256) erklärt das für
begründet durch die allgemeine gesetzliche Befugnis der Bezirkspräsidenten, Polizei-
vorschriften zu erlassen "für die Erhaltung der öffentlichen Sicherheit". Fran-
zösischen Juristen wäre eine solche polizeiliche Anordnung bedenklich gewesen
(Trolley, hierarchie adm. I n. 380); sie würde auch nach unsern obigen Aus-
führungen (oben II n. 2) nur geschehen können auf Grundlage einer allgemeinen
Verdächtigkeit der betroffenen Haushaltungen, wie sie gegenüber dem Gewerbe-
betrieb der Gast- und Logierhäuser bestehen mag. Das O.L.G. begründet sie aber
als eine Hülfeleistung, welche die Verwaltung muss fordern können, um sich "die-
jenige Kenntnis des Personenverkehrs zu verschaffen, welche sie zur Erfüllung der
ihr in den bezeichneten Gebieten obliegenden Pflichten für notwendig erachtet".
Das ist ganz die alte Formel des Polizeistaats, vgl. oben § 4 Note 6. Heutzutage ist
eine solche Lastauflegung nicht mehr in der Polizeigewalt begriffen.
1 Loening, V.R. S. 241. Der bestimmte und kraftvolle Begriff des Befehls
wird verflacht, wenn man die verschiedenartigsten Dinge unter diesem Namen zu-
sammenfasst (G. Meyer, V.R. I S. 32) oder ihn wenigstens überall "immanent"
finden will (Seligmann, Begr. d. Ges. S. 29; Bernatzik, Rechtskraft S. 11).
§ 20. Der Polizeibefehl.
§ 20.
Der Polizeibefehl.

Befehl ist die auf einem Abhängigkeitsverhältnis beruhende
Willenserklärung zu bindender Bestimmung des Verhaltens des Unter-
gebenen. Öffentlichrechtlich ist der Befehl, wenn das zu Grunde
liegende Abhängigkeitsverhältnis das des Unterthanen gegenüber der
öffentlichen Gewalt ist.

Befehle können sich auf ein besonderes Gewaltverhältnis gründen,
in welchem der Betroffene zum Staate steht. Diese Befehle fallen
unter den Begriff der Anweisung, welche eben die Geltendmachung
solcher besonderer Pflichten bedeutet (vgl. oben § 8, S. 101 ff.); Dienst-
befehle, Anstaltsordnungen sind Beispiele.

Andere Befehle ergehen ohne die Voraussetzung eines besonderen
persönlichen Verhältnisses, aus der allgemeinen Machtvollkommenheit
der öffentlichen Gewalt schlechthin. Das sind reine obrigkeit-
liche Befehle
1.

Der Polizeibefehl ist ein solcher obrigkeitlicher Befehl der letzteren
Art. Er unterscheidet sich von den anderen Arten obrigkeitlicher
Befehle dadurch, daſs er erlassen wird zur Geltendmachung der all-
gemeinen Unterthanenpflicht,
die gute Ordnung des Gemein-
wesens nicht zu stören. Seinen Inhalt nimmt er daher von dieser
Pflicht. Aber seine Wirkung beruht auf der selbständig verpflichten-
den Kraft des Willens der öffentlichen Gewalt, die in ihm erscheint.

Die Bedeutung des Polizeibefehls ist eine doppelte.

den, den sie bei sich aufnehmen, binnen 24 Stunden der Polizeibehörde anzuzeigen.
O.L.G. Colmar 31. März 1886 (Jurist. Ztschft. f. E.L. 11 S. 256) erklärt das für
begründet durch die allgemeine gesetzliche Befugnis der Bezirkspräsidenten, Polizei-
vorschriften zu erlassen „für die Erhaltung der öffentlichen Sicherheit“. Fran-
zösischen Juristen wäre eine solche polizeiliche Anordnung bedenklich gewesen
(Trolley, hiérarchie adm. I n. 380); sie würde auch nach unsern obigen Aus-
führungen (oben II n. 2) nur geschehen können auf Grundlage einer allgemeinen
Verdächtigkeit der betroffenen Haushaltungen, wie sie gegenüber dem Gewerbe-
betrieb der Gast- und Logierhäuser bestehen mag. Das O.L.G. begründet sie aber
als eine Hülfeleistung, welche die Verwaltung muſs fordern können, um sich „die-
jenige Kenntnis des Personenverkehrs zu verschaffen, welche sie zur Erfüllung der
ihr in den bezeichneten Gebieten obliegenden Pflichten für notwendig erachtet“.
Das ist ganz die alte Formel des Polizeistaats, vgl. oben § 4 Note 6. Heutzutage ist
eine solche Lastauflegung nicht mehr in der Polizeigewalt begriffen.
1 Loening, V.R. S. 241. Der bestimmte und kraftvolle Begriff des Befehls
wird verflacht, wenn man die verschiedenartigsten Dinge unter diesem Namen zu-
sammenfaſst (G. Meyer, V.R. I S. 32) oder ihn wenigstens überall „immanent“
finden will (Seligmann, Begr. d. Ges. S. 29; Bernatzik, Rechtskraft S. 11).
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0291" n="271"/>
            <fw place="top" type="header">§ 20. Der Polizeibefehl.</fw><lb/>
            <div n="4">
              <head>§ 20.<lb/><hi rendition="#b">Der Polizeibefehl.</hi></head><lb/>
              <p><hi rendition="#g">Befehl</hi> ist die auf einem Abhängigkeitsverhältnis beruhende<lb/>
Willenserklärung zu bindender Bestimmung des Verhaltens des Unter-<lb/>
gebenen. <hi rendition="#g">Öffentlichrechtlich</hi> ist der Befehl, wenn das zu Grunde<lb/>
liegende Abhängigkeitsverhältnis das des Unterthanen gegenüber der<lb/>
öffentlichen Gewalt ist.</p><lb/>
              <p>Befehle können sich auf ein besonderes Gewaltverhältnis gründen,<lb/>
in welchem der Betroffene zum Staate steht. Diese Befehle fallen<lb/>
unter den Begriff der <hi rendition="#g">Anweisung,</hi> welche eben die Geltendmachung<lb/>
solcher besonderer Pflichten bedeutet (vgl. oben § 8, S. 101 ff.); Dienst-<lb/>
befehle, Anstaltsordnungen sind Beispiele.</p><lb/>
              <p>Andere Befehle ergehen ohne die Voraussetzung eines besonderen<lb/>
persönlichen Verhältnisses, aus der allgemeinen Machtvollkommenheit<lb/>
der öffentlichen Gewalt schlechthin. Das sind <hi rendition="#g">reine obrigkeit-<lb/>
liche Befehle</hi><note place="foot" n="1"><hi rendition="#g">Loening,</hi> V.R. S. 241. Der bestimmte und kraftvolle Begriff des Befehls<lb/>
wird verflacht, wenn man die verschiedenartigsten Dinge unter diesem Namen zu-<lb/>
sammenfa&#x017F;st (G. <hi rendition="#g">Meyer,</hi> V.R. I S. 32) oder ihn wenigstens überall &#x201E;immanent&#x201C;<lb/>
finden will (<hi rendition="#g">Seligmann,</hi> Begr. d. Ges. S. 29; <hi rendition="#g">Bernatzik,</hi> Rechtskraft S. 11).</note>.</p><lb/>
              <p>Der Polizeibefehl ist ein solcher obrigkeitlicher Befehl der letzteren<lb/>
Art. Er unterscheidet sich von den anderen Arten obrigkeitlicher<lb/>
Befehle dadurch, da&#x017F;s er erlassen wird zur Geltendmachung der <hi rendition="#g">all-<lb/>
gemeinen Unterthanenpflicht,</hi> die gute Ordnung des Gemein-<lb/>
wesens nicht zu stören. Seinen <hi rendition="#g">Inhalt</hi> nimmt er daher von dieser<lb/>
Pflicht. Aber seine <hi rendition="#g">Wirkung</hi> beruht auf der selbständig verpflichten-<lb/>
den Kraft des Willens der öffentlichen Gewalt, die in ihm erscheint.</p><lb/>
              <p>Die <hi rendition="#g">Bedeutung</hi> des Polizeibefehls ist eine doppelte.</p><lb/>
              <p>
                <note xml:id="seg2pn_60_2" prev="#seg2pn_60_1" place="foot" n="15">den, den sie bei sich aufnehmen, binnen 24 Stunden der Polizeibehörde anzuzeigen.<lb/>
O.L.G. Colmar 31. März 1886 (Jurist. Ztschft. f. E.L. 11 S. 256) erklärt das für<lb/>
begründet durch die allgemeine gesetzliche Befugnis der Bezirkspräsidenten, Polizei-<lb/>
vorschriften zu erlassen &#x201E;für die Erhaltung der öffentlichen Sicherheit&#x201C;. Fran-<lb/>
zösischen Juristen wäre eine solche polizeiliche Anordnung bedenklich gewesen<lb/>
(<hi rendition="#g">Trolley,</hi> hiérarchie adm. I n. 380); sie würde auch nach unsern obigen Aus-<lb/>
führungen (oben II n. 2) nur geschehen können auf Grundlage einer allgemeinen<lb/>
Verdächtigkeit der betroffenen Haushaltungen, wie sie gegenüber dem Gewerbe-<lb/>
betrieb der Gast- und Logierhäuser bestehen mag. Das O.L.G. begründet sie aber<lb/>
als eine Hülfeleistung, welche die Verwaltung mu&#x017F;s fordern können, um sich &#x201E;die-<lb/>
jenige Kenntnis des Personenverkehrs zu verschaffen, welche sie zur Erfüllung der<lb/>
ihr in den bezeichneten Gebieten obliegenden Pflichten für notwendig erachtet&#x201C;.<lb/>
Das ist ganz die alte Formel des Polizeistaats, vgl. oben § 4 Note 6. Heutzutage ist<lb/>
eine solche Lastauflegung nicht mehr in der Polizeigewalt begriffen.</note>
              </p><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[271/0291] § 20. Der Polizeibefehl. § 20. Der Polizeibefehl. Befehl ist die auf einem Abhängigkeitsverhältnis beruhende Willenserklärung zu bindender Bestimmung des Verhaltens des Unter- gebenen. Öffentlichrechtlich ist der Befehl, wenn das zu Grunde liegende Abhängigkeitsverhältnis das des Unterthanen gegenüber der öffentlichen Gewalt ist. Befehle können sich auf ein besonderes Gewaltverhältnis gründen, in welchem der Betroffene zum Staate steht. Diese Befehle fallen unter den Begriff der Anweisung, welche eben die Geltendmachung solcher besonderer Pflichten bedeutet (vgl. oben § 8, S. 101 ff.); Dienst- befehle, Anstaltsordnungen sind Beispiele. Andere Befehle ergehen ohne die Voraussetzung eines besonderen persönlichen Verhältnisses, aus der allgemeinen Machtvollkommenheit der öffentlichen Gewalt schlechthin. Das sind reine obrigkeit- liche Befehle 1. Der Polizeibefehl ist ein solcher obrigkeitlicher Befehl der letzteren Art. Er unterscheidet sich von den anderen Arten obrigkeitlicher Befehle dadurch, daſs er erlassen wird zur Geltendmachung der all- gemeinen Unterthanenpflicht, die gute Ordnung des Gemein- wesens nicht zu stören. Seinen Inhalt nimmt er daher von dieser Pflicht. Aber seine Wirkung beruht auf der selbständig verpflichten- den Kraft des Willens der öffentlichen Gewalt, die in ihm erscheint. Die Bedeutung des Polizeibefehls ist eine doppelte. 15 1 Loening, V.R. S. 241. Der bestimmte und kraftvolle Begriff des Befehls wird verflacht, wenn man die verschiedenartigsten Dinge unter diesem Namen zu- sammenfaſst (G. Meyer, V.R. I S. 32) oder ihn wenigstens überall „immanent“ finden will (Seligmann, Begr. d. Ges. S. 29; Bernatzik, Rechtskraft S. 11). 15 den, den sie bei sich aufnehmen, binnen 24 Stunden der Polizeibehörde anzuzeigen. O.L.G. Colmar 31. März 1886 (Jurist. Ztschft. f. E.L. 11 S. 256) erklärt das für begründet durch die allgemeine gesetzliche Befugnis der Bezirkspräsidenten, Polizei- vorschriften zu erlassen „für die Erhaltung der öffentlichen Sicherheit“. Fran- zösischen Juristen wäre eine solche polizeiliche Anordnung bedenklich gewesen (Trolley, hiérarchie adm. I n. 380); sie würde auch nach unsern obigen Aus- führungen (oben II n. 2) nur geschehen können auf Grundlage einer allgemeinen Verdächtigkeit der betroffenen Haushaltungen, wie sie gegenüber dem Gewerbe- betrieb der Gast- und Logierhäuser bestehen mag. Das O.L.G. begründet sie aber als eine Hülfeleistung, welche die Verwaltung muſs fordern können, um sich „die- jenige Kenntnis des Personenverkehrs zu verschaffen, welche sie zur Erfüllung der ihr in den bezeichneten Gebieten obliegenden Pflichten für notwendig erachtet“. Das ist ganz die alte Formel des Polizeistaats, vgl. oben § 4 Note 6. Heutzutage ist eine solche Lastauflegung nicht mehr in der Polizeigewalt begriffen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/291
Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/291>, abgerufen am 29.03.2024.