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Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849.

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Streichen der ministeriellen Willkür fallen zu können, so braucht
dieses nur im Jahre 1849, wie im Jahre 1848, der Ansicht zu
sein, daß auch der uns "verliehene" Theil dieser Rechte noch zur
"Anarchie" führe, und also nochmals beschränkt werden müsse,
wie ja die Verfassung vom 5. December bereits andeutet; und
auch in halbamtlichen Zeitungsaufsätzen sind uns schon vielfache
Aussichten dazu gemacht worden. Wann soll denn bei uns der
Anfang damit gemacht werden, daß es zu den Gesetzen der Zu-
stimmung des Volkes bedürfe? Und ist es noch wahr, daß jeder
Preuße weiß, Gesetze können nicht ohne den Willen seiner Ver-
treter gegeben werden, in einem Augenblicke, wo die Willkür der
Minister selbst die Schranken der durch das Patent vom 3. Fe-
bruar 1847 gegründeten Gesetzgebung übersprang? Statt nach
Verhängung des Belagerungszustandes wieder in die Bahn der
Gesetzlichkeit einzulenken, wozu die zu gewärtigende Beschlußfähig-
keit der Versammlung in Brandenburg dem Ministerium die beste
Gelegenheit darbot, wird die schon berufene Versammlung, welche
nach §. 8. des Gesetzes vom 24. September sofort über die
Rechtsgültigkeit des Belagerungszustandes entscheiden soll, sogar
aufgelöst. Hätte das Ministerium auch überhaupt das Recht,
eine verfassungsgründende Versammlung aufzulösen, in diesem Falle
verbot dies wenigstens der gedachte Gesetzes-Paragraph. Wollte
man ein Aeußerstes der Regierung nachlassen, so war es die Auflö-
sung der Volksvertretung und die Zusammenberufung einer neuen
nach dem Gesetz vom 8. April. Denn obgleich eine verfassungs-
gebende Versammlung -- und eine vereinbarende ist eine solche --
der Natur der Sache nach überhaupt nicht aufgelöst werden kann,
so war eben wegen der Stätigkeit des Rechtsübergangs, die
unsere März-Umwälzung auszeichnet, der Schein des Rechts für
eine Auflösung da. Was darüber geschah, ist ganz vom Uebel; und
die süße Gewohnheit des Octroyirens wird die Minister noch selbst
vor den gegenwärtigen Kammern in viele Verlegenheiten bringen.

Da also offenbare Verletzungen mehrerer seit dem März ge-
gebener Gesetze vorliegen, so thut es uns Leid, es sagen zu müssen:
die März-Umwälzung hat den Rechtsboden unverletzt gelassen,
die November-Umwälzung hat ihn untergraben; die Gewalt hat
sich in Preußen an die Stelle des Rechts gesetzt, und die Mini-

Streichen der miniſteriellen Willkür fallen zu können, ſo braucht
dieſes nur im Jahre 1849, wie im Jahre 1848, der Anſicht zu
ſein, daß auch der uns „verliehene‟ Theil dieſer Rechte noch zur
„Anarchie‟ führe, und alſo nochmals beſchränkt werden müſſe,
wie ja die Verfaſſung vom 5. December bereits andeutet; und
auch in halbamtlichen Zeitungsaufſätzen ſind uns ſchon vielfache
Ausſichten dazu gemacht worden. Wann ſoll denn bei uns der
Anfang damit gemacht werden, daß es zu den Geſetzen der Zu-
ſtimmung des Volkes bedürfe? Und iſt es noch wahr, daß jeder
Preuße weiß, Geſetze können nicht ohne den Willen ſeiner Ver-
treter gegeben werden, in einem Augenblicke, wo die Willkür der
Miniſter ſelbſt die Schranken der durch das Patent vom 3. Fe-
bruar 1847 gegründeten Geſetzgebung überſprang? Statt nach
Verhängung des Belagerungszuſtandes wieder in die Bahn der
Geſetzlichkeit einzulenken, wozu die zu gewärtigende Beſchlußfähig-
keit der Verſammlung in Brandenburg dem Miniſterium die beſte
Gelegenheit darbot, wird die ſchon berufene Verſammlung, welche
nach §. 8. des Geſetzes vom 24. September ſofort über die
Rechtsgültigkeit des Belagerungszuſtandes entſcheiden ſoll, ſogar
aufgelöſt. Hätte das Miniſterium auch überhaupt das Recht,
eine verfaſſungsgründende Verſammlung aufzulöſen, in dieſem Falle
verbot dies wenigſtens der gedachte Geſetzes-Paragraph. Wollte
man ein Aeußerſtes der Regierung nachlaſſen, ſo war es die Auflö-
ſung der Volksvertretung und die Zuſammenberufung einer neuen
nach dem Geſetz vom 8. April. Denn obgleich eine verfaſſungs-
gebende Verſammlung — und eine vereinbarende iſt eine ſolche —
der Natur der Sache nach überhaupt nicht aufgelöſt werden kann,
ſo war eben wegen der Stätigkeit des Rechtsübergangs, die
unſere März-Umwälzung auszeichnet, der Schein des Rechts für
eine Auflöſung da. Was darüber geſchah, iſt ganz vom Uebel; und
die ſüße Gewohnheit des Octroyirens wird die Miniſter noch ſelbſt
vor den gegenwärtigen Kammern in viele Verlegenheiten bringen.

Da alſo offenbare Verletzungen mehrerer ſeit dem März ge-
gebener Geſetze vorliegen, ſo thut es uns Leid, es ſagen zu müſſen:
die März-Umwälzung hat den Rechtsboden unverletzt gelaſſen,
die November-Umwälzung hat ihn untergraben; die Gewalt hat
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[30/0040] Streichen der miniſteriellen Willkür fallen zu können, ſo braucht dieſes nur im Jahre 1849, wie im Jahre 1848, der Anſicht zu ſein, daß auch der uns „verliehene‟ Theil dieſer Rechte noch zur „Anarchie‟ führe, und alſo nochmals beſchränkt werden müſſe, wie ja die Verfaſſung vom 5. December bereits andeutet; und auch in halbamtlichen Zeitungsaufſätzen ſind uns ſchon vielfache Ausſichten dazu gemacht worden. Wann ſoll denn bei uns der Anfang damit gemacht werden, daß es zu den Geſetzen der Zu- ſtimmung des Volkes bedürfe? Und iſt es noch wahr, daß jeder Preuße weiß, Geſetze können nicht ohne den Willen ſeiner Ver- treter gegeben werden, in einem Augenblicke, wo die Willkür der Miniſter ſelbſt die Schranken der durch das Patent vom 3. Fe- bruar 1847 gegründeten Geſetzgebung überſprang? Statt nach Verhängung des Belagerungszuſtandes wieder in die Bahn der Geſetzlichkeit einzulenken, wozu die zu gewärtigende Beſchlußfähig- keit der Verſammlung in Brandenburg dem Miniſterium die beſte Gelegenheit darbot, wird die ſchon berufene Verſammlung, welche nach §. 8. des Geſetzes vom 24. September ſofort über die Rechtsgültigkeit des Belagerungszuſtandes entſcheiden ſoll, ſogar aufgelöſt. Hätte das Miniſterium auch überhaupt das Recht, eine verfaſſungsgründende Verſammlung aufzulöſen, in dieſem Falle verbot dies wenigſtens der gedachte Geſetzes-Paragraph. Wollte man ein Aeußerſtes der Regierung nachlaſſen, ſo war es die Auflö- ſung der Volksvertretung und die Zuſammenberufung einer neuen nach dem Geſetz vom 8. April. Denn obgleich eine verfaſſungs- gebende Verſammlung — und eine vereinbarende iſt eine ſolche — der Natur der Sache nach überhaupt nicht aufgelöſt werden kann, ſo war eben wegen der Stätigkeit des Rechtsübergangs, die unſere März-Umwälzung auszeichnet, der Schein des Rechts für eine Auflöſung da. Was darüber geſchah, iſt ganz vom Uebel; und die ſüße Gewohnheit des Octroyirens wird die Miniſter noch ſelbſt vor den gegenwärtigen Kammern in viele Verlegenheiten bringen. Da alſo offenbare Verletzungen mehrerer ſeit dem März ge- gebener Geſetze vorliegen, ſo thut es uns Leid, es ſagen zu müſſen: die März-Umwälzung hat den Rechtsboden unverletzt gelaſſen, die November-Umwälzung hat ihn untergraben; die Gewalt hat ſich in Preußen an die Stelle des Rechts geſetzt, und die Mini-

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Zitationshilfe: Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849/40>, abgerufen am 19.04.2024.