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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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ihm aufgestiegen war, in dieser ruhigen Einsam-
keit, unter Leuten, die er alle für Engel hielt, zu
leben.

Siehst du, Siegwart, er sagt ja; er will
zu uns kommen. Kannst du ihm wol seinen
Wunsch versagen?

Jch weiß nicht, sprach der alte Siegwart,
ich dachte diesen Abend auch schon einigemal dran;
aber mein Xaver taugt nicht für das Kloster;
er ist zu munter und zu lebhaft, und hat selbst
nie keine Lust dazu gehabt. Er sagt jetzt zwar Ja;
aber das ist wol nur so ein Einfall. Wie ists
Xaver, gefällt dirs wirklich hier? Hättest du wol
Lust, einmal beym Pater Anton zu leben?

O ja, sagte der zu feurige, erhitzte Jüngling;
Jch wuste vorher nicht, daß es so gut hier im
Kloster wäre.

Nun, wir wollen drüber nachdenken, es ist
noch Zeit, sprach der Vater; und sie giengen wie-
der vom Grab weg. Jndessen gieng hinter ihnen
der fast volle Mond auf, und beschien die hohen
Tannenwipfel. Als sie in den langen Gang mit
der hohen Hecke kamen, sah man oben nah am
Kloster ein Paar Kapzuiner wandeln, deren
schneeweisses Haar im Mondschein glänzte. Die



ihm aufgeſtiegen war, in dieſer ruhigen Einſam-
keit, unter Leuten, die er alle fuͤr Engel hielt, zu
leben.

Siehſt du, Siegwart, er ſagt ja; er will
zu uns kommen. Kannſt du ihm wol ſeinen
Wunſch verſagen?

Jch weiß nicht, ſprach der alte Siegwart,
ich dachte dieſen Abend auch ſchon einigemal dran;
aber mein Xaver taugt nicht fuͤr das Kloſter;
er iſt zu munter und zu lebhaft, und hat ſelbſt
nie keine Luſt dazu gehabt. Er ſagt jetzt zwar Ja;
aber das iſt wol nur ſo ein Einfall. Wie iſts
Xaver, gefaͤllt dirs wirklich hier? Haͤtteſt du wol
Luſt, einmal beym Pater Anton zu leben?

O ja, ſagte der zu feurige, erhitzte Juͤngling;
Jch wuſte vorher nicht, daß es ſo gut hier im
Kloſter waͤre.

Nun, wir wollen druͤber nachdenken, es iſt
noch Zeit, ſprach der Vater; und ſie giengen wie-
der vom Grab weg. Jndeſſen gieng hinter ihnen
der faſt volle Mond auf, und beſchien die hohen
Tannenwipfel. Als ſie in den langen Gang mit
der hohen Hecke kamen, ſah man oben nah am
Kloſter ein Paar Kapzuiner wandeln, deren
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[26/0030] ihm aufgeſtiegen war, in dieſer ruhigen Einſam- keit, unter Leuten, die er alle fuͤr Engel hielt, zu leben. Siehſt du, Siegwart, er ſagt ja; er will zu uns kommen. Kannſt du ihm wol ſeinen Wunſch verſagen? Jch weiß nicht, ſprach der alte Siegwart, ich dachte dieſen Abend auch ſchon einigemal dran; aber mein Xaver taugt nicht fuͤr das Kloſter; er iſt zu munter und zu lebhaft, und hat ſelbſt nie keine Luſt dazu gehabt. Er ſagt jetzt zwar Ja; aber das iſt wol nur ſo ein Einfall. Wie iſts Xaver, gefaͤllt dirs wirklich hier? Haͤtteſt du wol Luſt, einmal beym Pater Anton zu leben? O ja, ſagte der zu feurige, erhitzte Juͤngling; Jch wuſte vorher nicht, daß es ſo gut hier im Kloſter waͤre. Nun, wir wollen druͤber nachdenken, es iſt noch Zeit, ſprach der Vater; und ſie giengen wie- der vom Grab weg. Jndeſſen gieng hinter ihnen der faſt volle Mond auf, und beſchien die hohen Tannenwipfel. Als ſie in den langen Gang mit der hohen Hecke kamen, ſah man oben nah am Kloſter ein Paar Kapzuiner wandeln, deren ſchneeweiſſes Haar im Mondſchein glaͤnzte. Die

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/30>, abgerufen am 29.03.2024.