Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Frage: Ist es gut, daß die Unterthan.
Wenn er seine Richtigkeit hätte: so würden diese Leute lieber
das Korn kaufen, als Land zum Bau miethen; und überhaupt
bleibt allemal der Schluß wahrscheinlich, daß keiner auf die
Dauer etwas unternehme, wovon er keinen Vortheil hat.
Es verdient übrigens bemerkt zu werden, daß vom Lande da-
hier kein Korn zur Stadt oder zu Markte gebracht werde.
Die Ursache davon ist, daß jeder sein Korn aus dem Hause
los werden kann. Eine Bequemlichkeit, welche der Landbauer
sicher denjenigen zu verdanken hat, die den Sommer über in
Holland liegen, und des Winters ihr Brod zu Hause kaufen.
Wie gern würden unsere Nachbaren an der Weser, die von
zehn Meilen her uns ihr Korn zuführen, sich die weite Reise
ersparen, wenn einige tausend Hollandsgänger bey ihnen über-
wintern wolten. Sie würden sie als ehrliche und nicht als
treulose Zugvögel behandeln.

Die Rechnung von denjenigen, was die Hollandsgän-
ger mitnehmen, verreisen und versäumen sollen, scheinet mir
übertrieben zu seyn; und wenigstens noch eine nähere Unter-
suchung zu erfordern, wozu ich einen erfahrenen Landwirth
hiemit aufgefordert haben will. Im voraus aber glaube ich,
daß die Familie, wovon der Vater die Schinken, den Speck,
das Garn, die Wolle und das Linnen in Holland verzehrt
und verreist, den besten Markt habe, und ihre Waare am
theuersten ausbringe. Meiner Meynung nach wäre es gut,
wenn all unser Linnen so glücklich verrissen würde. Das
Schwein der Heuerleute würde nicht gemästet, und das Garn
nicht gesponnen seyn, wenn der Weg nach Holland nicht die
Ursache gewesen, daß diese Leute sich unter uns besetzt hätten.
In andern Ländern wohnen die Heuerleute, welche Taglohn
verdienen, in Barraken, und werden nie so reich, eine eigne
Kuh oder ein Schwein unterhalten zu können. Ihre Weiber
und Kinder tragen keine Modefärbige Kleider, und keine breite

Schuh-

Die Frage: Iſt es gut, daß die Unterthan.
Wenn er ſeine Richtigkeit haͤtte: ſo wuͤrden dieſe Leute lieber
das Korn kaufen, als Land zum Bau miethen; und uͤberhaupt
bleibt allemal der Schluß wahrſcheinlich, daß keiner auf die
Dauer etwas unternehme, wovon er keinen Vortheil hat.
Es verdient uͤbrigens bemerkt zu werden, daß vom Lande da-
hier kein Korn zur Stadt oder zu Markte gebracht werde.
Die Urſache davon iſt, daß jeder ſein Korn aus dem Hauſe
los werden kann. Eine Bequemlichkeit, welche der Landbauer
ſicher denjenigen zu verdanken hat, die den Sommer uͤber in
Holland liegen, und des Winters ihr Brod zu Hauſe kaufen.
Wie gern wuͤrden unſere Nachbaren an der Weſer, die von
zehn Meilen her uns ihr Korn zufuͤhren, ſich die weite Reiſe
erſparen, wenn einige tauſend Hollandsgaͤnger bey ihnen uͤber-
wintern wolten. Sie wuͤrden ſie als ehrliche und nicht als
treuloſe Zugvoͤgel behandeln.

Die Rechnung von denjenigen, was die Hollandsgaͤn-
ger mitnehmen, verreiſen und verſaͤumen ſollen, ſcheinet mir
uͤbertrieben zu ſeyn; und wenigſtens noch eine naͤhere Unter-
ſuchung zu erfordern, wozu ich einen erfahrenen Landwirth
hiemit aufgefordert haben will. Im voraus aber glaube ich,
daß die Familie, wovon der Vater die Schinken, den Speck,
das Garn, die Wolle und das Linnen in Holland verzehrt
und verreiſt, den beſten Markt habe, und ihre Waare am
theuerſten ausbringe. Meiner Meynung nach waͤre es gut,
wenn all unſer Linnen ſo gluͤcklich verriſſen wuͤrde. Das
Schwein der Heuerleute wuͤrde nicht gemaͤſtet, und das Garn
nicht geſponnen ſeyn, wenn der Weg nach Holland nicht die
Urſache geweſen, daß dieſe Leute ſich unter uns beſetzt haͤtten.
In andern Laͤndern wohnen die Heuerleute, welche Taglohn
verdienen, in Barraken, und werden nie ſo reich, eine eigne
Kuh oder ein Schwein unterhalten zu koͤnnen. Ihre Weiber
und Kinder tragen keine Modefaͤrbige Kleider, und keine breite

Schuh-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0126" n="108"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Die Frage: I&#x017F;t es gut, daß die Unterthan.</hi></fw><lb/>
Wenn er &#x017F;eine Richtigkeit ha&#x0364;tte: &#x017F;o wu&#x0364;rden die&#x017F;e Leute lieber<lb/>
das Korn kaufen, als Land zum Bau miethen; und u&#x0364;berhaupt<lb/>
bleibt allemal der Schluß wahr&#x017F;cheinlich, daß keiner auf die<lb/>
Dauer etwas unternehme, wovon er keinen Vortheil hat.<lb/>
Es verdient u&#x0364;brigens bemerkt zu werden, daß vom Lande da-<lb/>
hier kein Korn zur Stadt oder zu Markte gebracht werde.<lb/>
Die Ur&#x017F;ache davon i&#x017F;t, daß jeder &#x017F;ein Korn aus dem Hau&#x017F;e<lb/>
los werden kann. Eine Bequemlichkeit, welche der Landbauer<lb/>
&#x017F;icher denjenigen zu verdanken hat, die den Sommer u&#x0364;ber in<lb/>
Holland liegen, und des Winters ihr Brod zu Hau&#x017F;e kaufen.<lb/>
Wie gern wu&#x0364;rden un&#x017F;ere Nachbaren an der We&#x017F;er, die von<lb/>
zehn Meilen her uns ihr Korn zufu&#x0364;hren, &#x017F;ich die weite Rei&#x017F;e<lb/>
er&#x017F;paren, wenn einige tau&#x017F;end Hollandsga&#x0364;nger bey ihnen u&#x0364;ber-<lb/>
wintern wolten. Sie wu&#x0364;rden &#x017F;ie als ehrliche und nicht als<lb/>
treulo&#x017F;e Zugvo&#x0364;gel behandeln.</p><lb/>
        <p>Die Rechnung von denjenigen, was die Hollandsga&#x0364;n-<lb/>
ger mitnehmen, verrei&#x017F;en und ver&#x017F;a&#x0364;umen &#x017F;ollen, &#x017F;cheinet mir<lb/>
u&#x0364;bertrieben zu &#x017F;eyn; und wenig&#x017F;tens noch eine na&#x0364;here Unter-<lb/>
&#x017F;uchung zu erfordern, wozu ich einen erfahrenen Landwirth<lb/>
hiemit aufgefordert haben will. Im voraus aber glaube ich,<lb/>
daß die Familie, wovon der Vater die Schinken, den Speck,<lb/>
das Garn, die Wolle und das Linnen in Holland verzehrt<lb/>
und verrei&#x017F;t, den be&#x017F;ten Markt habe, und ihre Waare am<lb/>
theuer&#x017F;ten ausbringe. Meiner Meynung nach wa&#x0364;re es gut,<lb/>
wenn all un&#x017F;er Linnen &#x017F;o glu&#x0364;cklich verri&#x017F;&#x017F;en wu&#x0364;rde. Das<lb/>
Schwein der Heuerleute wu&#x0364;rde nicht gema&#x0364;&#x017F;tet, und das Garn<lb/>
nicht ge&#x017F;ponnen &#x017F;eyn, wenn der Weg nach Holland nicht die<lb/>
Ur&#x017F;ache gewe&#x017F;en, daß die&#x017F;e Leute &#x017F;ich unter uns be&#x017F;etzt ha&#x0364;tten.<lb/>
In andern La&#x0364;ndern wohnen die Heuerleute, welche Taglohn<lb/>
verdienen, in Barraken, und werden nie &#x017F;o reich, eine eigne<lb/>
Kuh oder ein Schwein unterhalten zu ko&#x0364;nnen. Ihre Weiber<lb/>
und Kinder tragen keine Modefa&#x0364;rbige Kleider, und keine breite<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Schuh-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[108/0126] Die Frage: Iſt es gut, daß die Unterthan. Wenn er ſeine Richtigkeit haͤtte: ſo wuͤrden dieſe Leute lieber das Korn kaufen, als Land zum Bau miethen; und uͤberhaupt bleibt allemal der Schluß wahrſcheinlich, daß keiner auf die Dauer etwas unternehme, wovon er keinen Vortheil hat. Es verdient uͤbrigens bemerkt zu werden, daß vom Lande da- hier kein Korn zur Stadt oder zu Markte gebracht werde. Die Urſache davon iſt, daß jeder ſein Korn aus dem Hauſe los werden kann. Eine Bequemlichkeit, welche der Landbauer ſicher denjenigen zu verdanken hat, die den Sommer uͤber in Holland liegen, und des Winters ihr Brod zu Hauſe kaufen. Wie gern wuͤrden unſere Nachbaren an der Weſer, die von zehn Meilen her uns ihr Korn zufuͤhren, ſich die weite Reiſe erſparen, wenn einige tauſend Hollandsgaͤnger bey ihnen uͤber- wintern wolten. Sie wuͤrden ſie als ehrliche und nicht als treuloſe Zugvoͤgel behandeln. Die Rechnung von denjenigen, was die Hollandsgaͤn- ger mitnehmen, verreiſen und verſaͤumen ſollen, ſcheinet mir uͤbertrieben zu ſeyn; und wenigſtens noch eine naͤhere Unter- ſuchung zu erfordern, wozu ich einen erfahrenen Landwirth hiemit aufgefordert haben will. Im voraus aber glaube ich, daß die Familie, wovon der Vater die Schinken, den Speck, das Garn, die Wolle und das Linnen in Holland verzehrt und verreiſt, den beſten Markt habe, und ihre Waare am theuerſten ausbringe. Meiner Meynung nach waͤre es gut, wenn all unſer Linnen ſo gluͤcklich verriſſen wuͤrde. Das Schwein der Heuerleute wuͤrde nicht gemaͤſtet, und das Garn nicht geſponnen ſeyn, wenn der Weg nach Holland nicht die Urſache geweſen, daß dieſe Leute ſich unter uns beſetzt haͤtten. In andern Laͤndern wohnen die Heuerleute, welche Taglohn verdienen, in Barraken, und werden nie ſo reich, eine eigne Kuh oder ein Schwein unterhalten zu koͤnnen. Ihre Weiber und Kinder tragen keine Modefaͤrbige Kleider, und keine breite Schuh-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/126
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/126>, abgerufen am 29.03.2024.