Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

Bild:
<< vorherige Seite
Schulden der Unterthanen zu wehren.

Um ihre Wichtigkeit völlig einzusehen, muß man sich
auf die beyden Spitzen stellen. Hat der schatzbare Unterthan
ein unumschränktes Eigenthum: so kann er sich einem Herrn
zum Leibeignen übergeben, und sein Gut mit Zinsen, Päch-
ten und Diensten erschöpfen, mithin sowol seine Person, als
sein Vermögen völlig aus der gemeinen Reihe bringen.

Hat er gar keines, so wenig an seiner Person als an
seinen Gründen: so ist er eben so arm und ohne Mittel wie
ohne Credit zur Zeit der Noth seine Last zu tragen.

Der Punkt, wohin der Gesetzgeber winkt, ist dieser: Der
Reichsunterthan muß so viel Eigenthum haben als er gebraucht,
um sich in allen gewöhnlichen und wahrscheinlichen Fällen zu
retten, aber nicht so viel, um sich selbst aus Reih und Glie-
dern bringen, seinen Hof zu Grunde richten und seinen Theil
der gemeinen Last andern zuwälzen zu können. Der Gesetz-
geber behauptet: so bald hundert Menschen zusammen treten,
um sich mit ihrem rechten Arm zu wehren: so gehöre dieser
Arm dem gemeinen Wesen, und keiner von ihnen sey befugt,
seinen Daumen zu zerbrechen und hinterm Ofen bleiben zu
dürfen.

Die Kunst ist aber, diesen Mittelweg zu finden und
zwischen beyden Klippen ohne Anstoß durchzukommen, und
noch ist kein sterblicher Mensch hierinn mit mehrer Weisheit
und Vorsicht zu Werke gegangen als Moses. Es verlohnt
sich der Mühe, einen Blick auf seinen Plan zu werfen.

Bey den mehrsten bekannten alten Nationen hieß es:
So mancher Hof oder eigner Heerd, so mancher Degen.
Moses aber forderte so manchen Degen, als streitbare Hände
vorhanden waren. Bey jenen war die gemeine Vertheydi-
gung eine Grundsteuer, bey den Israeliten sollte es, um die
Kriegesmacht auf den höchsten Gipfel zu bringen, eine Kopf-

steuer
J 5
Schulden der Unterthanen zu wehren.

Um ihre Wichtigkeit voͤllig einzuſehen, muß man ſich
auf die beyden Spitzen ſtellen. Hat der ſchatzbare Unterthan
ein unumſchraͤnktes Eigenthum: ſo kann er ſich einem Herrn
zum Leibeignen uͤbergeben, und ſein Gut mit Zinſen, Paͤch-
ten und Dienſten erſchoͤpfen, mithin ſowol ſeine Perſon, als
ſein Vermoͤgen voͤllig aus der gemeinen Reihe bringen.

Hat er gar keines, ſo wenig an ſeiner Perſon als an
ſeinen Gruͤnden: ſo iſt er eben ſo arm und ohne Mittel wie
ohne Credit zur Zeit der Noth ſeine Laſt zu tragen.

Der Punkt, wohin der Geſetzgeber winkt, iſt dieſer: Der
Reichsunterthan muß ſo viel Eigenthum haben als er gebraucht,
um ſich in allen gewoͤhnlichen und wahrſcheinlichen Faͤllen zu
retten, aber nicht ſo viel, um ſich ſelbſt aus Reih und Glie-
dern bringen, ſeinen Hof zu Grunde richten und ſeinen Theil
der gemeinen Laſt andern zuwaͤlzen zu koͤnnen. Der Geſetz-
geber behauptet: ſo bald hundert Menſchen zuſammen treten,
um ſich mit ihrem rechten Arm zu wehren: ſo gehoͤre dieſer
Arm dem gemeinen Weſen, und keiner von ihnen ſey befugt,
ſeinen Daumen zu zerbrechen und hinterm Ofen bleiben zu
duͤrfen.

Die Kunſt iſt aber, dieſen Mittelweg zu finden und
zwiſchen beyden Klippen ohne Anſtoß durchzukommen, und
noch iſt kein ſterblicher Menſch hierinn mit mehrer Weisheit
und Vorſicht zu Werke gegangen als Moſes. Es verlohnt
ſich der Muͤhe, einen Blick auf ſeinen Plan zu werfen.

Bey den mehrſten bekannten alten Nationen hieß es:
So mancher Hof oder eigner Heerd, ſo mancher Degen.
Moſes aber forderte ſo manchen Degen, als ſtreitbare Haͤnde
vorhanden waren. Bey jenen war die gemeine Vertheydi-
gung eine Grundſteuer, bey den Iſraeliten ſollte es, um die
Kriegesmacht auf den hoͤchſten Gipfel zu bringen, eine Kopf-

ſteuer
J 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0155" n="137"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Schulden der Unterthanen zu wehren.</hi> </fw><lb/>
        <p>Um ihre Wichtigkeit vo&#x0364;llig einzu&#x017F;ehen, muß man &#x017F;ich<lb/>
auf die beyden Spitzen &#x017F;tellen. Hat der &#x017F;chatzbare Unterthan<lb/>
ein unum&#x017F;chra&#x0364;nktes Eigenthum: &#x017F;o kann er &#x017F;ich einem Herrn<lb/>
zum Leibeignen u&#x0364;bergeben, und &#x017F;ein Gut mit Zin&#x017F;en, Pa&#x0364;ch-<lb/>
ten und Dien&#x017F;ten er&#x017F;cho&#x0364;pfen, mithin &#x017F;owol &#x017F;eine Per&#x017F;on, als<lb/>
&#x017F;ein Vermo&#x0364;gen vo&#x0364;llig aus der gemeinen Reihe bringen.</p><lb/>
        <p>Hat er gar keines, &#x017F;o wenig an &#x017F;einer Per&#x017F;on als an<lb/>
&#x017F;einen Gru&#x0364;nden: &#x017F;o i&#x017F;t er eben &#x017F;o arm und ohne Mittel wie<lb/>
ohne Credit zur Zeit der Noth &#x017F;eine La&#x017F;t zu tragen.</p><lb/>
        <p>Der Punkt, wohin der Ge&#x017F;etzgeber winkt, i&#x017F;t die&#x017F;er: Der<lb/>
Reichsunterthan muß &#x017F;o viel Eigenthum haben als er gebraucht,<lb/>
um &#x017F;ich in allen gewo&#x0364;hnlichen und wahr&#x017F;cheinlichen Fa&#x0364;llen zu<lb/>
retten, aber nicht &#x017F;o viel, um &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t aus Reih und Glie-<lb/>
dern bringen, &#x017F;einen Hof zu Grunde richten und &#x017F;einen Theil<lb/>
der gemeinen La&#x017F;t andern zuwa&#x0364;lzen zu ko&#x0364;nnen. Der Ge&#x017F;etz-<lb/>
geber behauptet: &#x017F;o bald hundert Men&#x017F;chen zu&#x017F;ammen treten,<lb/>
um &#x017F;ich mit ihrem rechten Arm zu wehren: &#x017F;o geho&#x0364;re die&#x017F;er<lb/>
Arm dem gemeinen We&#x017F;en, und keiner von ihnen &#x017F;ey befugt,<lb/>
&#x017F;einen Daumen zu zerbrechen und hinterm Ofen bleiben zu<lb/>
du&#x0364;rfen.</p><lb/>
        <p>Die Kun&#x017F;t i&#x017F;t aber, die&#x017F;en Mittelweg zu finden und<lb/>
zwi&#x017F;chen beyden Klippen ohne An&#x017F;toß durchzukommen, und<lb/>
noch i&#x017F;t kein &#x017F;terblicher Men&#x017F;ch hierinn mit mehrer Weisheit<lb/>
und Vor&#x017F;icht zu Werke gegangen als Mo&#x017F;es. Es verlohnt<lb/>
&#x017F;ich der Mu&#x0364;he, einen Blick auf &#x017F;einen Plan zu werfen.</p><lb/>
        <p>Bey den mehr&#x017F;ten bekannten alten Nationen hieß es:<lb/>
So mancher Hof oder eigner Heerd, &#x017F;o mancher Degen.<lb/>
Mo&#x017F;es aber forderte &#x017F;o manchen Degen, als &#x017F;treitbare Ha&#x0364;nde<lb/>
vorhanden waren. Bey jenen war die gemeine Vertheydi-<lb/>
gung eine Grund&#x017F;teuer, bey den I&#x017F;raeliten &#x017F;ollte es, um die<lb/>
Kriegesmacht auf den ho&#x0364;ch&#x017F;ten Gipfel zu bringen, eine Kopf-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">J 5</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x017F;teuer</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[137/0155] Schulden der Unterthanen zu wehren. Um ihre Wichtigkeit voͤllig einzuſehen, muß man ſich auf die beyden Spitzen ſtellen. Hat der ſchatzbare Unterthan ein unumſchraͤnktes Eigenthum: ſo kann er ſich einem Herrn zum Leibeignen uͤbergeben, und ſein Gut mit Zinſen, Paͤch- ten und Dienſten erſchoͤpfen, mithin ſowol ſeine Perſon, als ſein Vermoͤgen voͤllig aus der gemeinen Reihe bringen. Hat er gar keines, ſo wenig an ſeiner Perſon als an ſeinen Gruͤnden: ſo iſt er eben ſo arm und ohne Mittel wie ohne Credit zur Zeit der Noth ſeine Laſt zu tragen. Der Punkt, wohin der Geſetzgeber winkt, iſt dieſer: Der Reichsunterthan muß ſo viel Eigenthum haben als er gebraucht, um ſich in allen gewoͤhnlichen und wahrſcheinlichen Faͤllen zu retten, aber nicht ſo viel, um ſich ſelbſt aus Reih und Glie- dern bringen, ſeinen Hof zu Grunde richten und ſeinen Theil der gemeinen Laſt andern zuwaͤlzen zu koͤnnen. Der Geſetz- geber behauptet: ſo bald hundert Menſchen zuſammen treten, um ſich mit ihrem rechten Arm zu wehren: ſo gehoͤre dieſer Arm dem gemeinen Weſen, und keiner von ihnen ſey befugt, ſeinen Daumen zu zerbrechen und hinterm Ofen bleiben zu duͤrfen. Die Kunſt iſt aber, dieſen Mittelweg zu finden und zwiſchen beyden Klippen ohne Anſtoß durchzukommen, und noch iſt kein ſterblicher Menſch hierinn mit mehrer Weisheit und Vorſicht zu Werke gegangen als Moſes. Es verlohnt ſich der Muͤhe, einen Blick auf ſeinen Plan zu werfen. Bey den mehrſten bekannten alten Nationen hieß es: So mancher Hof oder eigner Heerd, ſo mancher Degen. Moſes aber forderte ſo manchen Degen, als ſtreitbare Haͤnde vorhanden waren. Bey jenen war die gemeine Vertheydi- gung eine Grundſteuer, bey den Iſraeliten ſollte es, um die Kriegesmacht auf den hoͤchſten Gipfel zu bringen, eine Kopf- ſteuer J 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/155
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/155>, abgerufen am 18.04.2024.