keine Nachricht von ihr geben. Jch weis nicht, ist sie todt, oder -- Aber werden Sie nur nicht böse! Lieber Gott, ich mußte ja so sagen -- Geh nur, sagte Siegwart, ich will nichts weiter wissen! Er legte sich mit dem Kopf zwischen seine Hände auf den Tisch, und fieng an zu weinen. Weis man nichts von ihr? Jst sie todt, oder -- Gott, ach Gott! Warum bin ich doch nicht auch todt? Warum muß ich mich denn ewig leiden? -- So jammerte er fort, bis Kronhelm, ohne daß ers merkte, in die Laube trat. Was fehlt dir, Bru- der? fieng er endlich an. Siegwart fuhr auf, sah seinen Schwager eine Zeitlang starr an; weist du schon, daß alles nichts ist? daß sie und ich ver- lohren ist? -- Wer denn, Bruder? Mariane! Wer denn? Es ist alles nichts! Alles erdichtet und erlogen! Wer weis, wo sie ist! Vielleicht todt! Vielleicht ... O, ich halts nicht länger aus! Jch muß aus der Welt! Heut noch, oder morgen! Jn die Einsiedeley! Da soll mich keine lebendige Seele mehr zurückhalten! Jhr meynts nicht ehrlich, daß ihr mich so hintergeht; daß ihr mir nicht sagt: Pack dich aus der Welt! -- Kronhelm hatte viele Mühe, ihn nur etwas zu besänftigen, und ihm begreiflich zu machen, daß sie zu seiner Ruhe
keine Nachricht von ihr geben. Jch weis nicht, iſt ſie todt, oder — Aber werden Sie nur nicht boͤſe! Lieber Gott, ich mußte ja ſo ſagen — Geh nur, ſagte Siegwart, ich will nichts weiter wiſſen! Er legte ſich mit dem Kopf zwiſchen ſeine Haͤnde auf den Tiſch, und fieng an zu weinen. Weis man nichts von ihr? Jſt ſie todt, oder — Gott, ach Gott! Warum bin ich doch nicht auch todt? Warum muß ich mich denn ewig leiden? — So jammerte er fort, bis Kronhelm, ohne daß ers merkte, in die Laube trat. Was fehlt dir, Bru- der? fieng er endlich an. Siegwart fuhr auf, ſah ſeinen Schwager eine Zeitlang ſtarr an; weiſt du ſchon, daß alles nichts iſt? daß ſie und ich ver- lohren iſt? — Wer denn, Bruder? Mariane! Wer denn? Es iſt alles nichts! Alles erdichtet und erlogen! Wer weis, wo ſie iſt! Vielleicht todt! Vielleicht … O, ich halts nicht laͤnger aus! Jch muß aus der Welt! Heut noch, oder morgen! Jn die Einſiedeley! Da ſoll mich keine lebendige Seele mehr zuruͤckhalten! Jhr meynts nicht ehrlich, daß ihr mich ſo hintergeht; daß ihr mir nicht ſagt: Pack dich aus der Welt! — Kronhelm hatte viele Muͤhe, ihn nur etwas zu beſaͤnftigen, und ihm begreiflich zu machen, daß ſie zu ſeiner Ruhe
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0553"n="973"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
keine Nachricht von ihr geben. Jch weis nicht,<lb/>
iſt ſie todt, oder — Aber werden Sie nur nicht<lb/>
boͤſe! Lieber Gott, ich mußte ja ſo ſagen — Geh<lb/>
nur, ſagte Siegwart, ich will nichts weiter wiſſen!<lb/>
Er legte ſich mit dem Kopf zwiſchen ſeine Haͤnde<lb/>
auf den Tiſch, und fieng an zu weinen. Weis<lb/>
man nichts von ihr? Jſt ſie todt, oder — Gott,<lb/>
ach Gott! Warum bin ich doch nicht auch todt?<lb/>
Warum muß ich mich denn ewig leiden? — So<lb/>
jammerte er fort, bis Kronhelm, ohne daß ers<lb/>
merkte, in die Laube trat. Was fehlt dir, Bru-<lb/>
der? fieng er endlich an. Siegwart fuhr auf, ſah<lb/>ſeinen Schwager eine Zeitlang ſtarr an; weiſt du<lb/>ſchon, daß alles nichts iſt? daß ſie und ich ver-<lb/>
lohren iſt? — Wer denn, Bruder? Mariane!<lb/>
Wer denn? Es iſt alles nichts! Alles erdichtet<lb/>
und erlogen! Wer weis, wo ſie iſt! Vielleicht<lb/>
todt! Vielleicht … O, ich halts nicht laͤnger aus!<lb/>
Jch muß aus der Welt! Heut noch, oder morgen!<lb/>
Jn die Einſiedeley! Da ſoll mich keine lebendige<lb/>
Seele mehr zuruͤckhalten! Jhr meynts nicht ehrlich,<lb/>
daß ihr mich ſo hintergeht; daß ihr mir nicht ſagt:<lb/>
Pack dich aus der Welt! — Kronhelm hatte<lb/>
viele Muͤhe, ihn nur etwas zu beſaͤnftigen, und<lb/>
ihm begreiflich zu machen, daß ſie zu ſeiner Ruhe<lb/></p></div></body></text></TEI>
[973/0553]
keine Nachricht von ihr geben. Jch weis nicht,
iſt ſie todt, oder — Aber werden Sie nur nicht
boͤſe! Lieber Gott, ich mußte ja ſo ſagen — Geh
nur, ſagte Siegwart, ich will nichts weiter wiſſen!
Er legte ſich mit dem Kopf zwiſchen ſeine Haͤnde
auf den Tiſch, und fieng an zu weinen. Weis
man nichts von ihr? Jſt ſie todt, oder — Gott,
ach Gott! Warum bin ich doch nicht auch todt?
Warum muß ich mich denn ewig leiden? — So
jammerte er fort, bis Kronhelm, ohne daß ers
merkte, in die Laube trat. Was fehlt dir, Bru-
der? fieng er endlich an. Siegwart fuhr auf, ſah
ſeinen Schwager eine Zeitlang ſtarr an; weiſt du
ſchon, daß alles nichts iſt? daß ſie und ich ver-
lohren iſt? — Wer denn, Bruder? Mariane!
Wer denn? Es iſt alles nichts! Alles erdichtet
und erlogen! Wer weis, wo ſie iſt! Vielleicht
todt! Vielleicht … O, ich halts nicht laͤnger aus!
Jch muß aus der Welt! Heut noch, oder morgen!
Jn die Einſiedeley! Da ſoll mich keine lebendige
Seele mehr zuruͤckhalten! Jhr meynts nicht ehrlich,
daß ihr mich ſo hintergeht; daß ihr mir nicht ſagt:
Pack dich aus der Welt! — Kronhelm hatte
viele Muͤhe, ihn nur etwas zu beſaͤnftigen, und
ihm begreiflich zu machen, daß ſie zu ſeiner Ruhe
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 973. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/553>, abgerufen am 21.05.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.