Erstes Zusammentreffen -- der vielgereiste Engländer -- Kunst der Reise -- der Tourist von Fach und seine Reiseschüler -- apodemische Studien -- Verabredungen.
An einem regnerischen Nachmittage kam ich, der deutsche Herausgeber dieses Büchleins, im Wirthshause zu Meiringen an. Am Tische saßen zwei Herren, die englisch sprachen und wie Briten, aber doch nicht allzu particularistisch aussahen, sonst war Niemand im Zimmer. Ich setzte mich deshalb in Sprechweite an denselben Tisch, entschlossen, mit ihnen be- kannt zu werden, nöthigenfalls sie anzureden.
Mancher Leser wird schon hier verstimmt den Kopf schüt- teln und einen gesellschaftlichen und internationalen Verstoß darin sehen, Fremde, und gar Engländer, anreden zu wollen. So will ich denn nur gleich gestehen, daß ich selbst bei meinen frühesten Wanderungen diese Scheu vor Annäherung an Un- bekannte theilte, allmählich jedoch einsah, daß sie eines der lästigsten und zweckwidrigsten Gepäckstücke des Reisenden, mit- hin daheim zu lassen ist. Auch der Britenhaß gehört dar- unter, eine Erörterung beider Gegenstände mag indeß auf später vorbehalten bleiben.
Diesmal brauchte ich nicht die Kosten des ersten Schritts zu bestreiten, denn der ältere der beiden Herren kam mir nach wenigen Minuten entgegen durch eine in deutscher Sprache gemachte Bemerkung, welche, nach Ton und Blick zu schließen, keine bestimmte Adresse hatte, ich nahm sie daher für eine jener halben Einladungen zum Gespräch, die abgelehnt oder er- griffen, fallen gelassen und wieder aufgenommen werden kön-
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I.
Erſtes Zuſammentreffen — der vielgereiſte Engländer — Kunſt der Reiſe — der Touriſt von Fach und ſeine Reiſeſchüler — apodemiſche Studien — Verabredungen.
An einem regneriſchen Nachmittage kam ich, der deutſche Herausgeber dieſes Büchleins, im Wirthshauſe zu Meiringen an. Am Tiſche ſaßen zwei Herren, die engliſch ſprachen und wie Briten, aber doch nicht allzu particulariſtiſch ausſahen, ſonſt war Niemand im Zimmer. Ich ſetzte mich deshalb in Sprechweite an denſelben Tiſch, entſchloſſen, mit ihnen be- kannt zu werden, nöthigenfalls ſie anzureden.
Mancher Leſer wird ſchon hier verſtimmt den Kopf ſchüt- teln und einen geſellſchaftlichen und internationalen Verſtoß darin ſehen, Fremde, und gar Engländer, anreden zu wollen. So will ich denn nur gleich geſtehen, daß ich ſelbſt bei meinen früheſten Wanderungen dieſe Scheu vor Annäherung an Un- bekannte theilte, allmählich jedoch einſah, daß ſie eines der läſtigſten und zweckwidrigſten Gepäckſtücke des Reiſenden, mit- hin daheim zu laſſen iſt. Auch der Britenhaß gehört dar- unter, eine Erörterung beider Gegenſtände mag indeß auf ſpäter vorbehalten bleiben.
Diesmal brauchte ich nicht die Koſten des erſten Schritts zu beſtreiten, denn der ältere der beiden Herren kam mir nach wenigen Minuten entgegen durch eine in deutſcher Sprache gemachte Bemerkung, welche, nach Ton und Blick zu ſchließen, keine beſtimmte Adreſſe hatte, ich nahm ſie daher für eine jener halben Einladungen zum Geſpräch, die abgelehnt oder er- griffen, fallen gelaſſen und wieder aufgenommen werden kön-
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I.
Erſtes Zuſammentreffen — der vielgereiſte Engländer — Kunſt der Reiſe — der
Touriſt von Fach und ſeine Reiſeſchüler — apodemiſche Studien — Verabredungen.
An einem regneriſchen Nachmittage kam ich, der deutſche
Herausgeber dieſes Büchleins, im Wirthshauſe zu Meiringen
an. Am Tiſche ſaßen zwei Herren, die engliſch ſprachen und
wie Briten, aber doch nicht allzu particulariſtiſch ausſahen,
ſonſt war Niemand im Zimmer. Ich ſetzte mich deshalb in
Sprechweite an denſelben Tiſch, entſchloſſen, mit ihnen be-
kannt zu werden, nöthigenfalls ſie anzureden.
Mancher Leſer wird ſchon hier verſtimmt den Kopf ſchüt-
teln und einen geſellſchaftlichen und internationalen Verſtoß
darin ſehen, Fremde, und gar Engländer, anreden zu wollen.
So will ich denn nur gleich geſtehen, daß ich ſelbſt bei meinen
früheſten Wanderungen dieſe Scheu vor Annäherung an Un-
bekannte theilte, allmählich jedoch einſah, daß ſie eines der
läſtigſten und zweckwidrigſten Gepäckſtücke des Reiſenden, mit-
hin daheim zu laſſen iſt. Auch der Britenhaß gehört dar-
unter, eine Erörterung beider Gegenſtände mag indeß auf
ſpäter vorbehalten bleiben.
Diesmal brauchte ich nicht die Koſten des erſten Schritts
zu beſtreiten, denn der ältere der beiden Herren kam mir nach
wenigen Minuten entgegen durch eine in deutſcher Sprache
gemachte Bemerkung, welche, nach Ton und Blick zu ſchließen,
keine beſtimmte Adreſſe hatte, ich nahm ſie daher für eine jener
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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/15>, abgerufen am 17.02.2025.
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