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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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Geschichtliche Entwicklungsstufen.
Bereicherte verpflichtet, nach den Grundsätzen der condictio indebiti.
Überhaupt, überall wo der Staat mit seiner obrigkeitlichen Gewalt
dem Einzelnen ein besonderes Opfer auferlegt, wird kraft allgemeinen
civilrechtlichen Rechtssatzes der Fiskus dem Betroffenen die an-
gemessene Vergütung schuldig, auf welche er vor dem Civilgerichte ver-
klagt werden kann22.

Auf diese Weise wird die Fiskuslehre von grosser Bedeutung für
die Gestaltung des Rechts im Polizeistaate. Nichts leichter freilich,
als die Grundidee, auf welcher sie beruht, von unserem heutigen
Standpunkte aus wissenschaftlich zu bekämpfen. Damit wird die
Thatsache nicht beseitigt, dass sie die Wirklichkeit unseres Rechtes
lange Zeit hindurch beherrschte und unzweifelhaft grosse Dienste ge-
leistet hat. Irgend etwas Willkürliches, Absonderliches haben am
Ende alle Formen, in welchen menschliche Kunst die Stellung der
Unterthanen gegenüber der Staatsgewalt zu sichern gesucht hat, die
französische Formel der separation des pouvoirs, die wir jetzt that-
sächlich befolgen, nicht zum mindesten. Unter diese Sicherungsmittel
ist auch die Fiskuslehre zu rechnen. In der völligen Zerstörung der
alten Formen war sie zunächst das einzige, das sich darbot23.

22 Bei den einzelnen Rechtsinstituten werden wir dieser Auffassungsweise auf
Schritt und Tritt noch begegnen. Da man gegen den Staat selbst nichts
ausrichtet und der Fiskus nicht mehr thun kann als zahlen, so läuft alle Garantie
der bürgerlichen Freiheit im Polizeistaate auf den Satz hinaus: dulde und liqui-
diere. Klüber in Arch. f. d. neueste Gesetzgebung Bd. I S. 261 entwickelt das
mit einer gewissen Befriedigung. "Die Landeshoheit darf nicht anders als nach
Rechtsgesetzen geübt werden" (S. 287) d. h. der Sonverän kann alles, "aber nur
nicht ohne Entschädigung"; wenn der Fiskus für den Eingriff jedesmal entschädigen
muss, so hat man nach Rechtsgesetzen regiert (S. 292); dagegen heisst "die Staats-
gewalt nach Willkür ausüben" nichts anderes als "durch Ausübung derselben Rechte
des Privateigentums ohne vollständige Schadloshaltung wesentlich verändern". --
Bornhak, Preuss. St.R. II S. 464, hat diese Rechtsordnung des Polizeistaats
etwas derb, aber nicht unzutreffend gekennzeichnet, wenn er spricht von der
"Tendenz der preussischen Gerichte, den Fiskus als Privatrechtssubjekt zum all-
gemeinen Prügeljungen für den Staat zu machen".
23 Eine Ausnahmeerscheinung bietet in dieser Beziehung die Kurbessische
Justiz. Das Ober-App.G. zu Kassel betrachtet sich als Rechtsnachfolger der Reichs-
gerichte für Klagen gegen den Landesherrn "ohne Unterschied der in dem Fürsten
vereinigten juristischen Personen als Inhaber der Hoheitsrechte, als Vertreter des
Fiskus". Es hält fest an dem alten Satze: "dass aus jeder Regierungssache eine
Justizsache werden kann", sofern die Regierung dabei über "wohlerworbene Rechte"
hinwegschreiten will. Bis zum Jahre 1817 nimmt es gegen solche Regierungsakte
Extrajudizialappellationen an, prüft überhaupt die Einhaltung der Schranken der
landesherrlichen Hoheitsrechte, selbst wenn es sich um ein vom Landesherrn er-
lassenes Gesetz handelt. Pfeiffer, Prakt. Ausf. I S. 254, 258; III S. 441 ff.;

Geschichtliche Entwicklungsstufen.
Bereicherte verpflichtet, nach den Grundsätzen der condictio indebiti.
Überhaupt, überall wo der Staat mit seiner obrigkeitlichen Gewalt
dem Einzelnen ein besonderes Opfer auferlegt, wird kraft allgemeinen
civilrechtlichen Rechtssatzes der Fiskus dem Betroffenen die an-
gemessene Vergütung schuldig, auf welche er vor dem Civilgerichte ver-
klagt werden kann22.

Auf diese Weise wird die Fiskuslehre von groſser Bedeutung für
die Gestaltung des Rechts im Polizeistaate. Nichts leichter freilich,
als die Grundidee, auf welcher sie beruht, von unserem heutigen
Standpunkte aus wissenschaftlich zu bekämpfen. Damit wird die
Thatsache nicht beseitigt, daſs sie die Wirklichkeit unseres Rechtes
lange Zeit hindurch beherrschte und unzweifelhaft groſse Dienste ge-
leistet hat. Irgend etwas Willkürliches, Absonderliches haben am
Ende alle Formen, in welchen menschliche Kunst die Stellung der
Unterthanen gegenüber der Staatsgewalt zu sichern gesucht hat, die
französische Formel der séparation des pouvoirs, die wir jetzt that-
sächlich befolgen, nicht zum mindesten. Unter diese Sicherungsmittel
ist auch die Fiskuslehre zu rechnen. In der völligen Zerstörung der
alten Formen war sie zunächst das einzige, das sich darbot23.

22 Bei den einzelnen Rechtsinstituten werden wir dieser Auffassungsweise auf
Schritt und Tritt noch begegnen. Da man gegen den Staat selbst nichts
ausrichtet und der Fiskus nicht mehr thun kann als zahlen, so läuft alle Garantie
der bürgerlichen Freiheit im Polizeistaate auf den Satz hinaus: dulde und liqui-
diere. Klüber in Arch. f. d. neueste Gesetzgebung Bd. I S. 261 entwickelt das
mit einer gewissen Befriedigung. „Die Landeshoheit darf nicht anders als nach
Rechtsgesetzen geübt werden“ (S. 287) d. h. der Sonverän kann alles, „aber nur
nicht ohne Entschädigung“; wenn der Fiskus für den Eingriff jedesmal entschädigen
muſs, so hat man nach Rechtsgesetzen regiert (S. 292); dagegen heiſst „die Staats-
gewalt nach Willkür ausüben“ nichts anderes als „durch Ausübung derselben Rechte
des Privateigentums ohne vollständige Schadloshaltung wesentlich verändern“. —
Bornhak, Preuſs. St.R. II S. 464, hat diese Rechtsordnung des Polizeistaats
etwas derb, aber nicht unzutreffend gekennzeichnet, wenn er spricht von der
„Tendenz der preuſsischen Gerichte, den Fiskus als Privatrechtssubjekt zum all-
gemeinen Prügeljungen für den Staat zu machen“.
23 Eine Ausnahmeerscheinung bietet in dieser Beziehung die Kurbessische
Justiz. Das Ober-App.G. zu Kassel betrachtet sich als Rechtsnachfolger der Reichs-
gerichte für Klagen gegen den Landesherrn „ohne Unterschied der in dem Fürsten
vereinigten juristischen Personen als Inhaber der Hoheitsrechte, als Vertreter des
Fiskus“. Es hält fest an dem alten Satze: „daſs aus jeder Regierungssache eine
Justizsache werden kann“, sofern die Regierung dabei über „wohlerworbene Rechte“
hinwegschreiten will. Bis zum Jahre 1817 nimmt es gegen solche Regierungsakte
Extrajudizialappellationen an, prüft überhaupt die Einhaltung der Schranken der
landesherrlichen Hoheitsrechte, selbst wenn es sich um ein vom Landesherrn er-
lassenes Gesetz handelt. Pfeiffer, Prakt. Ausf. I S. 254, 258; III S. 441 ff.;
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[52/0072] Geschichtliche Entwicklungsstufen. Bereicherte verpflichtet, nach den Grundsätzen der condictio indebiti. Überhaupt, überall wo der Staat mit seiner obrigkeitlichen Gewalt dem Einzelnen ein besonderes Opfer auferlegt, wird kraft allgemeinen civilrechtlichen Rechtssatzes der Fiskus dem Betroffenen die an- gemessene Vergütung schuldig, auf welche er vor dem Civilgerichte ver- klagt werden kann 22. Auf diese Weise wird die Fiskuslehre von groſser Bedeutung für die Gestaltung des Rechts im Polizeistaate. Nichts leichter freilich, als die Grundidee, auf welcher sie beruht, von unserem heutigen Standpunkte aus wissenschaftlich zu bekämpfen. Damit wird die Thatsache nicht beseitigt, daſs sie die Wirklichkeit unseres Rechtes lange Zeit hindurch beherrschte und unzweifelhaft groſse Dienste ge- leistet hat. Irgend etwas Willkürliches, Absonderliches haben am Ende alle Formen, in welchen menschliche Kunst die Stellung der Unterthanen gegenüber der Staatsgewalt zu sichern gesucht hat, die französische Formel der séparation des pouvoirs, die wir jetzt that- sächlich befolgen, nicht zum mindesten. Unter diese Sicherungsmittel ist auch die Fiskuslehre zu rechnen. In der völligen Zerstörung der alten Formen war sie zunächst das einzige, das sich darbot 23. 22 Bei den einzelnen Rechtsinstituten werden wir dieser Auffassungsweise auf Schritt und Tritt noch begegnen. Da man gegen den Staat selbst nichts ausrichtet und der Fiskus nicht mehr thun kann als zahlen, so läuft alle Garantie der bürgerlichen Freiheit im Polizeistaate auf den Satz hinaus: dulde und liqui- diere. Klüber in Arch. f. d. neueste Gesetzgebung Bd. I S. 261 entwickelt das mit einer gewissen Befriedigung. „Die Landeshoheit darf nicht anders als nach Rechtsgesetzen geübt werden“ (S. 287) d. h. der Sonverän kann alles, „aber nur nicht ohne Entschädigung“; wenn der Fiskus für den Eingriff jedesmal entschädigen muſs, so hat man nach Rechtsgesetzen regiert (S. 292); dagegen heiſst „die Staats- gewalt nach Willkür ausüben“ nichts anderes als „durch Ausübung derselben Rechte des Privateigentums ohne vollständige Schadloshaltung wesentlich verändern“. — Bornhak, Preuſs. St.R. II S. 464, hat diese Rechtsordnung des Polizeistaats etwas derb, aber nicht unzutreffend gekennzeichnet, wenn er spricht von der „Tendenz der preuſsischen Gerichte, den Fiskus als Privatrechtssubjekt zum all- gemeinen Prügeljungen für den Staat zu machen“. 23 Eine Ausnahmeerscheinung bietet in dieser Beziehung die Kurbessische Justiz. Das Ober-App.G. zu Kassel betrachtet sich als Rechtsnachfolger der Reichs- gerichte für Klagen gegen den Landesherrn „ohne Unterschied der in dem Fürsten vereinigten juristischen Personen als Inhaber der Hoheitsrechte, als Vertreter des Fiskus“. Es hält fest an dem alten Satze: „daſs aus jeder Regierungssache eine Justizsache werden kann“, sofern die Regierung dabei über „wohlerworbene Rechte“ hinwegschreiten will. Bis zum Jahre 1817 nimmt es gegen solche Regierungsakte Extrajudizialappellationen an, prüft überhaupt die Einhaltung der Schranken der landesherrlichen Hoheitsrechte, selbst wenn es sich um ein vom Landesherrn er- lassenes Gesetz handelt. Pfeiffer, Prakt. Ausf. I S. 254, 258; III S. 441 ff.;

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/72>, abgerufen am 25.04.2024.