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Menger, Carl: Die Irrthümer des Historismus in der deutschen Nationalökonomie. Wien, 1884.

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Die Anhänger der obigen Meinung scheinen mir
-- um zunächst von dem Historismus in der
theoretischen Nationalökonomie
zu sprechen
-- vor Allem zu übersehen, dass neben der Geschichte
auch die gemeine Lebenserfahrung (die Kenntniss der
Motive, der Ziele, der den Erfolg bestimmenden Um-
stände und der Erfolge individualwirthschaftlicher
Thätigkeit) eine nothwendige Grundlage der theoreti-
schen Volkswirthschaftslehre sei. Die complicirten Er-
scheinungen der Volkswirthschaft sind vorwiegend
das Ergebniss des Contactes individualwirthschaftlicher
Bestrebungen *), das Verständniss dieser letzteren
und ihrer Wechselbeziehungen ist somit die noth-
wendige Voraussetzung jenes der ersteren. Die Ge-
schichte der Volkswirthschaft bietet uns aber nicht die
Kenntniss der individualwirthschaftlichen Vorgänge **)

*) Untersuchungen, S. 232 ff.
**) Die theoretische Volkswirthschaftslehre hat nicht nur
das generelle Wesen und den generellen Zusammenhang jener
Erscheinungen der menschlichen Wirthschaft zu erforschen,
welche, wie beispielsweise die Marktpreise, die Wechsel- und
Effectencurse, die Geldwährung, die Banknoten, die Handels-
krisen u. s. f. Erscheinungen der "Volkswirthschaft",
die Resultante des Contactes der durch den Güterverkehr zu
einer höheren Einheit verbundenen Individualwirthschaften,
beziehungsweise der auf die Pflege dieses Organismus von
Individualwirthschaften gerichteten staatlichen Thätigkeit sind
(S. 233 ff. meiner Untersuchungen), sondern auch das Wesen
der Singularerscheinungen der menschlichen
Wirthschaft und ihren Zusammenhang mit den
Erscheinungen der "Volkswirthschaft"
in dem
obigen Verstande des Wortes. Die Volkswirthschaftslehre hat
uns z. B. auch das Wesen "der individuellen Bedürfnisse", das
Wesen der "Güter", ja selbst das Wesen solcher Wirthschafts-
Phänomene darzulegen, welche, wie z. B. der "Gebrauchswerth",
durchaus subjectiver Natur, lediglich im Individuum real

Die Anhänger der obigen Meinung scheinen mir
— um zunächst von dem Historismus in der
theoretischen Nationalökonomie
zu sprechen
— vor Allem zu übersehen, dass neben der Geschichte
auch die gemeine Lebenserfahrung (die Kenntniss der
Motive, der Ziele, der den Erfolg bestimmenden Um-
stände und der Erfolge individualwirthschaftlicher
Thätigkeit) eine nothwendige Grundlage der theoreti-
schen Volkswirthschaftslehre sei. Die complicirten Er-
scheinungen der Volkswirthschaft sind vorwiegend
das Ergebniss des Contactes individualwirthschaftlicher
Bestrebungen *), das Verständniss dieser letzteren
und ihrer Wechselbeziehungen ist somit die noth-
wendige Voraussetzung jenes der ersteren. Die Ge-
schichte der Volkswirthschaft bietet uns aber nicht die
Kenntniss der individualwirthschaftlichen Vorgänge **)

*) Untersuchungen, S. 232 ff.
**) Die theoretische Volkswirthschaftslehre hat nicht nur
das generelle Wesen und den generellen Zusammenhang jener
Erscheinungen der menschlichen Wirthschaft zu erforschen,
welche, wie beispielsweise die Marktpreise, die Wechsel- und
Effectencurse, die Geldwährung, die Banknoten, die Handels-
krisen u. s. f. Erscheinungen der „Volkswirthschaft“,
die Resultante des Contactes der durch den Güterverkehr zu
einer höheren Einheit verbundenen Individualwirthschaften,
beziehungsweise der auf die Pflege dieses Organismus von
Individualwirthschaften gerichteten staatlichen Thätigkeit sind
(S. 233 ff. meiner Untersuchungen), sondern auch das Wesen
der Singularerscheinungen der menschlichen
Wirthschaft und ihren Zusammenhang mit den
Erscheinungen der „Volkswirthschaft“
in dem
obigen Verstande des Wortes. Die Volkswirthschaftslehre hat
uns z. B. auch das Wesen „der individuellen Bedürfnisse“, das
Wesen der „Güter“, ja selbst das Wesen solcher Wirthschafts-
Phänomene darzulegen, welche, wie z. B. der „Gebrauchswerth“,
durchaus subjectiver Natur, lediglich im Individuum real
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[43/0059] Die Anhänger der obigen Meinung scheinen mir — um zunächst von dem Historismus in der theoretischen Nationalökonomie zu sprechen — vor Allem zu übersehen, dass neben der Geschichte auch die gemeine Lebenserfahrung (die Kenntniss der Motive, der Ziele, der den Erfolg bestimmenden Um- stände und der Erfolge individualwirthschaftlicher Thätigkeit) eine nothwendige Grundlage der theoreti- schen Volkswirthschaftslehre sei. Die complicirten Er- scheinungen der Volkswirthschaft sind vorwiegend das Ergebniss des Contactes individualwirthschaftlicher Bestrebungen *), das Verständniss dieser letzteren und ihrer Wechselbeziehungen ist somit die noth- wendige Voraussetzung jenes der ersteren. Die Ge- schichte der Volkswirthschaft bietet uns aber nicht die Kenntniss der individualwirthschaftlichen Vorgänge **) *) Untersuchungen, S. 232 ff. **) Die theoretische Volkswirthschaftslehre hat nicht nur das generelle Wesen und den generellen Zusammenhang jener Erscheinungen der menschlichen Wirthschaft zu erforschen, welche, wie beispielsweise die Marktpreise, die Wechsel- und Effectencurse, die Geldwährung, die Banknoten, die Handels- krisen u. s. f. Erscheinungen der „Volkswirthschaft“, die Resultante des Contactes der durch den Güterverkehr zu einer höheren Einheit verbundenen Individualwirthschaften, beziehungsweise der auf die Pflege dieses Organismus von Individualwirthschaften gerichteten staatlichen Thätigkeit sind (S. 233 ff. meiner Untersuchungen), sondern auch das Wesen der Singularerscheinungen der menschlichen Wirthschaft und ihren Zusammenhang mit den Erscheinungen der „Volkswirthschaft“ in dem obigen Verstande des Wortes. Die Volkswirthschaftslehre hat uns z. B. auch das Wesen „der individuellen Bedürfnisse“, das Wesen der „Güter“, ja selbst das Wesen solcher Wirthschafts- Phänomene darzulegen, welche, wie z. B. der „Gebrauchswerth“, durchaus subjectiver Natur, lediglich im Individuum real

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Zitationshilfe: Menger, Carl: Die Irrthümer des Historismus in der deutschen Nationalökonomie. Wien, 1884, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menger_historismus_1884/59>, abgerufen am 24.04.2024.