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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

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Vorschlag zur Versorgung
Carl der Große zum Schandpfahl verdammet haben. Und
solte sie es auch nicht verdienen? Wie mancher Mensch wird
nicht endlich Krüppel, und weil er keine Handarbeit gelernt,
ein Strassenbettler?



XIII.
Vorschlag zur Versorgung alter
Bediente.

Vom Handwerk sagt man, daß es einen güldenen Boden
habe. Allein von dem Dienste kann man behaupten,
daß er einen eisernen habe. Ein Mensch, der seine beste Le-
benszeit mit Aufwarten zugebracht, ist am Ende seines Le-
bens insgemein sich und andern unnütz, und wann er treu
gedient, hat er von seinem Lohn kein Kapital gemacht. Er
setzt daher oft einen gutherzigen Herrn in die Versuchung, ihn
wider sein Gewissen mit einem Dienste zu versorgen, wozu
er nicht geschickt ist. Wäre es also nicht billig, eine Invali-
dencasse vor bejahrte Bediente zu stiften?

Nach meiner Rechnung könnte es füglich angehen, daß
ein Bedienter, der 30. Jahr im Lande wohl gedient, und
jährlich 1 Thaler zu dieser Invalidenkasse contribuiret hätte,
die übrige Zeit seines Lebens monatlich 2 Thaler; und wenn
er jährlich 2 Thaler contribuirt; monatlich 4 Thaler und so
ferner erhielte. Eben dieses konnte in Ansehung der weibli-
chen Dienstboten Statt haben. Und wie manche Herrschaft
würde diesen Fürschuß nicht für ihre Dienstboten jährlich gern
thun, wenn diese sich dagegen des Caffees und Thees frey-
willig enthalten wollten? Wie glücklich wäre dieses Geld nicht
angewandt; und was kann eine Obrigkeit abhalten, eine solche

An-

Vorſchlag zur Verſorgung
Carl der Große zum Schandpfahl verdammet haben. Und
ſolte ſie es auch nicht verdienen? Wie mancher Menſch wird
nicht endlich Kruͤppel, und weil er keine Handarbeit gelernt,
ein Straſſenbettler?



XIII.
Vorſchlag zur Verſorgung alter
Bediente.

Vom Handwerk ſagt man, daß es einen guͤldenen Boden
habe. Allein von dem Dienſte kann man behaupten,
daß er einen eiſernen habe. Ein Menſch, der ſeine beſte Le-
benszeit mit Aufwarten zugebracht, iſt am Ende ſeines Le-
bens insgemein ſich und andern unnuͤtz, und wann er treu
gedient, hat er von ſeinem Lohn kein Kapital gemacht. Er
ſetzt daher oft einen gutherzigen Herrn in die Verſuchung, ihn
wider ſein Gewiſſen mit einem Dienſte zu verſorgen, wozu
er nicht geſchickt iſt. Waͤre es alſo nicht billig, eine Invali-
dencaſſe vor bejahrte Bediente zu ſtiften?

Nach meiner Rechnung koͤnnte es fuͤglich angehen, daß
ein Bedienter, der 30. Jahr im Lande wohl gedient, und
jaͤhrlich 1 Thaler zu dieſer Invalidenkaſſe contribuiret haͤtte,
die uͤbrige Zeit ſeines Lebens monatlich 2 Thaler; und wenn
er jaͤhrlich 2 Thaler contribuirt; monatlich 4 Thaler und ſo
ferner erhielte. Eben dieſes konnte in Anſehung der weibli-
chen Dienſtboten Statt haben. Und wie manche Herrſchaft
wuͤrde dieſen Fuͤrſchuß nicht fuͤr ihre Dienſtboten jaͤhrlich gern
thun, wenn dieſe ſich dagegen des Caffees und Thees frey-
willig enthalten wollten? Wie gluͤcklich waͤre dieſes Geld nicht
angewandt; und was kann eine Obrigkeit abhalten, eine ſolche

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[84/0102] Vorſchlag zur Verſorgung Carl der Große zum Schandpfahl verdammet haben. Und ſolte ſie es auch nicht verdienen? Wie mancher Menſch wird nicht endlich Kruͤppel, und weil er keine Handarbeit gelernt, ein Straſſenbettler? XIII. Vorſchlag zur Verſorgung alter Bediente. Vom Handwerk ſagt man, daß es einen guͤldenen Boden habe. Allein von dem Dienſte kann man behaupten, daß er einen eiſernen habe. Ein Menſch, der ſeine beſte Le- benszeit mit Aufwarten zugebracht, iſt am Ende ſeines Le- bens insgemein ſich und andern unnuͤtz, und wann er treu gedient, hat er von ſeinem Lohn kein Kapital gemacht. Er ſetzt daher oft einen gutherzigen Herrn in die Verſuchung, ihn wider ſein Gewiſſen mit einem Dienſte zu verſorgen, wozu er nicht geſchickt iſt. Waͤre es alſo nicht billig, eine Invali- dencaſſe vor bejahrte Bediente zu ſtiften? Nach meiner Rechnung koͤnnte es fuͤglich angehen, daß ein Bedienter, der 30. Jahr im Lande wohl gedient, und jaͤhrlich 1 Thaler zu dieſer Invalidenkaſſe contribuiret haͤtte, die uͤbrige Zeit ſeines Lebens monatlich 2 Thaler; und wenn er jaͤhrlich 2 Thaler contribuirt; monatlich 4 Thaler und ſo ferner erhielte. Eben dieſes konnte in Anſehung der weibli- chen Dienſtboten Statt haben. Und wie manche Herrſchaft wuͤrde dieſen Fuͤrſchuß nicht fuͤr ihre Dienſtboten jaͤhrlich gern thun, wenn dieſe ſich dagegen des Caffees und Thees frey- willig enthalten wollten? Wie gluͤcklich waͤre dieſes Geld nicht angewandt; und was kann eine Obrigkeit abhalten, eine ſolche An-

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/102>, abgerufen am 29.03.2024.