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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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in Mailand verweile, wurde mir zur Gewißheit, was
mir schon früher eine in meinem Kloster am Comersee
zufällig aufgefangene Rede verrieth.

Kurz vor der Weinlese herbergte dort ein fran¬
zösischer Ordensbruder, ein beredter Prediger, der zur
Erholung seiner abgearbeiteten Lunge und des ewigen
Heiles wegen -- wozu Gott uns Allen in Gnaden ver¬
helfe -- den Weg nach Rom angetreten hatte. Beim
Nachtessen im Refectorium klagte der Prior mit ihm
über die Zeitläufte und bedauerte, daß das Valtelin
durch den Vertrag von Ehiavenna wiederum zu Bünden
geschlagen werde. "Darüber seid ohne Sorgen," fuhr
der Franzose heraus, der nicht wußte, daß ein guter
Bündner am Tische saß, "daß dieser Vertrag keinen
Soldo werth ist, weiß ich aus bester Quelle. Als ich
mich in Paris vor meiner Abreise bei meinem Supe¬
rior, dem Pater Joseph beurlaubte, kam ich gerade dazu,
wie dieser und der Nuntius des heiligen Vaters den
Entwurf besagten Vertrags ihren prüfenden Blicken
unterwarfen. Der Nuntius ließ sich hart dagegen aus,
der hitzige Pater Joseph aber zerknitterte das Papier
in seiner Faust, ballte es zu einer Kugel zusammen
und warf es in den Winkel mit den Worten: "Dieser
Vertrag eines Ketzers mit Ketzern wird niemals
gelten." --

Meyer, Georg Jenatsch. 18

in Mailand verweile, wurde mir zur Gewißheit, was
mir ſchon früher eine in meinem Kloſter am Comerſee
zufällig aufgefangene Rede verrieth.

Kurz vor der Weinleſe herbergte dort ein fran¬
zöſiſcher Ordensbruder, ein beredter Prediger, der zur
Erholung ſeiner abgearbeiteten Lunge und des ewigen
Heiles wegen — wozu Gott uns Allen in Gnaden ver¬
helfe — den Weg nach Rom angetreten hatte. Beim
Nachteſſen im Refectorium klagte der Prior mit ihm
über die Zeitläufte und bedauerte, daß das Valtelin
durch den Vertrag von Ehiavenna wiederum zu Bünden
geſchlagen werde. „Darüber ſeid ohne Sorgen,“ fuhr
der Franzoſe heraus, der nicht wußte, daß ein guter
Bündner am Tiſche ſaß, „daß dieſer Vertrag keinen
Soldo werth iſt, weiß ich aus beſter Quelle. Als ich
mich in Paris vor meiner Abreiſe bei meinem Supe¬
rior, dem Pater Joſeph beurlaubte, kam ich gerade dazu,
wie dieſer und der Nuntius des heiligen Vaters den
Entwurf beſagten Vertrags ihren prüfenden Blicken
unterwarfen. Der Nuntius ließ ſich hart dagegen aus,
der hitzige Pater Joſeph aber zerknitterte das Papier
in ſeiner Fauſt, ballte es zu einer Kugel zuſammen
und warf es in den Winkel mit den Worten: „Dieſer
Vertrag eines Ketzers mit Ketzern wird niemals
gelten.“ —

Meyer, Georg Jenatſch. 18
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[273/0283] in Mailand verweile, wurde mir zur Gewißheit, was mir ſchon früher eine in meinem Kloſter am Comerſee zufällig aufgefangene Rede verrieth. Kurz vor der Weinleſe herbergte dort ein fran¬ zöſiſcher Ordensbruder, ein beredter Prediger, der zur Erholung ſeiner abgearbeiteten Lunge und des ewigen Heiles wegen — wozu Gott uns Allen in Gnaden ver¬ helfe — den Weg nach Rom angetreten hatte. Beim Nachteſſen im Refectorium klagte der Prior mit ihm über die Zeitläufte und bedauerte, daß das Valtelin durch den Vertrag von Ehiavenna wiederum zu Bünden geſchlagen werde. „Darüber ſeid ohne Sorgen,“ fuhr der Franzoſe heraus, der nicht wußte, daß ein guter Bündner am Tiſche ſaß, „daß dieſer Vertrag keinen Soldo werth iſt, weiß ich aus beſter Quelle. Als ich mich in Paris vor meiner Abreiſe bei meinem Supe¬ rior, dem Pater Joſeph beurlaubte, kam ich gerade dazu, wie dieſer und der Nuntius des heiligen Vaters den Entwurf beſagten Vertrags ihren prüfenden Blicken unterwarfen. Der Nuntius ließ ſich hart dagegen aus, der hitzige Pater Joſeph aber zerknitterte das Papier in ſeiner Fauſt, ballte es zu einer Kugel zuſammen und warf es in den Winkel mit den Worten: „Dieſer Vertrag eines Ketzers mit Ketzern wird niemals gelten.“ — Meyer, Georg Jenatſch. 18

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/283>, abgerufen am 19.04.2024.