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Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849.

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ein reines Spiel? Besonders da "in solchen dringenden Fällen"
auch kurz vorher vereinbarte Gesetze, wie wir sehen mußten, wie-
der umgestoßen worden sind.

Aber, wird man uns erwiedern, die Minister haften ja nach
Artikel 59. mit ihrer Verantwortlichkeit dafür. Diese erstreckt sich
jedoch nicht auf das Privatrecht, wenn Einzelne dadurch verletzt
werden, daß solche Verordnung wieder rückgängig würde. Gegen
"Verrath und Bestechung" der Minister würde uns nun wohl
auch das Landrecht schon geschützt haben. Und was "die Ver-
fassungsverletzung" betrifft, so ist sie bei solchen Verordnungen
wenigstens nicht möglich, weil diese eben "verfassungsmäßig" sind.
Ob ein "dringender Fall" vorliege, müßte aber doch immer
erst von den Kammern zugegeben werden! Hiergegen, so wie in
Bezug auf die ganze Verantwortlichkeit, schützt nun aber die Mi-
nister eben wieder die "im dringenden Fall" mit Gesetzeskraft er-
lassene Verordnung vom 3. Januar: "Ueber die Einführung des
mündlichen und öffentlichen Verfahrens mit Geschworenen in Un-
tersuchungssachen." Denn nach §. 9. dieses Gesetzes hängt es
vom Oberstaatsanwalt ab, ob Klagen, welcher Art sie auch seien,
angenommen werden sollen oder nicht. Da nun, laut §. 3. dessel-
ben Gesetzes, der Oberstaatsanwalt "den Anweisungen des Ju-
stizministers nachzukommen hat," so liegt es in allen Fällen in
der Hand des Justizministers, ob er sich und seine Amtsgenossen
von den Kammern anklagen lassen will oder nicht. Man wende
nicht ein, daß dies nur eine eingebildete Furcht sei. Denn die
zur Vereinbarung berufene Versammlung der Preußischen Volks-
vertreter hat bereits die Erfahrung gemacht, daß der Staatsan-
walt ihrer Klage nicht Folge geleistet, und die Anklägerin an die
vorgesetzte Behörde verwiesen hat. Und sollte der Justizminister nun
auch der Ehre halber den Staatsanwalt zur Klage ermächtigen,
so richtet das Geheime Ober-Tribunal, welches die Gegenpartei
der Minister bereits ohne Rechtsgang verurtheilte. Hat das
Volk ein solches Spiel mit seinen Rechten erlaubt? Oder soll,
wir wiederholen es, der beschränkte Unterthanen-Verstand wieder
eingeführt werden?

Das Wahlgesetz für die zweite Kammer ist ziemlich nichts-
sagend, da die Artikel 66 -- 71. der Urkunde die wesentlichen Be-

ein reines Spiel? Beſonders da „in ſolchen dringenden Fällen‟
auch kurz vorher vereinbarte Geſetze, wie wir ſehen mußten, wie-
der umgeſtoßen worden ſind.

Aber, wird man uns erwiedern, die Miniſter haften ja nach
Artikel 59. mit ihrer Verantwortlichkeit dafür. Dieſe erſtreckt ſich
jedoch nicht auf das Privatrecht, wenn Einzelne dadurch verletzt
werden, daß ſolche Verordnung wieder rückgängig würde. Gegen
„Verrath und Beſtechung‟ der Miniſter würde uns nun wohl
auch das Landrecht ſchon geſchützt haben. Und was „die Ver-
faſſungsverletzung‟ betrifft, ſo iſt ſie bei ſolchen Verordnungen
wenigſtens nicht möglich, weil dieſe eben „verfaſſungsmäßig‟ ſind.
Ob ein „dringender Fall‟ vorliege, müßte aber doch immer
erſt von den Kammern zugegeben werden! Hiergegen, ſo wie in
Bezug auf die ganze Verantwortlichkeit, ſchützt nun aber die Mi-
niſter eben wieder die „im dringenden Fall‟ mit Geſetzeskraft er-
laſſene Verordnung vom 3. Januar: „Ueber die Einführung des
mündlichen und öffentlichen Verfahrens mit Geſchworenen in Un-
terſuchungsſachen.‟ Denn nach §. 9. dieſes Geſetzes hängt es
vom Oberſtaatsanwalt ab, ob Klagen, welcher Art ſie auch ſeien,
angenommen werden ſollen oder nicht. Da nun, laut §. 3. deſſel-
ben Geſetzes, der Oberſtaatsanwalt „den Anweiſungen des Ju-
ſtizminiſters nachzukommen hat,‟ ſo liegt es in allen Fällen in
der Hand des Juſtizminiſters, ob er ſich und ſeine Amtsgenoſſen
von den Kammern anklagen laſſen will oder nicht. Man wende
nicht ein, daß dies nur eine eingebildete Furcht ſei. Denn die
zur Vereinbarung berufene Verſammlung der Preußiſchen Volks-
vertreter hat bereits die Erfahrung gemacht, daß der Staatsan-
walt ihrer Klage nicht Folge geleiſtet, und die Anklägerin an die
vorgeſetzte Behörde verwieſen hat. Und ſollte der Juſtizminiſter nun
auch der Ehre halber den Staatsanwalt zur Klage ermächtigen,
ſo richtet das Geheime Ober-Tribunal, welches die Gegenpartei
der Miniſter bereits ohne Rechtsgang verurtheilte. Hat das
Volk ein ſolches Spiel mit ſeinen Rechten erlaubt? Oder ſoll,
wir wiederholen es, der beſchränkte Unterthanen-Verſtand wieder
eingeführt werden?

Das Wahlgeſetz für die zweite Kammer iſt ziemlich nichts-
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[28/0038] ein reines Spiel? Beſonders da „in ſolchen dringenden Fällen‟ auch kurz vorher vereinbarte Geſetze, wie wir ſehen mußten, wie- der umgeſtoßen worden ſind. Aber, wird man uns erwiedern, die Miniſter haften ja nach Artikel 59. mit ihrer Verantwortlichkeit dafür. Dieſe erſtreckt ſich jedoch nicht auf das Privatrecht, wenn Einzelne dadurch verletzt werden, daß ſolche Verordnung wieder rückgängig würde. Gegen „Verrath und Beſtechung‟ der Miniſter würde uns nun wohl auch das Landrecht ſchon geſchützt haben. Und was „die Ver- faſſungsverletzung‟ betrifft, ſo iſt ſie bei ſolchen Verordnungen wenigſtens nicht möglich, weil dieſe eben „verfaſſungsmäßig‟ ſind. Ob ein „dringender Fall‟ vorliege, müßte aber doch immer erſt von den Kammern zugegeben werden! Hiergegen, ſo wie in Bezug auf die ganze Verantwortlichkeit, ſchützt nun aber die Mi- niſter eben wieder die „im dringenden Fall‟ mit Geſetzeskraft er- laſſene Verordnung vom 3. Januar: „Ueber die Einführung des mündlichen und öffentlichen Verfahrens mit Geſchworenen in Un- terſuchungsſachen.‟ Denn nach §. 9. dieſes Geſetzes hängt es vom Oberſtaatsanwalt ab, ob Klagen, welcher Art ſie auch ſeien, angenommen werden ſollen oder nicht. Da nun, laut §. 3. deſſel- ben Geſetzes, der Oberſtaatsanwalt „den Anweiſungen des Ju- ſtizminiſters nachzukommen hat,‟ ſo liegt es in allen Fällen in der Hand des Juſtizminiſters, ob er ſich und ſeine Amtsgenoſſen von den Kammern anklagen laſſen will oder nicht. Man wende nicht ein, daß dies nur eine eingebildete Furcht ſei. Denn die zur Vereinbarung berufene Verſammlung der Preußiſchen Volks- vertreter hat bereits die Erfahrung gemacht, daß der Staatsan- walt ihrer Klage nicht Folge geleiſtet, und die Anklägerin an die vorgeſetzte Behörde verwieſen hat. Und ſollte der Juſtizminiſter nun auch der Ehre halber den Staatsanwalt zur Klage ermächtigen, ſo richtet das Geheime Ober-Tribunal, welches die Gegenpartei der Miniſter bereits ohne Rechtsgang verurtheilte. Hat das Volk ein ſolches Spiel mit ſeinen Rechten erlaubt? Oder ſoll, wir wiederholen es, der beſchränkte Unterthanen-Verſtand wieder eingeführt werden? Das Wahlgeſetz für die zweite Kammer iſt ziemlich nichts- ſagend, da die Artikel 66 — 71. der Urkunde die weſentlichen Be-

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Zitationshilfe: Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849/38>, abgerufen am 29.03.2024.