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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

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VII. In internationalen Angelegenheiten.
Lady Milford von Ferdinand Walter alles über sich ergehen,
nur auf jenen einen Vorwurf, durch den in ihr ihre ganze
Nation beleidigt war, fühlte sie sich gedrungen, zu antwor-
ten -- das ist die internationale Anklage, die schon so lange
auf mir lastet. Ich kann hier unbesorgt weiter ausholen,
denn es handelt sich nicht um diese Vertheidigung allein, son-
dern um allgemeine touristische Angelegenheiten: gesellige
Anknüpfungen auf Reisen überhaupt, in er-
ster Linie mit Engländern
. Wir begegnen diesen, je
entlegenere Gebiete wir aufsuchen, immer häufiger und aus-
schließlicher, oft sind sie unsre einzigen Mittonristen, wir
würden darum "mit unsrem Brod und Butter hadern" (um
eins ihrer Sprüchwörter zu citiren), wenn wir sie, an alten
Gebräuchen festhaltend, grundsätzlich mieden. Um zu erör-
tern, ob die Gewohnheit berechtigt ist, mag die Anknüpfung
ein Gespräch bieten, dem ich einst, bald nachdem meine
beiden Gefährten heimwärts gezogen, beiwohnte, weil es eine
Mustersammlung der festlandläufigen Meinungen über den
Gegenstand enthält.

Ein junger Rheinpreuße äußerte: Nicht weniger als fünf
Nationalitäten sind an diesem Tische vertreten, wie ich sehe,
nur, merkwürdig genug, kein Englishman darunter. Das
nenne ich Glück! Nie kann ich mich auch entschließen, einen
anzureden. Ich würde mich und mein Land dadurch herab-
zusetzen glauben, denn John Bull kommt mir vor wie der
reiche Handelsherr, der auf seinen Vetter Michel, den armen,
kleinstädtischen Studenten, mit einer Miene sieht, von der
man nicht recht weiß, ob sie mehr auf Geringschätzung oder
die Besorgniß deutet, daß der junge Mann ihn anborgen,
vielleicht gar ein Concurrenzgeschäft anlegen will.

-- Ganz Ihrer Meinung, fiel ein Belgier ein, auch ich
meide diese Herren mit feuerrothen Backenbärten und dunkel-
rothen Büchern so viel ich kann. Betrachten wir doch nur
einmal einige, etwa auf einem rheinischen Dampfboote. Kaum
widmen sie einander ein Wort, auch zwischen Mann und

VII. In internationalen Angelegenheiten.
Lady Milford von Ferdinand Walter alles über ſich ergehen,
nur auf jenen einen Vorwurf, durch den in ihr ihre ganze
Nation beleidigt war, fühlte ſie ſich gedrungen, zu antwor-
ten — das iſt die internationale Anklage, die ſchon ſo lange
auf mir laſtet. Ich kann hier unbeſorgt weiter ausholen,
denn es handelt ſich nicht um dieſe Vertheidigung allein, ſon-
dern um allgemeine touriſtiſche Angelegenheiten: geſellige
Anknüpfungen auf Reiſen überhaupt, in er-
ſter Linie mit Engländern
. Wir begegnen dieſen, je
entlegenere Gebiete wir aufſuchen, immer häufiger und aus-
ſchließlicher, oft ſind ſie unſre einzigen Mittonriſten, wir
würden darum „mit unſrem Brod und Butter hadern“ (um
eins ihrer Sprüchwörter zu citiren), wenn wir ſie, an alten
Gebräuchen feſthaltend, grundſätzlich mieden. Um zu erör-
tern, ob die Gewohnheit berechtigt iſt, mag die Anknüpfung
ein Geſpräch bieten, dem ich einſt, bald nachdem meine
beiden Gefährten heimwärts gezogen, beiwohnte, weil es eine
Muſterſammlung der feſtlandläufigen Meinungen über den
Gegenſtand enthält.

Ein junger Rheinpreuße äußerte: Nicht weniger als fünf
Nationalitäten ſind an dieſem Tiſche vertreten, wie ich ſehe,
nur, merkwürdig genug, kein Engliſhman darunter. Das
nenne ich Glück! Nie kann ich mich auch entſchließen, einen
anzureden. Ich würde mich und mein Land dadurch herab-
zuſetzen glauben, denn John Bull kommt mir vor wie der
reiche Handelsherr, der auf ſeinen Vetter Michel, den armen,
kleinſtädtiſchen Studenten, mit einer Miene ſieht, von der
man nicht recht weiß, ob ſie mehr auf Geringſchätzung oder
die Beſorgniß deutet, daß der junge Mann ihn anborgen,
vielleicht gar ein Concurrenzgeſchäft anlegen will.

— Ganz Ihrer Meinung, fiel ein Belgier ein, auch ich
meide dieſe Herren mit feuerrothen Backenbärten und dunkel-
rothen Büchern ſo viel ich kann. Betrachten wir doch nur
einmal einige, etwa auf einem rheiniſchen Dampfboote. Kaum
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[203/0217] VII. In internationalen Angelegenheiten. Lady Milford von Ferdinand Walter alles über ſich ergehen, nur auf jenen einen Vorwurf, durch den in ihr ihre ganze Nation beleidigt war, fühlte ſie ſich gedrungen, zu antwor- ten — das iſt die internationale Anklage, die ſchon ſo lange auf mir laſtet. Ich kann hier unbeſorgt weiter ausholen, denn es handelt ſich nicht um dieſe Vertheidigung allein, ſon- dern um allgemeine touriſtiſche Angelegenheiten: geſellige Anknüpfungen auf Reiſen überhaupt, in er- ſter Linie mit Engländern. Wir begegnen dieſen, je entlegenere Gebiete wir aufſuchen, immer häufiger und aus- ſchließlicher, oft ſind ſie unſre einzigen Mittonriſten, wir würden darum „mit unſrem Brod und Butter hadern“ (um eins ihrer Sprüchwörter zu citiren), wenn wir ſie, an alten Gebräuchen feſthaltend, grundſätzlich mieden. Um zu erör- tern, ob die Gewohnheit berechtigt iſt, mag die Anknüpfung ein Geſpräch bieten, dem ich einſt, bald nachdem meine beiden Gefährten heimwärts gezogen, beiwohnte, weil es eine Muſterſammlung der feſtlandläufigen Meinungen über den Gegenſtand enthält. Ein junger Rheinpreuße äußerte: Nicht weniger als fünf Nationalitäten ſind an dieſem Tiſche vertreten, wie ich ſehe, nur, merkwürdig genug, kein Engliſhman darunter. Das nenne ich Glück! Nie kann ich mich auch entſchließen, einen anzureden. Ich würde mich und mein Land dadurch herab- zuſetzen glauben, denn John Bull kommt mir vor wie der reiche Handelsherr, der auf ſeinen Vetter Michel, den armen, kleinſtädtiſchen Studenten, mit einer Miene ſieht, von der man nicht recht weiß, ob ſie mehr auf Geringſchätzung oder die Beſorgniß deutet, daß der junge Mann ihn anborgen, vielleicht gar ein Concurrenzgeſchäft anlegen will. — Ganz Ihrer Meinung, fiel ein Belgier ein, auch ich meide dieſe Herren mit feuerrothen Backenbärten und dunkel- rothen Büchern ſo viel ich kann. Betrachten wir doch nur einmal einige, etwa auf einem rheiniſchen Dampfboote. Kaum widmen ſie einander ein Wort, auch zwiſchen Mann und

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Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/217>, abgerufen am 28.03.2024.