Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849.

Bild:
<< vorherige Seite

partei die Versammlung nannte, auseinander zu jagen und der-
gleichen.

Am 13. November, wo das Volk selbst an die Stelle der
Bürgerwehr Spalier für die Abgeordneten gebildet hatte, nahm
die Versammlung eine Denkschrift an, worin sie den Grafen
Brandenburg in Anklagestand versetzte; sie beschoß ferner den
Druck derselben, und theilte sie dem Staatsanwalt mit, da-
mit dieser "seine Pflicht thue". Nun erreichte die Gewaltherr-
schaft den höchsten Grad. Es wurde Hand an die geheiligten
Personen der Volksvertreter gelegt, die nach aufgehobener Sitzung
im Saale zurückgeblieben waren. Die Krieger, die den Auftrag
dazu hatten, thaten es mit zitternder Hand, und einem innern
auf ihrem Antlitz sich abspiegelnden Widerwillen. Das Stand-
recht ward erklärt und jedem mit einem Kriegsgericht gedroht, der
"auf den Kriegsschauplatz den preußischen Truppen durch eine
verrätherische Handlung Gefahr oder Nachtheil bereitet." Am
selben Tage brachte der Staatsanzeiger die Nachricht, daß in
Wien Robert Blum durch Pulver und Blei vom Leben zum
Tode befördert worden. Es lag nicht an den Ministern, daß das
Königthum nicht zum rothen wurde. Die Kriegs-Auditeure er-
sparten der Krone diese Schmach; keiner wollte sich zu einem
Kriegsgerichte hergeben. Andererseits verweigerte aber auch der
Staatsanwalt, die Anklage der Minister einzuleiten. Wie er dies
mit seinem Gewissen als Rechtsgelehrter vereinbaren kann, ist
freilich nicht abzusehen. Die Krone hatte im Erlaß vom
11. November, auf ihre Unverletzlichkeit gestützt, alle Verantwortlich-
keit ausdrücklich auf die Minister gewälzt. Jhre Schuld war
klar. Hochverrath, nämlich Verfassungsverletzung, lag unzweifel-
haft vor, da Verfassungsgesetze, wie das zum Schutze der per-
sönlichen Freiheit vom 24. September 1848, verletzt worden waren.
Denn nach §. 8. dieses Gesetzes muß der Belagerungszustand,
wenn er Gültigkeit haben soll, sofort von den Volksvertretern ge-
nehmigt werden; nach §. 5. dürfen Ausnahmegerichte unter kei-
nen Umständen eingesetzt werden, -- und die Minister hatten
das Standrecht für Bürgerliche verkünden lassen. Außerdem war die
verfassungsmäßig verbürgte Preßfreiheit verletzt. Jst es ferner
nicht überhaupt Hochverrath gegen die gesunde Vernunft, einem

partei die Verſammlung nannte, auseinander zu jagen und der-
gleichen.

Am 13. November, wo das Volk ſelbſt an die Stelle der
Bürgerwehr Spalier für die Abgeordneten gebildet hatte, nahm
die Verſammlung eine Denkſchrift an, worin ſie den Grafen
Brandenburg in Anklageſtand verſetzte; ſie beſchoß ferner den
Druck derſelben, und theilte ſie dem Staatsanwalt mit, da-
mit dieſer „ſeine Pflicht thue‟. Nun erreichte die Gewaltherr-
ſchaft den höchſten Grad. Es wurde Hand an die geheiligten
Perſonen der Volksvertreter gelegt, die nach aufgehobener Sitzung
im Saale zurückgeblieben waren. Die Krieger, die den Auftrag
dazu hatten, thaten es mit zitternder Hand, und einem innern
auf ihrem Antlitz ſich abſpiegelnden Widerwillen. Das Stand-
recht ward erklärt und jedem mit einem Kriegsgericht gedroht, der
„auf den Kriegsſchauplatz den preußiſchen Truppen durch eine
verrätheriſche Handlung Gefahr oder Nachtheil bereitet.‟ Am
ſelben Tage brachte der Staatsanzeiger die Nachricht, daß in
Wien Robert Blum durch Pulver und Blei vom Leben zum
Tode befördert worden. Es lag nicht an den Miniſtern, daß das
Königthum nicht zum rothen wurde. Die Kriegs-Auditeure er-
ſparten der Krone dieſe Schmach; keiner wollte ſich zu einem
Kriegsgerichte hergeben. Andererſeits verweigerte aber auch der
Staatsanwalt, die Anklage der Miniſter einzuleiten. Wie er dies
mit ſeinem Gewiſſen als Rechtsgelehrter vereinbaren kann, iſt
freilich nicht abzuſehen. Die Krone hatte im Erlaß vom
11. November, auf ihre Unverletzlichkeit geſtützt, alle Verantwortlich-
keit ausdrücklich auf die Miniſter gewälzt. Jhre Schuld war
klar. Hochverrath, nämlich Verfaſſungsverletzung, lag unzweifel-
haft vor, da Verfaſſungsgeſetze, wie das zum Schutze der per-
ſönlichen Freiheit vom 24. September 1848, verletzt worden waren.
Denn nach §. 8. dieſes Geſetzes muß der Belagerungszuſtand,
wenn er Gültigkeit haben ſoll, ſofort von den Volksvertretern ge-
nehmigt werden; nach §. 5. dürfen Ausnahmegerichte unter kei-
nen Umſtänden eingeſetzt werden, — und die Miniſter hatten
das Standrecht für Bürgerliche verkünden laſſen. Außerdem war die
verfaſſungsmäßig verbürgte Preßfreiheit verletzt. Jſt es ferner
nicht überhaupt Hochverrath gegen die geſunde Vernunft, einem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0026" n="16"/>
partei die Ver&#x017F;ammlung nannte, auseinander zu jagen und der-<lb/>
gleichen.</p><lb/>
        <p>Am 13. November, wo das Volk &#x017F;elb&#x017F;t an die Stelle der<lb/>
Bürgerwehr Spalier für die Abgeordneten gebildet hatte, nahm<lb/>
die Ver&#x017F;ammlung eine Denk&#x017F;chrift an, worin &#x017F;ie den Grafen<lb/>
Brandenburg in Anklage&#x017F;tand ver&#x017F;etzte; &#x017F;ie be&#x017F;choß ferner den<lb/>
Druck der&#x017F;elben, und theilte &#x017F;ie dem Staatsanwalt mit, da-<lb/>
mit die&#x017F;er &#x201E;&#x017F;eine Pflicht thue&#x201F;. Nun erreichte die Gewaltherr-<lb/>
&#x017F;chaft den höch&#x017F;ten Grad. Es wurde Hand an die geheiligten<lb/>
Per&#x017F;onen der Volksvertreter gelegt, die nach aufgehobener Sitzung<lb/>
im Saale zurückgeblieben waren. Die Krieger, die den Auftrag<lb/>
dazu hatten, thaten es mit zitternder Hand, und einem innern<lb/>
auf ihrem Antlitz &#x017F;ich ab&#x017F;piegelnden Widerwillen. Das Stand-<lb/>
recht ward erklärt und jedem mit einem Kriegsgericht gedroht, der<lb/>
&#x201E;auf den Kriegs&#x017F;chauplatz den preußi&#x017F;chen Truppen durch eine<lb/>
verrätheri&#x017F;che Handlung Gefahr oder Nachtheil bereitet.&#x201F; Am<lb/>
&#x017F;elben Tage brachte der Staatsanzeiger die Nachricht, daß in<lb/>
Wien <hi rendition="#g">Robert Blum</hi> durch Pulver und Blei vom Leben zum<lb/>
Tode befördert worden. Es lag nicht an den Mini&#x017F;tern, daß das<lb/>
Königthum nicht zum rothen wurde. Die Kriegs-Auditeure er-<lb/>
&#x017F;parten der Krone die&#x017F;e Schmach; keiner wollte &#x017F;ich zu einem<lb/>
Kriegsgerichte hergeben. Anderer&#x017F;eits verweigerte aber auch der<lb/>
Staatsanwalt, die Anklage der Mini&#x017F;ter einzuleiten. Wie er dies<lb/>
mit &#x017F;einem Gewi&#x017F;&#x017F;en als Rechtsgelehrter vereinbaren kann, i&#x017F;t<lb/>
freilich nicht abzu&#x017F;ehen. Die Krone hatte im Erlaß vom<lb/>
11. November, auf ihre Unverletzlichkeit ge&#x017F;tützt, alle Verantwortlich-<lb/>
keit ausdrücklich auf die Mini&#x017F;ter gewälzt. Jhre Schuld war<lb/>
klar. Hochverrath, nämlich Verfa&#x017F;&#x017F;ungsverletzung, lag unzweifel-<lb/>
haft vor, da Verfa&#x017F;&#x017F;ungsge&#x017F;etze, wie das zum Schutze der per-<lb/>
&#x017F;önlichen Freiheit vom 24. September 1848, verletzt worden waren.<lb/>
Denn nach §. 8. die&#x017F;es Ge&#x017F;etzes muß der Belagerungszu&#x017F;tand,<lb/>
wenn er Gültigkeit haben &#x017F;oll, &#x017F;ofort von den Volksvertretern ge-<lb/>
nehmigt werden; nach §. 5. dürfen Ausnahmegerichte unter kei-<lb/>
nen Um&#x017F;tänden einge&#x017F;etzt werden, &#x2014; und die Mini&#x017F;ter hatten<lb/>
das Standrecht für Bürgerliche verkünden la&#x017F;&#x017F;en. Außerdem war die<lb/>
verfa&#x017F;&#x017F;ungsmäßig verbürgte Preßfreiheit verletzt. J&#x017F;t es ferner<lb/>
nicht überhaupt Hochverrath gegen die ge&#x017F;unde Vernunft, einem<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[16/0026] partei die Verſammlung nannte, auseinander zu jagen und der- gleichen. Am 13. November, wo das Volk ſelbſt an die Stelle der Bürgerwehr Spalier für die Abgeordneten gebildet hatte, nahm die Verſammlung eine Denkſchrift an, worin ſie den Grafen Brandenburg in Anklageſtand verſetzte; ſie beſchoß ferner den Druck derſelben, und theilte ſie dem Staatsanwalt mit, da- mit dieſer „ſeine Pflicht thue‟. Nun erreichte die Gewaltherr- ſchaft den höchſten Grad. Es wurde Hand an die geheiligten Perſonen der Volksvertreter gelegt, die nach aufgehobener Sitzung im Saale zurückgeblieben waren. Die Krieger, die den Auftrag dazu hatten, thaten es mit zitternder Hand, und einem innern auf ihrem Antlitz ſich abſpiegelnden Widerwillen. Das Stand- recht ward erklärt und jedem mit einem Kriegsgericht gedroht, der „auf den Kriegsſchauplatz den preußiſchen Truppen durch eine verrätheriſche Handlung Gefahr oder Nachtheil bereitet.‟ Am ſelben Tage brachte der Staatsanzeiger die Nachricht, daß in Wien Robert Blum durch Pulver und Blei vom Leben zum Tode befördert worden. Es lag nicht an den Miniſtern, daß das Königthum nicht zum rothen wurde. Die Kriegs-Auditeure er- ſparten der Krone dieſe Schmach; keiner wollte ſich zu einem Kriegsgerichte hergeben. Andererſeits verweigerte aber auch der Staatsanwalt, die Anklage der Miniſter einzuleiten. Wie er dies mit ſeinem Gewiſſen als Rechtsgelehrter vereinbaren kann, iſt freilich nicht abzuſehen. Die Krone hatte im Erlaß vom 11. November, auf ihre Unverletzlichkeit geſtützt, alle Verantwortlich- keit ausdrücklich auf die Miniſter gewälzt. Jhre Schuld war klar. Hochverrath, nämlich Verfaſſungsverletzung, lag unzweifel- haft vor, da Verfaſſungsgeſetze, wie das zum Schutze der per- ſönlichen Freiheit vom 24. September 1848, verletzt worden waren. Denn nach §. 8. dieſes Geſetzes muß der Belagerungszuſtand, wenn er Gültigkeit haben ſoll, ſofort von den Volksvertretern ge- nehmigt werden; nach §. 5. dürfen Ausnahmegerichte unter kei- nen Umſtänden eingeſetzt werden, — und die Miniſter hatten das Standrecht für Bürgerliche verkünden laſſen. Außerdem war die verfaſſungsmäßig verbürgte Preßfreiheit verletzt. Jſt es ferner nicht überhaupt Hochverrath gegen die geſunde Vernunft, einem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849/26
Zitationshilfe: Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849/26>, abgerufen am 16.04.2024.