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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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§ 28. Die abgeschwächte Steuerpflicht.
bestimmung. Die Finanzbehörden sind dabei auch meist nicht ge-
leitet durch Rechtssätze. Verwaltungsvorschriften, Regulative ordnen das
Verfahren. Es ist absichtlich alles in Fluss und leicht beweglich ge-
halten. Das Ganze weicht also erheblich ab von dem Bilde, das die
Einrichtungen im Rechtsstaate uns sonst gewähren. Die Rechtsstellung
der Einzelnen ist eine verhältnismässig unsichere; was ihnen eingeräumt
wird, bekommt die Natur einer Duldung1.

Wir haben hier festzustellen, welches die rechtliche Bedeutung
der verschiedenen zulässigen Erleichterungen ist, wenn sie gewährt
werden und so lange sie gewährt werden.

I. Die schwebende Steuerpflicht.

Diese Form ist ganz den Verkehrssteuern eigentümlich. Für den
Zoll ist sie ursprünglich ausgebildet. Die Grundidee giebt die recht-
liche Lage, wie sie an der Grenze sich gestaltet.

Die Ware, deren Bewegung über die Zolllinie zum Eintritt in
den Verkehr die Steuerpflicht gesetzmässig begründen wird, liegt der
Behörde vor. Die Steuerpflicht ist noch nicht entstanden. Die Ware
kann den Schritt vorwärts machen, um sie zu begründen; sie kann
aber auch wieder zurückkehren in das Zollausland, ohne eine Pflicht
begründet zu haben, wenn der Verfügungsberechtigte dies be-
antragt2.

Diese Unentschiedenheit kann bewahrt bleiben, auch
wenn über die Ware verfügt wird in der Weise, dass sie im Inlande
weiter geht oder verbleibt. Voraussetzung ist, dass gewisse Mass-
regeln getroffen werden, um ihren Übergang in freien Verkehr zu ver-
hindern: amtliche Überwachung, Verschluss u. dergl. Die Ware reist
"mit Begleitschein I" zum Erledigungsamte im Inland oder zur Durch-
fuhr an die jenseitige Grenze oder wird in einer zollfreien Niederlage
aufgenommen3.

1 Das ganze System hat seine massgebende Gestalt erhalten im Zollwesen;
andere Steuerarten ahmen nur nach mit entsprechenden Veränderungen. Die Recht-
losigkeit wird weniger empfindlich dadurch, dass ausführliche Verwaltungsvor-
schriften, Regulative, Ordnung und Gleichmass in das Verfahren bringen. Der Ge-
danke des Rechtsstaats ist jedoch so mächtig, dass dieser Zustand einen lebhaften
Eindruck der Ungehörigkeit hervorruft. Dieser Eindruck wird nicht zutreffend
wiedergegeben in der Klage, dass die betreffenden Regulative des Bundesrates nicht
im Reichsgesetzblatte veröffentlicht seien, wie es gesetzvertretenden Bundesrats-
verordnungen geziemt (Laband, St.R. II S. 928; Haenel, Studien II S. 91).
Das Schlimme ist, dass sie gar nicht einmal Verordnungen im richtigen Sinne,
Rechtssätze sein wollen, also jener Veröffentlichungsart auch nicht bedürfen.
2 "Deklarationen zur Wiederausfuhr"; Troje, Zolltarif XXX.
3 Zollges. § 97 ff. unterscheidet: öffentliche Niederlagen und Privatlager;

§ 28. Die abgeschwächte Steuerpflicht.
bestimmung. Die Finanzbehörden sind dabei auch meist nicht ge-
leitet durch Rechtssätze. Verwaltungsvorschriften, Regulative ordnen das
Verfahren. Es ist absichtlich alles in Fluſs und leicht beweglich ge-
halten. Das Ganze weicht also erheblich ab von dem Bilde, das die
Einrichtungen im Rechtsstaate uns sonst gewähren. Die Rechtsstellung
der Einzelnen ist eine verhältnismäſsig unsichere; was ihnen eingeräumt
wird, bekommt die Natur einer Duldung1.

Wir haben hier festzustellen, welches die rechtliche Bedeutung
der verschiedenen zulässigen Erleichterungen ist, wenn sie gewährt
werden und so lange sie gewährt werden.

I. Die schwebende Steuerpflicht.

Diese Form ist ganz den Verkehrssteuern eigentümlich. Für den
Zoll ist sie ursprünglich ausgebildet. Die Grundidee giebt die recht-
liche Lage, wie sie an der Grenze sich gestaltet.

Die Ware, deren Bewegung über die Zolllinie zum Eintritt in
den Verkehr die Steuerpflicht gesetzmäſsig begründen wird, liegt der
Behörde vor. Die Steuerpflicht ist noch nicht entstanden. Die Ware
kann den Schritt vorwärts machen, um sie zu begründen; sie kann
aber auch wieder zurückkehren in das Zollausland, ohne eine Pflicht
begründet zu haben, wenn der Verfügungsberechtigte dies be-
antragt2.

Diese Unentschiedenheit kann bewahrt bleiben, auch
wenn über die Ware verfügt wird in der Weise, daſs sie im Inlande
weiter geht oder verbleibt. Voraussetzung ist, daſs gewisse Maſs-
regeln getroffen werden, um ihren Übergang in freien Verkehr zu ver-
hindern: amtliche Überwachung, Verschluſs u. dergl. Die Ware reist
„mit Begleitschein I“ zum Erledigungsamte im Inland oder zur Durch-
fuhr an die jenseitige Grenze oder wird in einer zollfreien Niederlage
aufgenommen3.

1 Das ganze System hat seine maſsgebende Gestalt erhalten im Zollwesen;
andere Steuerarten ahmen nur nach mit entsprechenden Veränderungen. Die Recht-
losigkeit wird weniger empfindlich dadurch, daſs ausführliche Verwaltungsvor-
schriften, Regulative, Ordnung und Gleichmaſs in das Verfahren bringen. Der Ge-
danke des Rechtsstaats ist jedoch so mächtig, daſs dieser Zustand einen lebhaften
Eindruck der Ungehörigkeit hervorruft. Dieser Eindruck wird nicht zutreffend
wiedergegeben in der Klage, daſs die betreffenden Regulative des Bundesrates nicht
im Reichsgesetzblatte veröffentlicht seien, wie es gesetzvertretenden Bundesrats-
verordnungen geziemt (Laband, St.R. II S. 928; Haenel, Studien II S. 91).
Das Schlimme ist, daſs sie gar nicht einmal Verordnungen im richtigen Sinne,
Rechtssätze sein wollen, also jener Veröffentlichungsart auch nicht bedürfen.
2 „Deklarationen zur Wiederausfuhr“; Troje, Zolltarif XXX.
3 Zollges. § 97 ff. unterscheidet: öffentliche Niederlagen und Privatlager;
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[407/0427] § 28. Die abgeschwächte Steuerpflicht. bestimmung. Die Finanzbehörden sind dabei auch meist nicht ge- leitet durch Rechtssätze. Verwaltungsvorschriften, Regulative ordnen das Verfahren. Es ist absichtlich alles in Fluſs und leicht beweglich ge- halten. Das Ganze weicht also erheblich ab von dem Bilde, das die Einrichtungen im Rechtsstaate uns sonst gewähren. Die Rechtsstellung der Einzelnen ist eine verhältnismäſsig unsichere; was ihnen eingeräumt wird, bekommt die Natur einer Duldung 1. Wir haben hier festzustellen, welches die rechtliche Bedeutung der verschiedenen zulässigen Erleichterungen ist, wenn sie gewährt werden und so lange sie gewährt werden. I. Die schwebende Steuerpflicht. Diese Form ist ganz den Verkehrssteuern eigentümlich. Für den Zoll ist sie ursprünglich ausgebildet. Die Grundidee giebt die recht- liche Lage, wie sie an der Grenze sich gestaltet. Die Ware, deren Bewegung über die Zolllinie zum Eintritt in den Verkehr die Steuerpflicht gesetzmäſsig begründen wird, liegt der Behörde vor. Die Steuerpflicht ist noch nicht entstanden. Die Ware kann den Schritt vorwärts machen, um sie zu begründen; sie kann aber auch wieder zurückkehren in das Zollausland, ohne eine Pflicht begründet zu haben, wenn der Verfügungsberechtigte dies be- antragt 2. Diese Unentschiedenheit kann bewahrt bleiben, auch wenn über die Ware verfügt wird in der Weise, daſs sie im Inlande weiter geht oder verbleibt. Voraussetzung ist, daſs gewisse Maſs- regeln getroffen werden, um ihren Übergang in freien Verkehr zu ver- hindern: amtliche Überwachung, Verschluſs u. dergl. Die Ware reist „mit Begleitschein I“ zum Erledigungsamte im Inland oder zur Durch- fuhr an die jenseitige Grenze oder wird in einer zollfreien Niederlage aufgenommen 3. 1 Das ganze System hat seine maſsgebende Gestalt erhalten im Zollwesen; andere Steuerarten ahmen nur nach mit entsprechenden Veränderungen. Die Recht- losigkeit wird weniger empfindlich dadurch, daſs ausführliche Verwaltungsvor- schriften, Regulative, Ordnung und Gleichmaſs in das Verfahren bringen. Der Ge- danke des Rechtsstaats ist jedoch so mächtig, daſs dieser Zustand einen lebhaften Eindruck der Ungehörigkeit hervorruft. Dieser Eindruck wird nicht zutreffend wiedergegeben in der Klage, daſs die betreffenden Regulative des Bundesrates nicht im Reichsgesetzblatte veröffentlicht seien, wie es gesetzvertretenden Bundesrats- verordnungen geziemt (Laband, St.R. II S. 928; Haenel, Studien II S. 91). Das Schlimme ist, daſs sie gar nicht einmal Verordnungen im richtigen Sinne, Rechtssätze sein wollen, also jener Veröffentlichungsart auch nicht bedürfen. 2 „Deklarationen zur Wiederausfuhr“; Troje, Zolltarif XXX. 3 Zollges. § 97 ff. unterscheidet: öffentliche Niederlagen und Privatlager;

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/427>, abgerufen am 23.04.2024.