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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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kam ihm vor, wie ein Narrenhaus, und Zucht-
haus. Jeder war ihm ein Narr, oder Böse-
wicht! Er kam an die Donau; setzte sich ans
Ufer nieder; scharrte den Sand mit seinem
Stock auf, und stäubte ihn ins Wasser. Gott!
dachte er, auch Therese untreu! Auch die,
auf die ich alles gebaut hätte! O, wir Män-
ner sind doch rechte Narren! -- Er dach-
te hin und her, was sie so schnell auf andre Ge-
danken könnte gebracht haben? Es war ihm un-
begreiflich; und doch hielt ers für ausgemacht
gewiß. Er fand tausend Ursachen, und verwarf
sie wieder. Endlich hub er sich wieder auf, und
gieng nach Haus. Siegwart war ausgegangen,
um ihn aufzusuchen. Nach einer Stunde kam
er wieder; Da ist ein Brief von meiner Schwe-
ster, sagte er. -- Was? rief Kronhelm; Willst
du mich auch für einen Narren halten? Jch
hab schon nach dem Bothen gefragt! Er hat
nichts! -- Da lies nur selber; sagte Siegwart.
Der Bothe hat mir den Brief selbst eingehän-
digt, weils meine Schwester haben wollte. Kron-
helm
brach den Brief mit Zittern auf, und riß
ihn vor Ungeduld fast entzwey. Therese schrieb
so:



kam ihm vor, wie ein Narrenhaus, und Zucht-
haus. Jeder war ihm ein Narr, oder Boͤſe-
wicht! Er kam an die Donau; ſetzte ſich ans
Ufer nieder; ſcharrte den Sand mit ſeinem
Stock auf, und ſtaͤubte ihn ins Waſſer. Gott!
dachte er, auch Thereſe untreu! Auch die,
auf die ich alles gebaut haͤtte! O, wir Maͤn-
ner ſind doch rechte Narren! — Er dach-
te hin und her, was ſie ſo ſchnell auf andre Ge-
danken koͤnnte gebracht haben? Es war ihm un-
begreiflich; und doch hielt ers fuͤr ausgemacht
gewiß. Er fand tauſend Urſachen, und verwarf
ſie wieder. Endlich hub er ſich wieder auf, und
gieng nach Haus. Siegwart war ausgegangen,
um ihn aufzuſuchen. Nach einer Stunde kam
er wieder; Da iſt ein Brief von meiner Schwe-
ſter, ſagte er. — Was? rief Kronhelm; Willſt
du mich auch fuͤr einen Narren halten? Jch
hab ſchon nach dem Bothen gefragt! Er hat
nichts! — Da lies nur ſelber; ſagte Siegwart.
Der Bothe hat mir den Brief ſelbſt eingehaͤn-
digt, weils meine Schweſter haben wollte. Kron-
helm
brach den Brief mit Zittern auf, und riß
ihn vor Ungeduld faſt entzwey. Thereſe ſchrieb
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[440/0020] kam ihm vor, wie ein Narrenhaus, und Zucht- haus. Jeder war ihm ein Narr, oder Boͤſe- wicht! Er kam an die Donau; ſetzte ſich ans Ufer nieder; ſcharrte den Sand mit ſeinem Stock auf, und ſtaͤubte ihn ins Waſſer. Gott! dachte er, auch Thereſe untreu! Auch die, auf die ich alles gebaut haͤtte! O, wir Maͤn- ner ſind doch rechte Narren! — Er dach- te hin und her, was ſie ſo ſchnell auf andre Ge- danken koͤnnte gebracht haben? Es war ihm un- begreiflich; und doch hielt ers fuͤr ausgemacht gewiß. Er fand tauſend Urſachen, und verwarf ſie wieder. Endlich hub er ſich wieder auf, und gieng nach Haus. Siegwart war ausgegangen, um ihn aufzuſuchen. Nach einer Stunde kam er wieder; Da iſt ein Brief von meiner Schwe- ſter, ſagte er. — Was? rief Kronhelm; Willſt du mich auch fuͤr einen Narren halten? Jch hab ſchon nach dem Bothen gefragt! Er hat nichts! — Da lies nur ſelber; ſagte Siegwart. Der Bothe hat mir den Brief ſelbſt eingehaͤn- digt, weils meine Schweſter haben wollte. Kron- helm brach den Brief mit Zittern auf, und riß ihn vor Ungeduld faſt entzwey. Thereſe ſchrieb ſo:

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 440. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/20>, abgerufen am 28.03.2024.