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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

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III. Reisekleider -- § 1 des Codex turisticus.
den Annalen der Touristik geht nun zwar hervor, daß dies
strenge Gesetz nur selten nach dem Wortlaute vollzogen und
selbst schwere Delinquenten oft begnadigt werden zu lebens-
länglichem Rheumatismus oder Lungensucht, unter mildern-
den Umständen wohl auch mit Brustentzündung, Grippe,
Husten, Zahnschmerzen u. dergl., zuweilen sogar ganz straf-
los wegkommen; auch abgehärtete Naturen sind jedoch immer-
hin nachdrücklich vor Märschen in die Hochregionen (vgl.
IV.) zu warnen, wenn sie den Oberkörper nicht durch Wolle
auf bloßer Haut und die Füße durch wollene Strümpfe
geschützt haben, überhaupt ist Jedem zu rathen, wollene Unter-
kleider unterwegs stets zur Hand zu halten und sie anzulegen
auf allen Touren, die nicht blos aus Spaziergängen und
kleinen gemächlichen Fahrten bestehen, denn jede Erkältung
ist ein lästiger Reisegefährte. In den Tropenländern tragen
bekanntlich die Europäer auf bloßer Haut niemals Leinen,
sondern entweder Calico oder leichte Wollstoffe, ohne "vor
Hitze zu vergehen", wie es in unserer gemäßigten Zone ge-
meiniglich heißt, wenn von Neulingen gegen den Rath re-
monstrirt werden soll. Auch bei drückendster Sonnenglut
wandert es sich ganz leidlich in einem weitärmeligen Flanell-
hemd, während Rock und Weste der Führer trägt oder der
Wanderer selbst über den Arm wirft und erst wenn es nöthig
wird wieder anlegt. Wer Flanellhemden ohne Weste anzieht,
läßt ein Uhrtäschchen, eine zweite größere Tasche und Achsel-
klappen, um Tragriemen festzuhalten, anbringen. Statt der
hochrothen Garibaldifarbe, welche nicht Stand hält, wähle ich
hellgrau. Hat man längere Zeit ununterbrochen Wolle auf
bloßer Haut getragen, so läßt sich ein Uebergang zur alten
heimischen Gewohnheit mit einer Jacke von Seidenkrepp
machen. Für die Behauptung der Fabrikanten, daß dieser
die nämlichen Dienste leiste, wie Wolle, will ich keine Bürg-
schaft übernehmen, wohl aber dafür, daß er sich noch ange-
nehmer trägt, glaube ferner, daß es der Haut nur von Vor-
theil sein kann, wenn sie nicht länger als noththut, durch

III. Reiſekleider — § 1 des Codex turisticus.
den Annalen der Touriſtik geht nun zwar hervor, daß dies
ſtrenge Geſetz nur ſelten nach dem Wortlaute vollzogen und
ſelbſt ſchwere Delinquenten oft begnadigt werden zu lebens-
länglichem Rheumatismus oder Lungenſucht, unter mildern-
den Umſtänden wohl auch mit Bruſtentzündung, Grippe,
Huſten, Zahnſchmerzen u. dergl., zuweilen ſogar ganz ſtraf-
los wegkommen; auch abgehärtete Naturen ſind jedoch immer-
hin nachdrücklich vor Märſchen in die Hochregionen (vgl.
IV.) zu warnen, wenn ſie den Oberkörper nicht durch Wolle
auf bloßer Haut und die Füße durch wollene Strümpfe
geſchützt haben, überhaupt iſt Jedem zu rathen, wollene Unter-
kleider unterwegs ſtets zur Hand zu halten und ſie anzulegen
auf allen Touren, die nicht blos aus Spaziergängen und
kleinen gemächlichen Fahrten beſtehen, denn jede Erkältung
iſt ein läſtiger Reiſegefährte. In den Tropenländern tragen
bekanntlich die Europäer auf bloßer Haut niemals Leinen,
ſondern entweder Calico oder leichte Wollſtoffe, ohne „vor
Hitze zu vergehen“, wie es in unſerer gemäßigten Zone ge-
meiniglich heißt, wenn von Neulingen gegen den Rath re-
monſtrirt werden ſoll. Auch bei drückendſter Sonnenglut
wandert es ſich ganz leidlich in einem weitärmeligen Flanell-
hemd, während Rock und Weſte der Führer trägt oder der
Wanderer ſelbſt über den Arm wirft und erſt wenn es nöthig
wird wieder anlegt. Wer Flanellhemden ohne Weſte anzieht,
läßt ein Uhrtäſchchen, eine zweite größere Taſche und Achſel-
klappen, um Tragriemen feſtzuhalten, anbringen. Statt der
hochrothen Garibaldifarbe, welche nicht Stand hält, wähle ich
hellgrau. Hat man längere Zeit ununterbrochen Wolle auf
bloßer Haut getragen, ſo läßt ſich ein Uebergang zur alten
heimiſchen Gewohnheit mit einer Jacke von Seidenkrepp
machen. Für die Behauptung der Fabrikanten, daß dieſer
die nämlichen Dienſte leiſte, wie Wolle, will ich keine Bürg-
ſchaft übernehmen, wohl aber dafür, daß er ſich noch ange-
nehmer trägt, glaube ferner, daß es der Haut nur von Vor-
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[28/0042] III. Reiſekleider — § 1 des Codex turisticus. den Annalen der Touriſtik geht nun zwar hervor, daß dies ſtrenge Geſetz nur ſelten nach dem Wortlaute vollzogen und ſelbſt ſchwere Delinquenten oft begnadigt werden zu lebens- länglichem Rheumatismus oder Lungenſucht, unter mildern- den Umſtänden wohl auch mit Bruſtentzündung, Grippe, Huſten, Zahnſchmerzen u. dergl., zuweilen ſogar ganz ſtraf- los wegkommen; auch abgehärtete Naturen ſind jedoch immer- hin nachdrücklich vor Märſchen in die Hochregionen (vgl. IV.) zu warnen, wenn ſie den Oberkörper nicht durch Wolle auf bloßer Haut und die Füße durch wollene Strümpfe geſchützt haben, überhaupt iſt Jedem zu rathen, wollene Unter- kleider unterwegs ſtets zur Hand zu halten und ſie anzulegen auf allen Touren, die nicht blos aus Spaziergängen und kleinen gemächlichen Fahrten beſtehen, denn jede Erkältung iſt ein läſtiger Reiſegefährte. In den Tropenländern tragen bekanntlich die Europäer auf bloßer Haut niemals Leinen, ſondern entweder Calico oder leichte Wollſtoffe, ohne „vor Hitze zu vergehen“, wie es in unſerer gemäßigten Zone ge- meiniglich heißt, wenn von Neulingen gegen den Rath re- monſtrirt werden ſoll. Auch bei drückendſter Sonnenglut wandert es ſich ganz leidlich in einem weitärmeligen Flanell- hemd, während Rock und Weſte der Führer trägt oder der Wanderer ſelbſt über den Arm wirft und erſt wenn es nöthig wird wieder anlegt. Wer Flanellhemden ohne Weſte anzieht, läßt ein Uhrtäſchchen, eine zweite größere Taſche und Achſel- klappen, um Tragriemen feſtzuhalten, anbringen. Statt der hochrothen Garibaldifarbe, welche nicht Stand hält, wähle ich hellgrau. Hat man längere Zeit ununterbrochen Wolle auf bloßer Haut getragen, ſo läßt ſich ein Uebergang zur alten heimiſchen Gewohnheit mit einer Jacke von Seidenkrepp machen. Für die Behauptung der Fabrikanten, daß dieſer die nämlichen Dienſte leiſte, wie Wolle, will ich keine Bürg- ſchaft übernehmen, wohl aber dafür, daß er ſich noch ange- nehmer trägt, glaube ferner, daß es der Haut nur von Vor- theil ſein kann, wenn ſie nicht länger als noththut, durch

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Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/42>, abgerufen am 28.03.2024.