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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.

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gethan, und so baut sich um uns die unermeßliche
Büchermasse, die mit jedem Tage wächst, und wir
erstaunen über das Ungeheure dieser Erscheinung,
über das neue Wunder der Welt, die cyklopischen
Mauern, die der Geist sich gründet.

Nach einem mäßigen Überschlage werden jährlich
in Deutschland zehn Millionen Bände neu gedruckt.
Da jeder halbjährige Meßkatalog über tausend deut¬
sche Schriftsteller nahmhaft macht, so dürfen wir an¬
nehmen, daß im gegenwärtigen Augenblick gegen fünf¬
zigtausend Menschen in Deutschland leben, die ein
Buch oder mehr geschrieben haben. Steigt ihre Zahl
in der bisherigen Progression, so wird man einst ein
Verzeichniß aller ältern und neuern deutschen Auto¬
ren verfertigen können, das mehr Namen enthalten
wird, als ein Verzeichniß aller lebenden Leser.

Die Wirkung dieser literarischen Thätigkeit schlägt
uns gleichsam in die Augen. Wohin wir uns wen¬
den, erblicken wir Bücher und Leser. Auch die kleinste
Stadt hat ihre Leseanstalt, der ärmste Honoratior
seine Handbibliothek. Was wir auch in der einen
Hand haben mögen, in der andern haben wir gewiß
immer ein Buch. Alles, vom Regieren bis zum Kin¬
derwiegen ist eine Wissenschaft geworden, und will
studirt seyn. Die Literatur ist die allgemeine Reichs¬
apotheke geworden, und da das ganze Reich immer
kränker wird, je mehr es Arzneien einnimmt, so neh¬
men doch eben darum die Arzneien nicht ab, sondern
zu. Bücher helfen für alles. Was man nicht weiß,

gethan, und ſo baut ſich um uns die unermeßliche
Buͤchermaſſe, die mit jedem Tage waͤchſt, und wir
erſtaunen uͤber das Ungeheure dieſer Erſcheinung,
uͤber das neue Wunder der Welt, die cyklopiſchen
Mauern, die der Geiſt ſich gruͤndet.

Nach einem maͤßigen Überſchlage werden jaͤhrlich
in Deutſchland zehn Millionen Baͤnde neu gedruckt.
Da jeder halbjaͤhrige Meßkatalog uͤber tauſend deut¬
ſche Schriftſteller nahmhaft macht, ſo duͤrfen wir an¬
nehmen, daß im gegenwaͤrtigen Augenblick gegen fuͤnf¬
zigtauſend Menſchen in Deutſchland leben, die ein
Buch oder mehr geſchrieben haben. Steigt ihre Zahl
in der bisherigen Progreſſion, ſo wird man einſt ein
Verzeichniß aller aͤltern und neuern deutſchen Auto¬
ren verfertigen koͤnnen, das mehr Namen enthalten
wird, als ein Verzeichniß aller lebenden Leſer.

Die Wirkung dieſer literariſchen Thaͤtigkeit ſchlaͤgt
uns gleichſam in die Augen. Wohin wir uns wen¬
den, erblicken wir Buͤcher und Leſer. Auch die kleinſte
Stadt hat ihre Leſeanſtalt, der aͤrmſte Honoratior
ſeine Handbibliothek. Was wir auch in der einen
Hand haben moͤgen, in der andern haben wir gewiß
immer ein Buch. Alles, vom Regieren bis zum Kin¬
derwiegen iſt eine Wiſſenſchaft geworden, und will
ſtudirt ſeyn. Die Literatur iſt die allgemeine Reichs¬
apotheke geworden, und da das ganze Reich immer
kraͤnker wird, je mehr es Arzneien einnimmt, ſo neh¬
men doch eben darum die Arzneien nicht ab, ſondern
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[2/0012] gethan, und ſo baut ſich um uns die unermeßliche Buͤchermaſſe, die mit jedem Tage waͤchſt, und wir erſtaunen uͤber das Ungeheure dieſer Erſcheinung, uͤber das neue Wunder der Welt, die cyklopiſchen Mauern, die der Geiſt ſich gruͤndet. Nach einem maͤßigen Überſchlage werden jaͤhrlich in Deutſchland zehn Millionen Baͤnde neu gedruckt. Da jeder halbjaͤhrige Meßkatalog uͤber tauſend deut¬ ſche Schriftſteller nahmhaft macht, ſo duͤrfen wir an¬ nehmen, daß im gegenwaͤrtigen Augenblick gegen fuͤnf¬ zigtauſend Menſchen in Deutſchland leben, die ein Buch oder mehr geſchrieben haben. Steigt ihre Zahl in der bisherigen Progreſſion, ſo wird man einſt ein Verzeichniß aller aͤltern und neuern deutſchen Auto¬ ren verfertigen koͤnnen, das mehr Namen enthalten wird, als ein Verzeichniß aller lebenden Leſer. Die Wirkung dieſer literariſchen Thaͤtigkeit ſchlaͤgt uns gleichſam in die Augen. Wohin wir uns wen¬ den, erblicken wir Buͤcher und Leſer. Auch die kleinſte Stadt hat ihre Leſeanſtalt, der aͤrmſte Honoratior ſeine Handbibliothek. Was wir auch in der einen Hand haben moͤgen, in der andern haben wir gewiß immer ein Buch. Alles, vom Regieren bis zum Kin¬ derwiegen iſt eine Wiſſenſchaft geworden, und will ſtudirt ſeyn. Die Literatur iſt die allgemeine Reichs¬ apotheke geworden, und da das ganze Reich immer kraͤnker wird, je mehr es Arzneien einnimmt, ſo neh¬ men doch eben darum die Arzneien nicht ab, ſondern zu. Buͤcher helfen fuͤr alles. Was man nicht weiß,

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/12>, abgerufen am 28.03.2024.