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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

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lichen Gemüther genommen, war also, wie es schien,
nichts zn befürchten, und selbst äußerlich wurde das
Verhältniß keineswegs einseitig auf Kosten der übri-
gen drei minder empfänglichen Schwestern unterhalten.
Es herrschte eine gutmüthige heitere Verträglichkeit;
nur die ältere Tochter, Ernestine, deren Sorge vor-
züglich das Hauswesen überlassen blieb, zeigte mitun-
ter ein finsteres, gebieterisches Wesen, und sie hatte
den Vater bereits mehr als billig war auf ihre Seite
gebracht.

An einem trüben Morgen in der lezten Zeit des
Oktobers spazierten Theobald und seine Vertraute
zusammen im Gärtchen hinter dem Hause. Er er-
zählte so eben seinen Traum von heute Nacht und die
Schwester schien ernsthaft zuzuhören, indeß sie unver-
wandt nach der Seite hinüberblickte, wo die alte
Ruine, der Rehstock genannt, tief in Nebel gesteckt
liegen mußte.

"Aber du gibst nicht Acht, Adelheid! Ich habe
vorhin, um dich zu prüfen, absichtlich den tollen Un-
sinn in meinen sonst vernünftigen Traum hineinge-
bracht und du nahmst es so natürlich wie zweimal
zwei vier."

Das Mädchen erschrack ein wenig über die Er-
tappung, lachte sich jedoch sogleich herzlich selber aus
und sagte: "Ja richtig! ich hab nur mit halbem Ohr
gehört, wie du unaufhörlich von einer großen großen,
unterirdischen Kellerthür schwaztest, welche endlich mit

lichen Gemüther genommen, war alſo, wie es ſchien,
nichts zn befürchten, und ſelbſt äußerlich wurde das
Verhältniß keineswegs einſeitig auf Koſten der übri-
gen drei minder empfänglichen Schweſtern unterhalten.
Es herrſchte eine gutmüthige heitere Verträglichkeit;
nur die ältere Tochter, Erneſtine, deren Sorge vor-
züglich das Hausweſen überlaſſen blieb, zeigte mitun-
ter ein finſteres, gebieteriſches Weſen, und ſie hatte
den Vater bereits mehr als billig war auf ihre Seite
gebracht.

An einem trüben Morgen in der lezten Zeit des
Oktobers ſpazierten Theobald und ſeine Vertraute
zuſammen im Gärtchen hinter dem Hauſe. Er er-
zählte ſo eben ſeinen Traum von heute Nacht und die
Schweſter ſchien ernſthaft zuzuhören, indeß ſie unver-
wandt nach der Seite hinüberblickte, wo die alte
Ruine, der Rehſtock genannt, tief in Nebel geſteckt
liegen mußte.

„Aber du gibſt nicht Acht, Adelheid! Ich habe
vorhin, um dich zu prüfen, abſichtlich den tollen Un-
ſinn in meinen ſonſt vernünftigen Traum hineinge-
bracht und du nahmſt es ſo natürlich wie zweimal
zwei vier.“

Das Mädchen erſchrack ein wenig über die Er-
tappung, lachte ſich jedoch ſogleich herzlich ſelber aus
und ſagte: „Ja richtig! ich hab nur mit halbem Ohr
gehört, wie du unaufhörlich von einer großen großen,
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[278/0286] lichen Gemüther genommen, war alſo, wie es ſchien, nichts zn befürchten, und ſelbſt äußerlich wurde das Verhältniß keineswegs einſeitig auf Koſten der übri- gen drei minder empfänglichen Schweſtern unterhalten. Es herrſchte eine gutmüthige heitere Verträglichkeit; nur die ältere Tochter, Erneſtine, deren Sorge vor- züglich das Hausweſen überlaſſen blieb, zeigte mitun- ter ein finſteres, gebieteriſches Weſen, und ſie hatte den Vater bereits mehr als billig war auf ihre Seite gebracht. An einem trüben Morgen in der lezten Zeit des Oktobers ſpazierten Theobald und ſeine Vertraute zuſammen im Gärtchen hinter dem Hauſe. Er er- zählte ſo eben ſeinen Traum von heute Nacht und die Schweſter ſchien ernſthaft zuzuhören, indeß ſie unver- wandt nach der Seite hinüberblickte, wo die alte Ruine, der Rehſtock genannt, tief in Nebel geſteckt liegen mußte. „Aber du gibſt nicht Acht, Adelheid! Ich habe vorhin, um dich zu prüfen, abſichtlich den tollen Un- ſinn in meinen ſonſt vernünftigen Traum hineinge- bracht und du nahmſt es ſo natürlich wie zweimal zwei vier.“ Das Mädchen erſchrack ein wenig über die Er- tappung, lachte ſich jedoch ſogleich herzlich ſelber aus und ſagte: „Ja richtig! ich hab nur mit halbem Ohr gehört, wie du unaufhörlich von einer großen großen, unterirdiſchen Kellerthür ſchwazteſt, welche endlich mit

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/286>, abgerufen am 19.04.2024.