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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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unsers Heilands -- das ist ein Greuel vor Gott und
Menschen."

"An den Galgen alle Prädikanten!" erscholl hinter
ihnen der Baß des die Pferde zum Aufbruche rüstenden
alten Knechts.

"So seid ihr aber, ihr Zürcher," fuhr Planta fort,
"daheim führt ihr ein verständiges züchtiges Regiment
und bekreuzt euch vor Neuerung und Umsturz. Thäte
sich bei euch ein Bursche hervor wie unser Prädikant
Jenatsch, er säße bald hinter Schloß und Riegel im
Wellenberg, oder ihr legtet ihm flugs den Kopf vor die
Füße. Von ferne aber erscheint euch der Unhold merk¬
würdig und eure Zünfte jauchzen seinen Freveln Beifall
zu. Euer neugieriger und unruhiger Geist ergötzt sich
daran, wenn die Flammen des Aufruhrs hell aufschlagen,
so lange sie euern eigenen First nicht bedrohen."

"Erlaubt --" wiederholte Herr Waser.

"Lassen wir das," schnitt ihm der Bündner das
Wort ab. "Ich will mir nicht das Blut vergiften.
Bin ich doch nicht hier als das Haupt meiner Partei,
sondern um eine einfache Vaterpflicht zu erfüllen.
Lucretia, mein Töchterchen, -- sie ist Euch ja nicht un¬
bekannt, -- kommt aus dem Kloster Cazis, wohin ich
sie zu den frommen Frauen geflüchtet hatte, als der
Sturm gegen mich losbrach, und ich führe sie nun auf

unſers Heilands — das iſt ein Greuel vor Gott und
Menſchen.“

„An den Galgen alle Prädikanten!“ erſcholl hinter
ihnen der Baß des die Pferde zum Aufbruche rüſtenden
alten Knechts.

„So ſeid ihr aber, ihr Zürcher,“ fuhr Planta fort,
„daheim führt ihr ein verſtändiges züchtiges Regiment
und bekreuzt euch vor Neuerung und Umſturz. Thäte
ſich bei euch ein Burſche hervor wie unſer Prädikant
Jenatſch, er ſäße bald hinter Schloß und Riegel im
Wellenberg, oder ihr legtet ihm flugs den Kopf vor die
Füße. Von ferne aber erſcheint euch der Unhold merk¬
würdig und eure Zünfte jauchzen ſeinen Freveln Beifall
zu. Euer neugieriger und unruhiger Geiſt ergötzt ſich
daran, wenn die Flammen des Aufruhrs hell aufſchlagen,
ſo lange ſie euern eigenen Firſt nicht bedrohen.“

„Erlaubt —“ wiederholte Herr Waſer.

„Laſſen wir das,“ ſchnitt ihm der Bündner das
Wort ab. „Ich will mir nicht das Blut vergiften.
Bin ich doch nicht hier als das Haupt meiner Partei,
ſondern um eine einfache Vaterpflicht zu erfüllen.
Lucretia, mein Töchterchen, — ſie iſt Euch ja nicht un¬
bekannt, — kommt aus dem Kloſter Cazis, wohin ich
ſie zu den frommen Frauen geflüchtet hatte, als der
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[10/0020] unſers Heilands — das iſt ein Greuel vor Gott und Menſchen.“ „An den Galgen alle Prädikanten!“ erſcholl hinter ihnen der Baß des die Pferde zum Aufbruche rüſtenden alten Knechts. „So ſeid ihr aber, ihr Zürcher,“ fuhr Planta fort, „daheim führt ihr ein verſtändiges züchtiges Regiment und bekreuzt euch vor Neuerung und Umſturz. Thäte ſich bei euch ein Burſche hervor wie unſer Prädikant Jenatſch, er ſäße bald hinter Schloß und Riegel im Wellenberg, oder ihr legtet ihm flugs den Kopf vor die Füße. Von ferne aber erſcheint euch der Unhold merk¬ würdig und eure Zünfte jauchzen ſeinen Freveln Beifall zu. Euer neugieriger und unruhiger Geiſt ergötzt ſich daran, wenn die Flammen des Aufruhrs hell aufſchlagen, ſo lange ſie euern eigenen Firſt nicht bedrohen.“ „Erlaubt —“ wiederholte Herr Waſer. „Laſſen wir das,“ ſchnitt ihm der Bündner das Wort ab. „Ich will mir nicht das Blut vergiften. Bin ich doch nicht hier als das Haupt meiner Partei, ſondern um eine einfache Vaterpflicht zu erfüllen. Lucretia, mein Töchterchen, — ſie iſt Euch ja nicht un¬ bekannt, — kommt aus dem Kloſter Cazis, wohin ich ſie zu den frommen Frauen geflüchtet hatte, als der Sturm gegen mich losbrach, und ich führe ſie nun auf

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/20>, abgerufen am 25.04.2024.