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Meißner, Alfred: Der Müller vom Höft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–274. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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heute, daß er in seiner grauen Gefangenenjacke zum Galgen soll, wo er sich dabei so vielen Menschen zeigt.

So schwatzte der Gerichtsdiener, vertraulich an den Wagen gelehnt, mußte sich aber plötzlich entfernen, denn der Zug war da.

Der Henkerkarren fuhr nicht gerade so schnell, als daß man den Delinquenten nicht genau in Augenschein hätte nehmen können. Er war in der That ein hübscher junger Mann, bleich, mit vollem, schwarzem Haar, kräftig und schlank gebaut. Seine Lippen kräuselte ein wohl nur künstlich aufrecht erhaltenes Lächeln -- denn seine großen, schwarzen, funkelnden Augen waren mit verzehrender Unruhe auf einen dunkeln Punkt gerichtet, der auf einem der Gipfel des benachbarten Hügelzuges sichtbar war. Ein Geistlicher, der ihm zur Seite stand, sprach zu ihm, gewiß ohne daß er viel davon hörte.

Ein Piquet Dragoner mit blanken Kürassen, die Zöpfe frisch gewichs't, umgab den Wagen. Sie hatten die Degen gezogen und saßen mannhaft auf ihren stattlichen Holsteinern. Unmittelbar hinter ihnen schloß sich die Menge compact zusammen, und die ganze Masse schob, drängte, wälzte sich vorwärts, um bei der Execution mit anwesend zu sein. Wendelin blickte mit Wehmuth auf die Vorrückenden und schien zu rufen: Wär' ich mit dabei!

Der Müller verstand seine Geberde und sagte: Seltsame Neugier, die ich nicht begreife! Indessen,

heute, daß er in seiner grauen Gefangenenjacke zum Galgen soll, wo er sich dabei so vielen Menschen zeigt.

So schwatzte der Gerichtsdiener, vertraulich an den Wagen gelehnt, mußte sich aber plötzlich entfernen, denn der Zug war da.

Der Henkerkarren fuhr nicht gerade so schnell, als daß man den Delinquenten nicht genau in Augenschein hätte nehmen können. Er war in der That ein hübscher junger Mann, bleich, mit vollem, schwarzem Haar, kräftig und schlank gebaut. Seine Lippen kräuselte ein wohl nur künstlich aufrecht erhaltenes Lächeln — denn seine großen, schwarzen, funkelnden Augen waren mit verzehrender Unruhe auf einen dunkeln Punkt gerichtet, der auf einem der Gipfel des benachbarten Hügelzuges sichtbar war. Ein Geistlicher, der ihm zur Seite stand, sprach zu ihm, gewiß ohne daß er viel davon hörte.

Ein Piquet Dragoner mit blanken Kürassen, die Zöpfe frisch gewichs't, umgab den Wagen. Sie hatten die Degen gezogen und saßen mannhaft auf ihren stattlichen Holsteinern. Unmittelbar hinter ihnen schloß sich die Menge compact zusammen, und die ganze Masse schob, drängte, wälzte sich vorwärts, um bei der Execution mit anwesend zu sein. Wendelin blickte mit Wehmuth auf die Vorrückenden und schien zu rufen: Wär' ich mit dabei!

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[0009] heute, daß er in seiner grauen Gefangenenjacke zum Galgen soll, wo er sich dabei so vielen Menschen zeigt. So schwatzte der Gerichtsdiener, vertraulich an den Wagen gelehnt, mußte sich aber plötzlich entfernen, denn der Zug war da. Der Henkerkarren fuhr nicht gerade so schnell, als daß man den Delinquenten nicht genau in Augenschein hätte nehmen können. Er war in der That ein hübscher junger Mann, bleich, mit vollem, schwarzem Haar, kräftig und schlank gebaut. Seine Lippen kräuselte ein wohl nur künstlich aufrecht erhaltenes Lächeln — denn seine großen, schwarzen, funkelnden Augen waren mit verzehrender Unruhe auf einen dunkeln Punkt gerichtet, der auf einem der Gipfel des benachbarten Hügelzuges sichtbar war. Ein Geistlicher, der ihm zur Seite stand, sprach zu ihm, gewiß ohne daß er viel davon hörte. Ein Piquet Dragoner mit blanken Kürassen, die Zöpfe frisch gewichs't, umgab den Wagen. Sie hatten die Degen gezogen und saßen mannhaft auf ihren stattlichen Holsteinern. Unmittelbar hinter ihnen schloß sich die Menge compact zusammen, und die ganze Masse schob, drängte, wälzte sich vorwärts, um bei der Execution mit anwesend zu sein. Wendelin blickte mit Wehmuth auf die Vorrückenden und schien zu rufen: Wär' ich mit dabei! Der Müller verstand seine Geberde und sagte: Seltsame Neugier, die ich nicht begreife! Indessen,

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:41:19Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:41:19Z)

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Zitationshilfe: Meißner, Alfred: Der Müller vom Höft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–274. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_hoeft_1910/9>, abgerufen am 29.03.2024.