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Mendel, Gregor: Versuche über Pflanzen-Hybriden. In: Verhandlungen des Naturforschenden Vereines in Brünn 4 (1866), S. 3-47.

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blos die verschiedensten, sondern auch die veränderlichsten Formen ge-
funden werden. Nur die Leguminosen, wie Pisum, Phaseolus, Lens, deren
Befruchtungs-Organe durch das Schiffchen geschützt sind, machen davon
eine bemerkenswerthe Ausnahme. Auch da sind während einer mehr als
1000jährigen Cultur unter den mannigfaltigsten Verhältnissen zahlreiche
Varietäten entstanden, diese behaupten jedoch unter gleich bleibenden
Lebensbedingungen eine Selbstständigkeit, wie sie wild wachsenden Ar-
ten zukommt.

Es bleibt mehr als wahrscheinlich, dass für die Veränderlichkeit
der Culturgewächse ein Factor thätig ist, dem bisher wenig Aufmerk-
samkeit zugewendet wurde. Verschiedene Erfahrungen drängen zu der
Ansicht, dass unsere Culturpflanzen mit wenigen Ausnahmen Glieder
verschiedener Hybridreihen
sind, deren gesetzmässige Weiter-
entwicklung durch häufige Zwischenkreuzungen abgeändert und aufge-
halten wird. Es ist der Umstand nicht zu übersehen, dass die cultivir-
ten Gewächse meistens in grösserer Anzahl neben einander gezogen
werden, wodurch für die wechselseitige Befruchtung zwischen den vor-
handenen Varietäten und mit den Arten selbst die günstigste Gelegen-
heit geboten wird. Die Wahrscheinlichkeit dieser Ansicht wird durch
die Thatsache unterstützt, dass unter dem grossen Heere veränderlicher
Formen immer einzelne gefunden werden, welche in dem einen oder
anderen Merkmale constant bleiben, wenn nur jeder fremde Einfluss
sorgfältig abgehalten wird. Diese Formen entwickeln sich genau eben
so, wie gewisse Glieder der zusammengesetzten Hybridreihen. Auch bei
dem empfindlichsten aller Merkmale, bei jenem der Farbe, kann es der
aufmerksamen Beobachtung nicht entgehen, dass an den einzelnen For-
men die Neigung zur Veränderlichkeit in sehr verschiedenem Grade
vorkommt. Unter Pflanzen, die aus einer spontanen Befruchtung stam-
men, gibt es oft solche, deren Nachkommen in Beschaffenheit und An-
ordnung der Farben weit auseinandergehen, während andere wenig ab-
weichende Formen liefern, und unter einer grösseren Anzahl einzelne
getroffen werden, welche ihre Blumenfarbe unverändert auf die Nach-
kommen übertragen. Die cultivirten Dianthus-Arten geben dafür einen
lehrreichen Beleg. Ein weiss blühendes Exemplar von Dianthus Caryophyl-
lus, welches selbst von einer weissblumigen Varietät abstammte, wurde
während der Blüthezeit in einem Glashause abgesperrt; die zahlreich
davon gewonnenen Samen gaben Pflanzen mit durchaus gleicher weisser

blos die verschiedensten, sondern auch die veränderlichsten Formen ge-
funden werden. Nur die Leguminosen, wie Pisum, Phaseolus, Lens, deren
Befruchtungs-Organe durch das Schiffchen geschützt sind, machen davon
eine bemerkenswerthe Ausnahme. Auch da sind während einer mehr als
1000jährigen Cultur unter den mannigfaltigsten Verhältnissen zahlreiche
Varietäten entstanden, diese behaupten jedoch unter gleich bleibenden
Lebensbedingungen eine Selbstständigkeit, wie sie wild wachsenden Ar-
ten zukommt.

Es bleibt mehr als wahrscheinlich, dass für die Veränderlichkeit
der Culturgewächse ein Factor thätig ist, dem bisher wenig Aufmerk-
samkeit zugewendet wurde. Verschiedene Erfahrungen drängen zu der
Ansicht, dass unsere Culturpflanzen mit wenigen Ausnahmen Glieder
verschiedener Hybridreihen
sind, deren gesetzmässige Weiter-
entwicklung durch häufige Zwischenkreuzungen abgeändert und aufge-
halten wird. Es ist der Umstand nicht zu übersehen, dass die cultivir-
ten Gewächse meistens in grösserer Anzahl neben einander gezogen
werden, wodurch für die wechselseitige Befruchtung zwischen den vor-
handenen Varietäten und mit den Arten selbst die günstigste Gelegen-
heit geboten wird. Die Wahrscheinlichkeit dieser Ansicht wird durch
die Thatsache unterstützt, dass unter dem grossen Heere veränderlicher
Formen immer einzelne gefunden werden, welche in dem einen oder
anderen Merkmale constant bleiben, wenn nur jeder fremde Einfluss
sorgfältig abgehalten wird. Diese Formen entwickeln sich genau eben
so, wie gewisse Glieder der zusammengesetzten Hybridreihen. Auch bei
dem empfindlichsten aller Merkmale, bei jenem der Farbe, kann es der
aufmerksamen Beobachtung nicht entgehen, dass an den einzelnen For-
men die Neigung zur Veränderlichkeit in sehr verschiedenem Grade
vorkommt. Unter Pflanzen, die aus einer spontanen Befruchtung stam-
men, gibt es oft solche, deren Nachkommen in Beschaffenheit und An-
ordnung der Farben weit auseinandergehen, während andere wenig ab-
weichende Formen liefern, und unter einer grösseren Anzahl einzelne
getroffen werden, welche ihre Blumenfarbe unverändert auf die Nach-
kommen übertragen. Die cultivirten Dianthus-Arten geben dafür einen
lehrreichen Beleg. Ein weiss blühendes Exemplar von Dianthus Caryophyl-
lus, welches selbst von einer weissblumigen Varietät abstammte, wurde
während der Blüthezeit in einem Glashause abgesperrt; die zahlreich
davon gewonnenen Samen gaben Pflanzen mit durchaus gleicher weisser

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[37/0048] blos die verschiedensten, sondern auch die veränderlichsten Formen ge- funden werden. Nur die Leguminosen, wie Pisum, Phaseolus, Lens, deren Befruchtungs-Organe durch das Schiffchen geschützt sind, machen davon eine bemerkenswerthe Ausnahme. Auch da sind während einer mehr als 1000jährigen Cultur unter den mannigfaltigsten Verhältnissen zahlreiche Varietäten entstanden, diese behaupten jedoch unter gleich bleibenden Lebensbedingungen eine Selbstständigkeit, wie sie wild wachsenden Ar- ten zukommt. Es bleibt mehr als wahrscheinlich, dass für die Veränderlichkeit der Culturgewächse ein Factor thätig ist, dem bisher wenig Aufmerk- samkeit zugewendet wurde. Verschiedene Erfahrungen drängen zu der Ansicht, dass unsere Culturpflanzen mit wenigen Ausnahmen Glieder verschiedener Hybridreihen sind, deren gesetzmässige Weiter- entwicklung durch häufige Zwischenkreuzungen abgeändert und aufge- halten wird. Es ist der Umstand nicht zu übersehen, dass die cultivir- ten Gewächse meistens in grösserer Anzahl neben einander gezogen werden, wodurch für die wechselseitige Befruchtung zwischen den vor- handenen Varietäten und mit den Arten selbst die günstigste Gelegen- heit geboten wird. Die Wahrscheinlichkeit dieser Ansicht wird durch die Thatsache unterstützt, dass unter dem grossen Heere veränderlicher Formen immer einzelne gefunden werden, welche in dem einen oder anderen Merkmale constant bleiben, wenn nur jeder fremde Einfluss sorgfältig abgehalten wird. Diese Formen entwickeln sich genau eben so, wie gewisse Glieder der zusammengesetzten Hybridreihen. Auch bei dem empfindlichsten aller Merkmale, bei jenem der Farbe, kann es der aufmerksamen Beobachtung nicht entgehen, dass an den einzelnen For- men die Neigung zur Veränderlichkeit in sehr verschiedenem Grade vorkommt. Unter Pflanzen, die aus einer spontanen Befruchtung stam- men, gibt es oft solche, deren Nachkommen in Beschaffenheit und An- ordnung der Farben weit auseinandergehen, während andere wenig ab- weichende Formen liefern, und unter einer grösseren Anzahl einzelne getroffen werden, welche ihre Blumenfarbe unverändert auf die Nach- kommen übertragen. Die cultivirten Dianthus-Arten geben dafür einen lehrreichen Beleg. Ein weiss blühendes Exemplar von Dianthus Caryophyl- lus, welches selbst von einer weissblumigen Varietät abstammte, wurde während der Blüthezeit in einem Glashause abgesperrt; die zahlreich davon gewonnenen Samen gaben Pflanzen mit durchaus gleicher weisser

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Zitationshilfe: Mendel, Gregor: Versuche über Pflanzen-Hybriden. In: Verhandlungen des Naturforschenden Vereines in Brünn 4 (1866), S. 3-47, hier S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendel_pflanzenhybriden_1866/48>, abgerufen am 25.04.2024.