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Mill, John Stuart: Ueber Frauenemancipation. In: John Stuart Mill´s Gesammelte Werke. Leipzig, 1880. S. 1–29.

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der Frauen", deren Leiter gleichwie beinahe alle bedeutenden Redner
Frauen waren. Doch hatten sich auch Männer in großer Zahl
ihnen angeschlossen, darunter einige der hervorragendsten Führer
in der verwandten Sache der Negeremancipation. Es wurden dort
ein allgemeines und vier specielle Comite's eingesetzt, um die An-
gelegenheit bis zur nächsten Jahresversammlung fortzuführen.

Nach dem Bericht der New-York Tribune waren über
tausend Personen die ganze Zeit hindurch zugegen, und "wenn ein
größerer Raum zur Verfügung gestanden wäre, hätten noch viele
Tausende der Versammlung beigewohnt". Der Raum war "von
Anfang an überfüllt von aufmerksamen und theilnehmenden Zu¬-
hörern". Was die Qualität des Gesprochenen betrifft, so haben
die Vorgänge in dieser Versammlung den Vergleich mit keiner
anderen uns bekannten Volksbewegung zu scheuen, die in England
oder Amerika stattgefunden hat. Nur sehr selten ist der Antheil,
welchen Phrase und Schönrednerei an den Kundgebungen in öffent-
lichen Versammlungen haben, so gering, der Antheil der ruhigen Ein-
sicht und Vernunft so beträchtlich ausgefallen. Der Erfolg der Ver-
sammlung war in jeder Hinsicht ermuthigend für die, welche sie
einberufen hatten, und dieselbe ist wahrscheinlich bestimmt, eine der
folgenreichsten unter den politischen und socialen Reform-Bewegungen
einzuleiten, welche das verheißungsvollste Merkmal unserer Zeit sind.

Daß die Urheber dieser neuen Bewegung sich auf den Boden
von Principien stellen und sich nicht scheuen, dieselben in ihrem
weitesten Umfange ohne Achselträgerei oder Compromißsucht zu be¬-
kennen, geht aus den Resolutionen hervor, welche die Versammlung
angenommen hat und welche wir zum Theil hier folgen lassen. Sie
lauten dahin:

"Daß jedes menschliche Wesen im reifen Alter und seit einer
entsprechenden Zahl von Jahren im Lande ansässig, welches den
Gesetzen zu gehorchen verpflichtet ist, auch auf eine Stimme bei
deren Erlaß ein Recht hat; daß jede solche Person, deren Eigen-
thum oder deren Arbeit besteuert wird zum Zwecke der Erhaltung
der Regierung, auch auf einen directen Antheil an derselben
Anspruch hat; daß mithin die Frauen Anspruch haben auf das
Stimmrecht und auf die Wählbarkeit zu Aemtern ... und daß
jede Partei, welche sich rühmt, die Humanität, die Civilisation und
den Fortschritt des Zeitalters zu vertreten, verpflichtet ist, Gleich-
heit vor dem Gesetz ohne Unterschied des Geschlechtes oder der
Farbe auf ihre Fahnen zu schreiben; ferner daß bürgerliche und
politische Rechte keinen Geschlechtsunterschied kennen, und daß
daher das Wort "männlich" aus allen Verfassungsurkunden zu

Ueber Frauenemancipation.
der Frauen“, deren Leiter gleichwie beinahe alle bedeutenden Redner
Frauen waren. Doch hatten sich auch Männer in großer Zahl
ihnen angeschlossen, darunter einige der hervorragendsten Führer
in der verwandten Sache der Negeremancipation. Es wurden dort
ein allgemeines und vier specielle Comité's eingesetzt, um die An-
gelegenheit bis zur nächsten Jahresversammlung fortzuführen.

Nach dem Bericht der New-York Tribune waren über
tausend Personen die ganze Zeit hindurch zugegen, und „wenn ein
größerer Raum zur Verfügung gestanden wäre, hätten noch viele
Tausende der Versammlung beigewohnt“. Der Raum war „von
Anfang an überfüllt von aufmerksamen und theilnehmenden Zu¬-
hörern“. Was die Qualität des Gesprochenen betrifft, so haben
die Vorgänge in dieser Versammlung den Vergleich mit keiner
anderen uns bekannten Volksbewegung zu scheuen, die in England
oder Amerika stattgefunden hat. Nur sehr selten ist der Antheil,
welchen Phrase und Schönrednerei an den Kundgebungen in öffent-
lichen Versammlungen haben, so gering, der Antheil der ruhigen Ein-
sicht und Vernunft so beträchtlich ausgefallen. Der Erfolg der Ver-
sammlung war in jeder Hinsicht ermuthigend für die, welche sie
einberufen hatten, und dieselbe ist wahrscheinlich bestimmt, eine der
folgenreichsten unter den politischen und socialen Reform-Bewegungen
einzuleiten, welche das verheißungsvollste Merkmal unserer Zeit sind.

Daß die Urheber dieser neuen Bewegung sich auf den Boden
von Principien stellen und sich nicht scheuen, dieselben in ihrem
weitesten Umfange ohne Achselträgerei oder Compromißsucht zu be¬-
kennen, geht aus den Resolutionen hervor, welche die Versammlung
angenommen hat und welche wir zum Theil hier folgen lassen. Sie
lauten dahin:

„Daß jedes menschliche Wesen im reifen Alter und seit einer
entsprechenden Zahl von Jahren im Lande ansässig, welches den
Gesetzen zu gehorchen verpflichtet ist, auch auf eine Stimme bei
deren Erlaß ein Recht hat; daß jede solche Person, deren Eigen-
thum oder deren Arbeit besteuert wird zum Zwecke der Erhaltung
der Regierung, auch auf einen directen Antheil an derselben
Anspruch hat; daß mithin die Frauen Anspruch haben auf das
Stimmrecht und auf die Wählbarkeit zu Aemtern … und daß
jede Partei, welche sich rühmt, die Humanität, die Civilisation und
den Fortschritt des Zeitalters zu vertreten, verpflichtet ist, Gleich-
heit vor dem Gesetz ohne Unterschied des Geschlechtes oder der
Farbe auf ihre Fahnen zu schreiben; ferner daß bürgerliche und
politische Rechte keinen Geschlechtsunterschied kennen, und daß
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[2/0002] Ueber Frauenemancipation. der Frauen“, deren Leiter gleichwie beinahe alle bedeutenden Redner Frauen waren. Doch hatten sich auch Männer in großer Zahl ihnen angeschlossen, darunter einige der hervorragendsten Führer in der verwandten Sache der Negeremancipation. Es wurden dort ein allgemeines und vier specielle Comité's eingesetzt, um die An- gelegenheit bis zur nächsten Jahresversammlung fortzuführen. Nach dem Bericht der New-York Tribune waren über tausend Personen die ganze Zeit hindurch zugegen, und „wenn ein größerer Raum zur Verfügung gestanden wäre, hätten noch viele Tausende der Versammlung beigewohnt“. Der Raum war „von Anfang an überfüllt von aufmerksamen und theilnehmenden Zu¬- hörern“. Was die Qualität des Gesprochenen betrifft, so haben die Vorgänge in dieser Versammlung den Vergleich mit keiner anderen uns bekannten Volksbewegung zu scheuen, die in England oder Amerika stattgefunden hat. Nur sehr selten ist der Antheil, welchen Phrase und Schönrednerei an den Kundgebungen in öffent- lichen Versammlungen haben, so gering, der Antheil der ruhigen Ein- sicht und Vernunft so beträchtlich ausgefallen. Der Erfolg der Ver- sammlung war in jeder Hinsicht ermuthigend für die, welche sie einberufen hatten, und dieselbe ist wahrscheinlich bestimmt, eine der folgenreichsten unter den politischen und socialen Reform-Bewegungen einzuleiten, welche das verheißungsvollste Merkmal unserer Zeit sind. Daß die Urheber dieser neuen Bewegung sich auf den Boden von Principien stellen und sich nicht scheuen, dieselben in ihrem weitesten Umfange ohne Achselträgerei oder Compromißsucht zu be¬- kennen, geht aus den Resolutionen hervor, welche die Versammlung angenommen hat und welche wir zum Theil hier folgen lassen. Sie lauten dahin: „Daß jedes menschliche Wesen im reifen Alter und seit einer entsprechenden Zahl von Jahren im Lande ansässig, welches den Gesetzen zu gehorchen verpflichtet ist, auch auf eine Stimme bei deren Erlaß ein Recht hat; daß jede solche Person, deren Eigen- thum oder deren Arbeit besteuert wird zum Zwecke der Erhaltung der Regierung, auch auf einen directen Antheil an derselben Anspruch hat; daß mithin die Frauen Anspruch haben auf das Stimmrecht und auf die Wählbarkeit zu Aemtern … und daß jede Partei, welche sich rühmt, die Humanität, die Civilisation und den Fortschritt des Zeitalters zu vertreten, verpflichtet ist, Gleich- heit vor dem Gesetz ohne Unterschied des Geschlechtes oder der Farbe auf ihre Fahnen zu schreiben; ferner daß bürgerliche und politische Rechte keinen Geschlechtsunterschied kennen, und daß daher das Wort „männlich“ aus allen Verfassungsurkunden zu

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Zitationshilfe: Mill, John Stuart: Ueber Frauenemancipation. In: John Stuart Mill´s Gesammelte Werke. Leipzig, 1880. S. 1–29, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mill_frauenemancipation_1880/2>, abgerufen am 25.04.2024.