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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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Uebereinkommen ein, mußte darauf eingehen. Der dem
Cardinal an kluger Berechnung ebenbürtige Bündner
hatte die Maschen des Netzes zu fest geknüpft und zu
sicher zusammengezogen, als daß selbst die Schlauheit
Richelieus eine Lücke zum Durchschlüpfen gefunden
hätte. Vielleicht dachte dieser noch an die Möglichkeit,
es mit Gewalt zu zerreißen, aber dafür war der sein
gegebenes Wort hoch und heilig haltende Rohan nicht
zu verwenden.

Dieser war seinem anrückenden Heere nicht ent¬
gegen geritten und befand sich nicht in dessen Mitte.
Nach dem grausamen Auftritte im Sprecherschen Hause
hatte ihn ein Rückfall seines Uebels aufs Krankenlager
geworfen, und jetzt war er kaum so weit genesen, um
in eigner Person sein Heer über die wenige Meilen
von Chur entfernte bündnerische Grenze führen zu
können. In der frischen Morgenfrühe des nächsten
Tages wollte er sich zum letzten Male als Feldherr an
die Spitze seiner Truppen stellen, um mit ihnen das
Land zu verlassen, für das er so viel gethan und das
ihm seine Liebe so schlecht gelohnt hatte.

Als die das Heer verkündende große Staubwolke
sich näherte, strömte viel Volk aus der Stadt, Jung
und Alt, den anrückenden Franzosen entgegen, welchen
die Bürger von Chur niemals wie die wilden Leute

Uebereinkommen ein, mußte darauf eingehen. Der dem
Cardinal an kluger Berechnung ebenbürtige Bündner
hatte die Maſchen des Netzes zu feſt geknüpft und zu
ſicher zuſammengezogen, als daß ſelbſt die Schlauheit
Richelieus eine Lücke zum Durchſchlüpfen gefunden
hätte. Vielleicht dachte dieſer noch an die Möglichkeit,
es mit Gewalt zu zerreißen, aber dafür war der ſein
gegebenes Wort hoch und heilig haltende Rohan nicht
zu verwenden.

Dieſer war ſeinem anrückenden Heere nicht ent¬
gegen geritten und befand ſich nicht in deſſen Mitte.
Nach dem grauſamen Auftritte im Sprecherſchen Hauſe
hatte ihn ein Rückfall ſeines Uebels aufs Krankenlager
geworfen, und jetzt war er kaum ſo weit geneſen, um
in eigner Perſon ſein Heer über die wenige Meilen
von Chur entfernte bündneriſche Grenze führen zu
können. In der friſchen Morgenfrühe des nächſten
Tages wollte er ſich zum letzten Male als Feldherr an
die Spitze ſeiner Truppen ſtellen, um mit ihnen das
Land zu verlaſſen, für das er ſo viel gethan und das
ihm ſeine Liebe ſo ſchlecht gelohnt hatte.

Als die das Heer verkündende große Staubwolke
ſich näherte, ſtrömte viel Volk aus der Stadt, Jung
und Alt, den anrückenden Franzoſen entgegen, welchen
die Bürger von Chur niemals wie die wilden Leute

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[327/0337] Uebereinkommen ein, mußte darauf eingehen. Der dem Cardinal an kluger Berechnung ebenbürtige Bündner hatte die Maſchen des Netzes zu feſt geknüpft und zu ſicher zuſammengezogen, als daß ſelbſt die Schlauheit Richelieus eine Lücke zum Durchſchlüpfen gefunden hätte. Vielleicht dachte dieſer noch an die Möglichkeit, es mit Gewalt zu zerreißen, aber dafür war der ſein gegebenes Wort hoch und heilig haltende Rohan nicht zu verwenden. Dieſer war ſeinem anrückenden Heere nicht ent¬ gegen geritten und befand ſich nicht in deſſen Mitte. Nach dem grauſamen Auftritte im Sprecherſchen Hauſe hatte ihn ein Rückfall ſeines Uebels aufs Krankenlager geworfen, und jetzt war er kaum ſo weit geneſen, um in eigner Perſon ſein Heer über die wenige Meilen von Chur entfernte bündneriſche Grenze führen zu können. In der friſchen Morgenfrühe des nächſten Tages wollte er ſich zum letzten Male als Feldherr an die Spitze ſeiner Truppen ſtellen, um mit ihnen das Land zu verlaſſen, für das er ſo viel gethan und das ihm ſeine Liebe ſo ſchlecht gelohnt hatte. Als die das Heer verkündende große Staubwolke ſich näherte, ſtrömte viel Volk aus der Stadt, Jung und Alt, den anrückenden Franzoſen entgegen, welchen die Bürger von Chur niemals wie die wilden Leute

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/337>, abgerufen am 18.04.2024.