Wenden wir uns zu den historischen Bedin¬ gungen der heutigen Entwicklung unsrer Literatur, so muß uns zuerst auffallen, daß alle literarische Bil¬ dung ursprünglich an die Kirche geknüpft war. Die¬ sen Einfluß hat sich die Literatur auch bis auf den heutigen Tag noch nicht völlig entzogen. Von der Priesterkaste kam die Literatur an die Gelehrtenzunft, und aller Schulzwang in unsern Schriften schreibt sich daher. Das Interesse der Zunft und die Disciplin der Bildungsanstalten haben das Gepräge der Vergan¬ genheit immer noch jedem neuen Jahrhundert aufge¬ drückt, wie wohl es sich allmählig immer mehr verwischt. Folgen davon sind kastenmäßige Ausschließlichkeit, Vornehmigkeit, Unduldsamkeit, Pedanterie alter Ge¬ wöhnung, Stubenweisheit und Entfernung von der Natur. Doch hat es auch seine schöne und achtbare Seite. Indem alles literarische Leben von der geist¬ lichen, später gelehrten Kaste ausging, nahm es alle Tugenden und Gebrechen des Zunftgeistes in sich
Einfluß der Schulgelehrſamkeit.
Wenden wir uns zu den hiſtoriſchen Bedin¬ gungen der heutigen Entwicklung unſrer Literatur, ſo muß uns zuerſt auffallen, daß alle literariſche Bil¬ dung urſpruͤnglich an die Kirche geknuͤpft war. Die¬ ſen Einfluß hat ſich die Literatur auch bis auf den heutigen Tag noch nicht voͤllig entzogen. Von der Prieſterkaſte kam die Literatur an die Gelehrtenzunft, und aller Schulzwang in unſern Schriften ſchreibt ſich daher. Das Intereſſe der Zunft und die Disciplin der Bildungsanſtalten haben das Gepraͤge der Vergan¬ genheit immer noch jedem neuen Jahrhundert aufge¬ druͤckt, wie wohl es ſich allmaͤhlig immer mehr verwiſcht. Folgen davon ſind kaſtenmaͤßige Ausſchließlichkeit, Vornehmigkeit, Unduldſamkeit, Pedanterie alter Ge¬ woͤhnung, Stubenweisheit und Entfernung von der Natur. Doch hat es auch ſeine ſchoͤne und achtbare Seite. Indem alles literariſche Leben von der geiſt¬ lichen, ſpaͤter gelehrten Kaſte ausging, nahm es alle Tugenden und Gebrechen des Zunftgeiſtes in ſich
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0043"n="33"/></div><divn="1"><head>Einfluß der Schulgelehrſamkeit.<lb/></head><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Wenden wir uns zu den <hirendition="#g">hiſtoriſchen</hi> Bedin¬<lb/>
gungen der heutigen Entwicklung unſrer Literatur,<lb/>ſo muß uns zuerſt auffallen, daß alle literariſche Bil¬<lb/>
dung urſpruͤnglich an die Kirche geknuͤpft war. Die¬<lb/>ſen Einfluß hat ſich die Literatur auch bis auf den<lb/>
heutigen Tag noch nicht voͤllig entzogen. Von der<lb/>
Prieſterkaſte kam die Literatur an die Gelehrtenzunft,<lb/>
und aller Schulzwang in unſern Schriften ſchreibt<lb/>ſich daher. Das Intereſſe der Zunft und die Disciplin<lb/>
der Bildungsanſtalten haben das Gepraͤge der Vergan¬<lb/>
genheit immer noch jedem neuen Jahrhundert aufge¬<lb/>
druͤckt, wie wohl es ſich allmaͤhlig immer mehr verwiſcht.<lb/>
Folgen davon ſind kaſtenmaͤßige Ausſchließlichkeit,<lb/>
Vornehmigkeit, Unduldſamkeit, Pedanterie alter Ge¬<lb/>
woͤhnung, Stubenweisheit und Entfernung von der<lb/>
Natur. Doch hat es auch ſeine ſchoͤne und achtbare<lb/>
Seite. Indem alles literariſche Leben von der geiſt¬<lb/>
lichen, ſpaͤter gelehrten Kaſte ausging, nahm es alle<lb/>
Tugenden und Gebrechen des Zunftgeiſtes in ſich<lb/></p></div></body></text></TEI>
[33/0043]
Einfluß der Schulgelehrſamkeit.
Wenden wir uns zu den hiſtoriſchen Bedin¬
gungen der heutigen Entwicklung unſrer Literatur,
ſo muß uns zuerſt auffallen, daß alle literariſche Bil¬
dung urſpruͤnglich an die Kirche geknuͤpft war. Die¬
ſen Einfluß hat ſich die Literatur auch bis auf den
heutigen Tag noch nicht voͤllig entzogen. Von der
Prieſterkaſte kam die Literatur an die Gelehrtenzunft,
und aller Schulzwang in unſern Schriften ſchreibt
ſich daher. Das Intereſſe der Zunft und die Disciplin
der Bildungsanſtalten haben das Gepraͤge der Vergan¬
genheit immer noch jedem neuen Jahrhundert aufge¬
druͤckt, wie wohl es ſich allmaͤhlig immer mehr verwiſcht.
Folgen davon ſind kaſtenmaͤßige Ausſchließlichkeit,
Vornehmigkeit, Unduldſamkeit, Pedanterie alter Ge¬
woͤhnung, Stubenweisheit und Entfernung von der
Natur. Doch hat es auch ſeine ſchoͤne und achtbare
Seite. Indem alles literariſche Leben von der geiſt¬
lichen, ſpaͤter gelehrten Kaſte ausging, nahm es alle
Tugenden und Gebrechen des Zunftgeiſtes in ſich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/43>, abgerufen am 24.03.2023.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2023. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.