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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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Das sind Zeugen von den Kuren, sagte
Gregor, welche mit Gottes Hülfe durch unser Ge-
beth, und die Kraft unsers wunderthätigen Ma-
rienbildes, das Sie in der Kirche gesehen haben,
hier im Kloster verrichtet worden sind. Krüppel
und Lahme kamen an ihren Krücken, und auf Wa-
gen zu uns. Gesund und frisch konnten sie in
ihre Häuser zurückgehen, und liessen zum Anden-
ken ihrer Heilung ihre Krücken und Stäbe hier.
So thun wir Gutes, was wir können, an Leib und
Seele.

Der junge Siegwart betrachtete diese Stü-
tzen der Elenden, die sie nun nicht mehr bedurf-
ten, mit einer heiligen Ehrfurcht; und noch mehr
die Väter, denen er in seiner frommen Einfalt
solche Wunderkräfte zutraute. Er glaubte nun, er
müsse ein Mönch werden, und brannte vor Begier-
de, es schon jetzt zu seyn. Seine ganze Seele
war von einem Taumel ergriffen, der ihn nichts
hören, und nichts sehen ließ, als nur das Kloster.
Die ganze andre Welt war ihm nun verhast,
und öde. Er betrachtete sie als den Wohnplatz
abgeschiedner, bedaurenswürdiger Seelen; und hät-
te in diesem Augenblicke den gehast, der ihn wie-
der aus seinem erträumten Himmel hätte heraus



Das ſind Zeugen von den Kuren, ſagte
Gregor, welche mit Gottes Huͤlfe durch unſer Ge-
beth, und die Kraft unſers wunderthaͤtigen Ma-
rienbildes, das Sie in der Kirche geſehen haben,
hier im Kloſter verrichtet worden ſind. Kruͤppel
und Lahme kamen an ihren Kruͤcken, und auf Wa-
gen zu uns. Geſund und friſch konnten ſie in
ihre Haͤuſer zuruͤckgehen, und lieſſen zum Anden-
ken ihrer Heilung ihre Kruͤcken und Staͤbe hier.
So thun wir Gutes, was wir koͤnnen, an Leib und
Seele.

Der junge Siegwart betrachtete dieſe Stuͤ-
tzen der Elenden, die ſie nun nicht mehr bedurf-
ten, mit einer heiligen Ehrfurcht; und noch mehr
die Vaͤter, denen er in ſeiner frommen Einfalt
ſolche Wunderkraͤfte zutraute. Er glaubte nun, er
muͤſſe ein Moͤnch werden, und brannte vor Begier-
de, es ſchon jetzt zu ſeyn. Seine ganze Seele
war von einem Taumel ergriffen, der ihn nichts
hoͤren, und nichts ſehen ließ, als nur das Kloſter.
Die ganze andre Welt war ihm nun verhaſt,
und oͤde. Er betrachtete ſie als den Wohnplatz
abgeſchiedner, bedaurenswuͤrdiger Seelen; und haͤt-
te in dieſem Augenblicke den gehaſt, der ihn wie-
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[39/0043] Das ſind Zeugen von den Kuren, ſagte Gregor, welche mit Gottes Huͤlfe durch unſer Ge- beth, und die Kraft unſers wunderthaͤtigen Ma- rienbildes, das Sie in der Kirche geſehen haben, hier im Kloſter verrichtet worden ſind. Kruͤppel und Lahme kamen an ihren Kruͤcken, und auf Wa- gen zu uns. Geſund und friſch konnten ſie in ihre Haͤuſer zuruͤckgehen, und lieſſen zum Anden- ken ihrer Heilung ihre Kruͤcken und Staͤbe hier. So thun wir Gutes, was wir koͤnnen, an Leib und Seele. Der junge Siegwart betrachtete dieſe Stuͤ- tzen der Elenden, die ſie nun nicht mehr bedurf- ten, mit einer heiligen Ehrfurcht; und noch mehr die Vaͤter, denen er in ſeiner frommen Einfalt ſolche Wunderkraͤfte zutraute. Er glaubte nun, er muͤſſe ein Moͤnch werden, und brannte vor Begier- de, es ſchon jetzt zu ſeyn. Seine ganze Seele war von einem Taumel ergriffen, der ihn nichts hoͤren, und nichts ſehen ließ, als nur das Kloſter. Die ganze andre Welt war ihm nun verhaſt, und oͤde. Er betrachtete ſie als den Wohnplatz abgeſchiedner, bedaurenswuͤrdiger Seelen; und haͤt- te in dieſem Augenblicke den gehaſt, der ihn wie- der aus ſeinem ertraͤumten Himmel haͤtte heraus

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/43>, abgerufen am 28.03.2024.