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Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763.

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wie die meinige ist, nur mit einiger Gemüthsbilligkeit ansieht, so
wird man auch einige Fehler sehr leicht vergeben, die aus man-
cherley Ursachen nicht ganz zu vermeiden waren. Diese Ueber-
setzung des verlohrnen Paradieses hat ein Versuch seyn sollen, ob
unsre Sprache zu poetischen Uebersetzungen geschickt sey, indem ich
noch immer der Meynung bin, daß ein Poet, der in Prosa über-
setzt wird, fast alles verliert. Wenn also andre durch mein Bey-
spiel ermuntert werden, ihre Kräfte gleichfalls in ähnlichen Arbei-
ten zu versuchen, so werde ich einen großen Theil meiner Wünsche
für erfüllt halten. Vielleicht wird bald ein guter Kopf dadurch unter
uns angefeuert, uns eine poetische Uebersetzung des Homers zu liefern.

Einigen meiner Leser ist es vielleicht nicht unangenehm, wenn
ich ihnen bey dieser Gelegenheit eine Probe einer Uebersetzung vor-
lege, wie ich solche anfänglich nach Miltons eigenem Sylbenmaaße
zu machen entschlossen war. Die erste Stelle fängt sich im fünften
Gesange mit dem 564. Vers an:

Als diese Welt noch nicht geschaffen war,
Und wüst und wild das Chaos da regierte,
Wo itzt voll Pracht sich diese Himmel vollen,
Und wo die Erd' auf ihrem Mittelpunkt
Gegründet ruht; da wars an einem Tage,
(Denn auch die Zeit mißt in der Ewigkeit

Durch die Bewegung alles, was geschieht
Mit dem Vergangnen, Gegenwärtigen,
Und dem Zukünftgen) an solch einem Tage,
Wie ihn das große Jahr des Himmels zeugt,
Erschien, gefodert durch Befehl von Gott
Das ganze Heer der Engel vor dem Throne
Des Ewigen; unzählbar; eingetheilt
Jn ihre Hierarchien und Ordnungen;
Zehntausend tausend Fahnen und Standarten,
Und stralende Paniere, hoch erhöht,
Durchschimmerten im Vor- und Nachtrapp weit
Die Luft; und dieneten zum Unterschied
Für

Vorbericht zum zweyten Bande
wie die meinige iſt, nur mit einiger Gemuͤthsbilligkeit anſieht, ſo
wird man auch einige Fehler ſehr leicht vergeben, die aus man-
cherley Urſachen nicht ganz zu vermeiden waren. Dieſe Ueber-
ſetzung des verlohrnen Paradieſes hat ein Verſuch ſeyn ſollen, ob
unſre Sprache zu poetiſchen Ueberſetzungen geſchickt ſey, indem ich
noch immer der Meynung bin, daß ein Poet, der in Proſa uͤber-
ſetzt wird, faſt alles verliert. Wenn alſo andre durch mein Bey-
ſpiel ermuntert werden, ihre Kraͤfte gleichfalls in aͤhnlichen Arbei-
ten zu verſuchen, ſo werde ich einen großen Theil meiner Wuͤnſche
fuͤr erfuͤllt halten. Vielleicht wird bald ein guter Kopf dadurch unter
uns angefeuert, uns eine poetiſche Ueberſetzung des Homers zu liefern.

Einigen meiner Leſer iſt es vielleicht nicht unangenehm, wenn
ich ihnen bey dieſer Gelegenheit eine Probe einer Ueberſetzung vor-
lege, wie ich ſolche anfaͤnglich nach Miltons eigenem Sylbenmaaße
zu machen entſchloſſen war. Die erſte Stelle faͤngt ſich im fuͤnften
Geſange mit dem 564. Vers an:

Als dieſe Welt noch nicht geſchaffen war,
Und wuͤſt und wild das Chaos da regierte,
Wo itzt voll Pracht ſich dieſe Himmel vollen,
Und wo die Erd’ auf ihrem Mittelpunkt
Gegruͤndet ruht; da wars an einem Tage,
(Denn auch die Zeit mißt in der Ewigkeit

Durch die Bewegung alles, was geſchieht
Mit dem Vergangnen, Gegenwaͤrtigen,
Und dem Zukuͤnftgen) an ſolch einem Tage,
Wie ihn das große Jahr des Himmels zeugt,
Erſchien, gefodert durch Befehl von Gott
Das ganze Heer der Engel vor dem Throne
Des Ewigen; unzaͤhlbar; eingetheilt
Jn ihre Hierarchien und Ordnungen;
Zehntauſend tauſend Fahnen und Standarten,
Und ſtralende Paniere, hoch erhoͤht,
Durchſchimmerten im Vor- und Nachtrapp weit
Die Luft; und dieneten zum Unterſchied
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[0010] Vorbericht zum zweyten Bande wie die meinige iſt, nur mit einiger Gemuͤthsbilligkeit anſieht, ſo wird man auch einige Fehler ſehr leicht vergeben, die aus man- cherley Urſachen nicht ganz zu vermeiden waren. Dieſe Ueber- ſetzung des verlohrnen Paradieſes hat ein Verſuch ſeyn ſollen, ob unſre Sprache zu poetiſchen Ueberſetzungen geſchickt ſey, indem ich noch immer der Meynung bin, daß ein Poet, der in Proſa uͤber- ſetzt wird, faſt alles verliert. Wenn alſo andre durch mein Bey- ſpiel ermuntert werden, ihre Kraͤfte gleichfalls in aͤhnlichen Arbei- ten zu verſuchen, ſo werde ich einen großen Theil meiner Wuͤnſche fuͤr erfuͤllt halten. Vielleicht wird bald ein guter Kopf dadurch unter uns angefeuert, uns eine poetiſche Ueberſetzung des Homers zu liefern. Einigen meiner Leſer iſt es vielleicht nicht unangenehm, wenn ich ihnen bey dieſer Gelegenheit eine Probe einer Ueberſetzung vor- lege, wie ich ſolche anfaͤnglich nach Miltons eigenem Sylbenmaaße zu machen entſchloſſen war. Die erſte Stelle faͤngt ſich im fuͤnften Geſange mit dem 564. Vers an: Als dieſe Welt noch nicht geſchaffen war, Und wuͤſt und wild das Chaos da regierte, Wo itzt voll Pracht ſich dieſe Himmel vollen, Und wo die Erd’ auf ihrem Mittelpunkt Gegruͤndet ruht; da wars an einem Tage, (Denn auch die Zeit mißt in der Ewigkeit Durch die Bewegung alles, was geſchieht Mit dem Vergangnen, Gegenwaͤrtigen, Und dem Zukuͤnftgen) an ſolch einem Tage, Wie ihn das große Jahr des Himmels zeugt, Erſchien, gefodert durch Befehl von Gott Das ganze Heer der Engel vor dem Throne Des Ewigen; unzaͤhlbar; eingetheilt Jn ihre Hierarchien und Ordnungen; Zehntauſend tauſend Fahnen und Standarten, Und ſtralende Paniere, hoch erhoͤht, Durchſchimmerten im Vor- und Nachtrapp weit Die Luft; und dieneten zum Unterſchied Fuͤr

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Zitationshilfe: Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies02_1763/10>, abgerufen am 23.04.2024.