Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

sie förmlich zum Weibe?" "Ja, leider, daß Gott er-
barm'! er sezt' es durch. Er verläugnete die ab-
scheuliche Herkunft der Person, doch man merkte sogleich
Unrath, und wer von der Familie hätte sich nicht da-
vor bekreuzen sollen, so eine wildfremde Verwandt-
schaft einzugehen? Alles rieth dem Bruder ab, Alles
verschwor sich gegen eine Verbindung, ich selbst, Gott
vergebe mir's, habe mich verfeindet mit ihm, so lieb
ich ihn hatte. Umsonst, der Fürst war auf seiner
Seite, er ward in der Stille getraut und lebte mit
dem Weibsbild einsam genug auf seinem kleinen Gute.
Seine Kunst nährte ihn vollauf, aber es konnte kein
Seegen dabei seyn; beide Ehleute, sagt man, hätten
sich geliebt, abgöttisch geliebt, und doch, heißt es, sey
sie in den ersten Monaten krank geworden vor Heim-
weh nach ihren Wäldern, nach ihren Freunden. Man
sage mir was man will, ich behaupte, so ein Gesindel
kann das Vagiren nicht lassen, und mein armer Bru-
der muß tausendfachen Jammer erduldet haben. Es
dauerte kein Jahr, so schlug der Tod sich in's Mittel,
die Frau starb in dem ersten Kindbett. Euer Onkel,
statt, wie man hoffte, dem Himmel auf den Knieen
zu danken, that über den Verlust wie ein Verzwei-
felnder; er lebte eine Zeitlang nicht viel besser als
ein Einsiedler; sein einziger Trost war noch das Kind,
das am Leben erhalten war und in der Folge eine
unglaubliche Aehnlichkeit mit der Mutter zeigte. Er
ließ das Mädchen sorgfältig bei sich erziehen bis in

ſie förmlich zum Weibe?“ „Ja, leider, daß Gott er-
barm’! er ſezt’ es durch. Er verläugnete die ab-
ſcheuliche Herkunft der Perſon, doch man merkte ſogleich
Unrath, und wer von der Familie hätte ſich nicht da-
vor bekreuzen ſollen, ſo eine wildfremde Verwandt-
ſchaft einzugehen? Alles rieth dem Bruder ab, Alles
verſchwor ſich gegen eine Verbindung, ich ſelbſt, Gott
vergebe mir’s, habe mich verfeindet mit ihm, ſo lieb
ich ihn hatte. Umſonſt, der Fürſt war auf ſeiner
Seite, er ward in der Stille getraut und lebte mit
dem Weibsbild einſam genug auf ſeinem kleinen Gute.
Seine Kunſt nährte ihn vollauf, aber es konnte kein
Seegen dabei ſeyn; beide Ehleute, ſagt man, hätten
ſich geliebt, abgöttiſch geliebt, und doch, heißt es, ſey
ſie in den erſten Monaten krank geworden vor Heim-
weh nach ihren Wäldern, nach ihren Freunden. Man
ſage mir was man will, ich behaupte, ſo ein Geſindel
kann das Vagiren nicht laſſen, und mein armer Bru-
der muß tauſendfachen Jammer erduldet haben. Es
dauerte kein Jahr, ſo ſchlug der Tod ſich in’s Mittel,
die Frau ſtarb in dem erſten Kindbett. Euer Onkel,
ſtatt, wie man hoffte, dem Himmel auf den Knieen
zu danken, that über den Verluſt wie ein Verzwei-
felnder; er lebte eine Zeitlang nicht viel beſſer als
ein Einſiedler; ſein einziger Troſt war noch das Kind,
das am Leben erhalten war und in der Folge eine
unglaubliche Aehnlichkeit mit der Mutter zeigte. Er
ließ das Mädchen ſorgfältig bei ſich erziehen bis in

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0325" n="317"/>
&#x017F;ie förmlich zum Weibe?&#x201C; &#x201E;Ja, leider, daß Gott er-<lb/>
barm&#x2019;! er &#x017F;ezt&#x2019; es durch. Er verläugnete die ab-<lb/>
&#x017F;cheuliche Herkunft der Per&#x017F;on, doch man merkte &#x017F;ogleich<lb/>
Unrath, und wer von der Familie hätte &#x017F;ich nicht da-<lb/>
vor bekreuzen &#x017F;ollen, &#x017F;o eine wildfremde Verwandt-<lb/>
&#x017F;chaft einzugehen? Alles rieth dem Bruder ab, Alles<lb/>
ver&#x017F;chwor &#x017F;ich gegen eine Verbindung, ich &#x017F;elb&#x017F;t, Gott<lb/>
vergebe mir&#x2019;s, habe mich verfeindet mit ihm, &#x017F;o lieb<lb/>
ich ihn hatte. Um&#x017F;on&#x017F;t, der Für&#x017F;t war auf &#x017F;einer<lb/>
Seite, er ward in der Stille getraut und lebte mit<lb/>
dem Weibsbild ein&#x017F;am genug auf &#x017F;einem kleinen Gute.<lb/>
Seine Kun&#x017F;t nährte ihn vollauf, aber es konnte kein<lb/>
Seegen dabei &#x017F;eyn; beide Ehleute, &#x017F;agt man, hätten<lb/>
&#x017F;ich geliebt, abgötti&#x017F;ch geliebt, und doch, heißt es, &#x017F;ey<lb/>
&#x017F;ie in den er&#x017F;ten Monaten krank geworden vor Heim-<lb/>
weh nach ihren Wäldern, nach ihren Freunden. Man<lb/>
&#x017F;age mir was man will, ich behaupte, &#x017F;o ein Ge&#x017F;indel<lb/>
kann das Vagiren nicht la&#x017F;&#x017F;en, und mein armer Bru-<lb/>
der muß tau&#x017F;endfachen Jammer erduldet haben. Es<lb/>
dauerte kein Jahr, &#x017F;o &#x017F;chlug der Tod &#x017F;ich in&#x2019;s Mittel,<lb/>
die Frau &#x017F;tarb in dem er&#x017F;ten Kindbett. Euer Onkel,<lb/>
&#x017F;tatt, wie man hoffte, dem Himmel auf den Knieen<lb/>
zu danken, that über den Verlu&#x017F;t wie ein Verzwei-<lb/>
felnder; er lebte eine Zeitlang nicht viel be&#x017F;&#x017F;er als<lb/>
ein Ein&#x017F;iedler; &#x017F;ein einziger Tro&#x017F;t war noch das Kind,<lb/>
das am Leben erhalten war und in der Folge eine<lb/>
unglaubliche Aehnlichkeit mit der Mutter zeigte. Er<lb/>
ließ das Mädchen &#x017F;orgfältig bei &#x017F;ich erziehen bis in<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[317/0325] ſie förmlich zum Weibe?“ „Ja, leider, daß Gott er- barm’! er ſezt’ es durch. Er verläugnete die ab- ſcheuliche Herkunft der Perſon, doch man merkte ſogleich Unrath, und wer von der Familie hätte ſich nicht da- vor bekreuzen ſollen, ſo eine wildfremde Verwandt- ſchaft einzugehen? Alles rieth dem Bruder ab, Alles verſchwor ſich gegen eine Verbindung, ich ſelbſt, Gott vergebe mir’s, habe mich verfeindet mit ihm, ſo lieb ich ihn hatte. Umſonſt, der Fürſt war auf ſeiner Seite, er ward in der Stille getraut und lebte mit dem Weibsbild einſam genug auf ſeinem kleinen Gute. Seine Kunſt nährte ihn vollauf, aber es konnte kein Seegen dabei ſeyn; beide Ehleute, ſagt man, hätten ſich geliebt, abgöttiſch geliebt, und doch, heißt es, ſey ſie in den erſten Monaten krank geworden vor Heim- weh nach ihren Wäldern, nach ihren Freunden. Man ſage mir was man will, ich behaupte, ſo ein Geſindel kann das Vagiren nicht laſſen, und mein armer Bru- der muß tauſendfachen Jammer erduldet haben. Es dauerte kein Jahr, ſo ſchlug der Tod ſich in’s Mittel, die Frau ſtarb in dem erſten Kindbett. Euer Onkel, ſtatt, wie man hoffte, dem Himmel auf den Knieen zu danken, that über den Verluſt wie ein Verzwei- felnder; er lebte eine Zeitlang nicht viel beſſer als ein Einſiedler; ſein einziger Troſt war noch das Kind, das am Leben erhalten war und in der Folge eine unglaubliche Aehnlichkeit mit der Mutter zeigte. Er ließ das Mädchen ſorgfältig bei ſich erziehen bis in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/325
Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/325>, abgerufen am 23.04.2024.