Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

Bild:
<< vorherige Seite

Die gute seelige Frau.
damit sie nicht zu feucht weggelegt und stockigt werden möchte.
Wenn die Bettetücher in der Mitte zu sehr abgenutzt schienen,
schnitt sie solche los, und kehrte die aussen Seite gegen die
Mitte. Auch die Hemde wußte sie auf eine ähnliche Art um-
zukehren und die Strümpfe zwey bis dreymal anzuknütten.
Alles, was sie und ihre Kinder trugen, ward im Hause ge-
macht; und sie verstand sich auch sehr gut auf einen Manns-
schlafrock. Sie konnte ihn in einem Tage mit eigner Hand
fertig machen. Im Stopfen gieng ihr keine Frau vor; alle
Jahr wurden einige Stücken Linnen in der Haushaltung ge-
macht, und einige greis zugekauft, welche sie hernach zusam-
men bleichen ließ. Sie bückete solches selbst, und bewahrte
es so viel möglich für die gewaltsame Behandlung des Blei-
chers. Das Garn zu einem Stücke mußte von einer Hand,
und von einer Art Flachs gesponnen seyn. Von dem Besten
ward gezwirnet; und keine Nadel oder Nehnadel konnte
verlohren gehen, weil nicht ausgefegt werden durfte, ohne
daß sie zugegen war.

Ihr Garten war zu rechter Zeit, und mit selbst gezo-
genen Saamen bestellt. Im Frühjahr erholte sie sich in dem-
selben von der langen Winterarbeit, indem sie säete und jä-
tete. Die Früchte lachten dem Auge entgegen, ob sie gleich
kaum den halben Dünger gebrauchte, den ihre Nachbaren
ohne Verstand untergruben. Da sie allem Unkraut zeitig
widerstand: so hatte sie nicht die halbe Arbeit. Alles was
sie pflanzte, gerieth recht wunderbarlich, und ihr Vieh gab
bey kluger Futterung bessere und mehr Milch, als andre mit
doppelten Futter erhalten konnten. Keine Feder wurde ver-
lohren, und kein Brocken fiel auf die Erde.

Das Bewußtseyn ihrer guten Eigenschaften gab ihr ei-
nen ganz vortreflichen Anstand. Alles was bey Tische mit
Appetit gegessen wurde, war die schmeichelhafteste Lobrede

für

Die gute ſeelige Frau.
damit ſie nicht zu feucht weggelegt und ſtockigt werden moͤchte.
Wenn die Bettetuͤcher in der Mitte zu ſehr abgenutzt ſchienen,
ſchnitt ſie ſolche los, und kehrte die auſſen Seite gegen die
Mitte. Auch die Hemde wußte ſie auf eine aͤhnliche Art um-
zukehren und die Struͤmpfe zwey bis dreymal anzuknuͤtten.
Alles, was ſie und ihre Kinder trugen, ward im Hauſe ge-
macht; und ſie verſtand ſich auch ſehr gut auf einen Manns-
ſchlafrock. Sie konnte ihn in einem Tage mit eigner Hand
fertig machen. Im Stopfen gieng ihr keine Frau vor; alle
Jahr wurden einige Stuͤcken Linnen in der Haushaltung ge-
macht, und einige greis zugekauft, welche ſie hernach zuſam-
men bleichen ließ. Sie buͤckete ſolches ſelbſt, und bewahrte
es ſo viel moͤglich fuͤr die gewaltſame Behandlung des Blei-
chers. Das Garn zu einem Stuͤcke mußte von einer Hand,
und von einer Art Flachs geſponnen ſeyn. Von dem Beſten
ward gezwirnet; und keine Nadel oder Nehnadel konnte
verlohren gehen, weil nicht ausgefegt werden durfte, ohne
daß ſie zugegen war.

Ihr Garten war zu rechter Zeit, und mit ſelbſt gezo-
genen Saamen beſtellt. Im Fruͤhjahr erholte ſie ſich in dem-
ſelben von der langen Winterarbeit, indem ſie ſaͤete und jaͤ-
tete. Die Fruͤchte lachten dem Auge entgegen, ob ſie gleich
kaum den halben Duͤnger gebrauchte, den ihre Nachbaren
ohne Verſtand untergruben. Da ſie allem Unkraut zeitig
widerſtand: ſo hatte ſie nicht die halbe Arbeit. Alles was
ſie pflanzte, gerieth recht wunderbarlich, und ihr Vieh gab
bey kluger Futterung beſſere und mehr Milch, als andre mit
doppelten Futter erhalten konnten. Keine Feder wurde ver-
lohren, und kein Brocken fiel auf die Erde.

Das Bewußtſeyn ihrer guten Eigenſchaften gab ihr ei-
nen ganz vortreflichen Anſtand. Alles was bey Tiſche mit
Appetit gegeſſen wurde, war die ſchmeichelhafteſte Lobrede

fuͤr
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0141" n="123"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Die gute &#x017F;eelige Frau.</hi></fw><lb/>
damit &#x017F;ie nicht zu feucht weggelegt und &#x017F;tockigt werden mo&#x0364;chte.<lb/>
Wenn die Bettetu&#x0364;cher in der Mitte zu &#x017F;ehr abgenutzt &#x017F;chienen,<lb/>
&#x017F;chnitt &#x017F;ie &#x017F;olche los, und kehrte die au&#x017F;&#x017F;en Seite gegen die<lb/>
Mitte. Auch die Hemde wußte &#x017F;ie auf eine a&#x0364;hnliche Art um-<lb/>
zukehren und die Stru&#x0364;mpfe zwey bis dreymal anzuknu&#x0364;tten.<lb/>
Alles, was &#x017F;ie und ihre Kinder trugen, ward im Hau&#x017F;e ge-<lb/>
macht; und &#x017F;ie ver&#x017F;tand &#x017F;ich auch &#x017F;ehr gut auf einen Manns-<lb/>
&#x017F;chlafrock. Sie konnte ihn in einem Tage mit eigner Hand<lb/>
fertig machen. Im Stopfen gieng ihr keine Frau vor; alle<lb/>
Jahr wurden einige Stu&#x0364;cken Linnen in der Haushaltung ge-<lb/>
macht, und einige greis zugekauft, welche &#x017F;ie hernach zu&#x017F;am-<lb/>
men bleichen ließ. Sie bu&#x0364;ckete &#x017F;olches &#x017F;elb&#x017F;t, und bewahrte<lb/>
es &#x017F;o viel mo&#x0364;glich fu&#x0364;r die gewalt&#x017F;ame Behandlung des Blei-<lb/>
chers. Das Garn zu einem Stu&#x0364;cke mußte von einer Hand,<lb/>
und von einer Art Flachs ge&#x017F;ponnen &#x017F;eyn. Von dem Be&#x017F;ten<lb/>
ward gezwirnet; und keine Nadel oder Nehnadel konnte<lb/>
verlohren gehen, weil nicht ausgefegt werden durfte, ohne<lb/>
daß &#x017F;ie zugegen war.</p><lb/>
        <p>Ihr Garten war zu rechter Zeit, und mit &#x017F;elb&#x017F;t gezo-<lb/>
genen Saamen be&#x017F;tellt. Im Fru&#x0364;hjahr erholte &#x017F;ie &#x017F;ich in dem-<lb/>
&#x017F;elben von der langen Winterarbeit, indem &#x017F;ie &#x017F;a&#x0364;ete und ja&#x0364;-<lb/>
tete. Die Fru&#x0364;chte lachten dem Auge entgegen, ob &#x017F;ie gleich<lb/>
kaum den halben Du&#x0364;nger gebrauchte, den ihre Nachbaren<lb/>
ohne Ver&#x017F;tand untergruben. Da &#x017F;ie allem Unkraut zeitig<lb/>
wider&#x017F;tand: &#x017F;o hatte &#x017F;ie nicht die halbe Arbeit. Alles was<lb/>
&#x017F;ie pflanzte, gerieth recht wunderbarlich, und ihr Vieh gab<lb/>
bey kluger Futterung be&#x017F;&#x017F;ere und mehr Milch, als andre mit<lb/>
doppelten Futter erhalten konnten. Keine Feder wurde ver-<lb/>
lohren, und kein Brocken fiel auf die Erde.</p><lb/>
        <p>Das Bewußt&#x017F;eyn ihrer guten Eigen&#x017F;chaften gab ihr ei-<lb/>
nen ganz vortreflichen An&#x017F;tand. Alles was bey Ti&#x017F;che mit<lb/>
Appetit gege&#x017F;&#x017F;en wurde, war die &#x017F;chmeichelhafte&#x017F;te Lobrede<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">fu&#x0364;r</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[123/0141] Die gute ſeelige Frau. damit ſie nicht zu feucht weggelegt und ſtockigt werden moͤchte. Wenn die Bettetuͤcher in der Mitte zu ſehr abgenutzt ſchienen, ſchnitt ſie ſolche los, und kehrte die auſſen Seite gegen die Mitte. Auch die Hemde wußte ſie auf eine aͤhnliche Art um- zukehren und die Struͤmpfe zwey bis dreymal anzuknuͤtten. Alles, was ſie und ihre Kinder trugen, ward im Hauſe ge- macht; und ſie verſtand ſich auch ſehr gut auf einen Manns- ſchlafrock. Sie konnte ihn in einem Tage mit eigner Hand fertig machen. Im Stopfen gieng ihr keine Frau vor; alle Jahr wurden einige Stuͤcken Linnen in der Haushaltung ge- macht, und einige greis zugekauft, welche ſie hernach zuſam- men bleichen ließ. Sie buͤckete ſolches ſelbſt, und bewahrte es ſo viel moͤglich fuͤr die gewaltſame Behandlung des Blei- chers. Das Garn zu einem Stuͤcke mußte von einer Hand, und von einer Art Flachs geſponnen ſeyn. Von dem Beſten ward gezwirnet; und keine Nadel oder Nehnadel konnte verlohren gehen, weil nicht ausgefegt werden durfte, ohne daß ſie zugegen war. Ihr Garten war zu rechter Zeit, und mit ſelbſt gezo- genen Saamen beſtellt. Im Fruͤhjahr erholte ſie ſich in dem- ſelben von der langen Winterarbeit, indem ſie ſaͤete und jaͤ- tete. Die Fruͤchte lachten dem Auge entgegen, ob ſie gleich kaum den halben Duͤnger gebrauchte, den ihre Nachbaren ohne Verſtand untergruben. Da ſie allem Unkraut zeitig widerſtand: ſo hatte ſie nicht die halbe Arbeit. Alles was ſie pflanzte, gerieth recht wunderbarlich, und ihr Vieh gab bey kluger Futterung beſſere und mehr Milch, als andre mit doppelten Futter erhalten konnten. Keine Feder wurde ver- lohren, und kein Brocken fiel auf die Erde. Das Bewußtſeyn ihrer guten Eigenſchaften gab ihr ei- nen ganz vortreflichen Anſtand. Alles was bey Tiſche mit Appetit gegeſſen wurde, war die ſchmeichelhafteſte Lobrede fuͤr

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/141
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/141>, abgerufen am 19.04.2024.