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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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wyl ein Haus, das er sich auf alle Fälle hin erworben,
da es in Bünden wie draußen im Reich nicht mehr
ganz geheuer sei. Lucretia habe ihn dahin begleiten
dürfen. Wie er dann von Semmler erfuhr, was das
Kind nach Zürich getrieben, brach er in ein schallendes
Gelächter aus, das aber nicht heiter klang.

Als nach beendigtem Mahle die Herren beim Weine
saßen, während die Frau Magisterin sich mit Lucretia
beschäftigte, erkundigte sich Planta, vom Gespräch ab¬
springend, plötzlich nach dem jungen Jenatsch. Semmler
lobte seine Begabung und seinen Fleiß und Waser wurde
abgeschickt, ihn aus dem Hause des ehrsamen Schuh¬
machers, wo er sich in Kost gegeben hatte, abzuholen.
Nach wenigen Augenblicken trat Georg Jenatsch in die
Stube.

"Wie geht es, Jürg?" rief der Freiherr dem
Knaben gütig entgegen, und dieser antwortete bescheiden
und doch mit einer gewissen stolzen Zurückhaltung, daß
er sein Mögliches thue. Der Freiherr versprach, ihn
bei seinem Vater zu rühmen und wollte ihn mit einem
Wink verabschieden; aber der Knabe blieb stehen.
"Gestattet mir ein Wort, Herr Pompejus!" sagte er
leicht erröthend; "Die kleine Lucretia ist um meinetwillen
wie eine Pilgerin im Staube der Landstraße gegangen.
Sie hat meiner nicht vergessen und mir aus der Heimath

wyl ein Haus, das er ſich auf alle Fälle hin erworben,
da es in Bünden wie draußen im Reich nicht mehr
ganz geheuer ſei. Lucretia habe ihn dahin begleiten
dürfen. Wie er dann von Semmler erfuhr, was das
Kind nach Zürich getrieben, brach er in ein ſchallendes
Gelächter aus, das aber nicht heiter klang.

Als nach beendigtem Mahle die Herren beim Weine
ſaßen, während die Frau Magiſterin ſich mit Lucretia
beſchäftigte, erkundigte ſich Planta, vom Geſpräch ab¬
ſpringend, plötzlich nach dem jungen Jenatſch. Semmler
lobte ſeine Begabung und ſeinen Fleiß und Waſer wurde
abgeſchickt, ihn aus dem Hauſe des ehrſamen Schuh¬
machers, wo er ſich in Koſt gegeben hatte, abzuholen.
Nach wenigen Augenblicken trat Georg Jenatſch in die
Stube.

„Wie geht es, Jürg?“ rief der Freiherr dem
Knaben gütig entgegen, und dieſer antwortete beſcheiden
und doch mit einer gewiſſen ſtolzen Zurückhaltung, daß
er ſein Mögliches thue. Der Freiherr verſprach, ihn
bei ſeinem Vater zu rühmen und wollte ihn mit einem
Wink verabſchieden; aber der Knabe blieb ſtehen.
„Geſtattet mir ein Wort, Herr Pompejus!“ ſagte er
leicht erröthend; „Die kleine Lucretia iſt um meinetwillen
wie eine Pilgerin im Staube der Landſtraße gegangen.
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[20/0030] wyl ein Haus, das er ſich auf alle Fälle hin erworben, da es in Bünden wie draußen im Reich nicht mehr ganz geheuer ſei. Lucretia habe ihn dahin begleiten dürfen. Wie er dann von Semmler erfuhr, was das Kind nach Zürich getrieben, brach er in ein ſchallendes Gelächter aus, das aber nicht heiter klang. Als nach beendigtem Mahle die Herren beim Weine ſaßen, während die Frau Magiſterin ſich mit Lucretia beſchäftigte, erkundigte ſich Planta, vom Geſpräch ab¬ ſpringend, plötzlich nach dem jungen Jenatſch. Semmler lobte ſeine Begabung und ſeinen Fleiß und Waſer wurde abgeſchickt, ihn aus dem Hauſe des ehrſamen Schuh¬ machers, wo er ſich in Koſt gegeben hatte, abzuholen. Nach wenigen Augenblicken trat Georg Jenatſch in die Stube. „Wie geht es, Jürg?“ rief der Freiherr dem Knaben gütig entgegen, und dieſer antwortete beſcheiden und doch mit einer gewiſſen ſtolzen Zurückhaltung, daß er ſein Mögliches thue. Der Freiherr verſprach, ihn bei ſeinem Vater zu rühmen und wollte ihn mit einem Wink verabſchieden; aber der Knabe blieb ſtehen. „Geſtattet mir ein Wort, Herr Pompejus!“ ſagte er leicht erröthend; „Die kleine Lucretia iſt um meinetwillen wie eine Pilgerin im Staube der Landſtraße gegangen. Sie hat meiner nicht vergeſſen und mir aus der Heimath

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/30>, abgerufen am 20.04.2024.