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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

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Klage wider die Packenträger.
mit Teppichen belegt war, zu kommen. Ihr Hals zeigte seine
wohlerworbene braune Farbe; und der einzige Staat war
eine runde silberne Schnalle, womit sie ihr selbst gezeugtes
Hemd befestigte; und zwey Röcke, wovon sich nur einer se-
hen lassen durfte. Der Knecht hatte die Hälfte seines Garns,
welches er bey Feyerabend gesponnen, in einer Grube mit
Eichenlaub gefärbt; und die Webemagd ihm ein buntes Zeug
zum Wamms daraus gemacht, zur Belohnung, daß er ihr
Flachs in die Röthe b) und wieder heraus gebracht hatte.
Sie wußten mit einander nichts von fremden Putze; und be-
wunderten den Staat der Frau Pastorin als etwas Fürstliches,
ohne sich den Wunsch beyfallen zu lassen, so etwas nachah-
men zu dürfen.

Wer hat aber diese guten Sitten verderbt? Gewiß nie-
mand mehr als der Packenträger, der mit seinen Galanterie-
waaren nicht auf den Heerstrassen, sondern auf allen Bauer-
wegen wandelt, die kleinesten Hütten besucht, mit seinem
Geschwätz Mutter und Tochter horchend macht, ihnen vor-
lügt, was diese und jene Nachbarin bereits gekauft; ihnen
den Staat, welchen diese am nächsten Christfeste damit ma-
chen werde, mit verführischen Farben mahlt; der entzückten
Tochter ein Stück Sitz auf die Schulter hängt, ihr eine sanfte
Röthe über ihren künftigen Staat ablockt, und der gefälligen
Mutter selbst eine neue Spitze aufschwatzt, damit sie sich vor

ihrer
weil man nicht darinn fortkommen kann. Sie sind nichts
weniger als ein Zeichen der Armuth, indem wir Bauren-
frauen sehen, die zwanzig Thaler auf eine Mütze, und
zehn Thaler auf einen Halstuch wenden, aber doch, aus
angeführten Ursachen, bis zur Stadt in Holzschuhen kom-
men müssen.
b) Man schreibt jezt vielsältig: Rotten. Allein das französi-
sche rouir und rouissage lehrt, daß es beym alten Rö-
then
verbleiben müsse.

Klage wider die Packentraͤger.
mit Teppichen belegt war, zu kommen. Ihr Hals zeigte ſeine
wohlerworbene braune Farbe; und der einzige Staat war
eine runde ſilberne Schnalle, womit ſie ihr ſelbſt gezeugtes
Hemd befeſtigte; und zwey Roͤcke, wovon ſich nur einer ſe-
hen laſſen durfte. Der Knecht hatte die Haͤlfte ſeines Garns,
welches er bey Feyerabend geſponnen, in einer Grube mit
Eichenlaub gefaͤrbt; und die Webemagd ihm ein buntes Zeug
zum Wamms daraus gemacht, zur Belohnung, daß er ihr
Flachs in die Roͤthe b) und wieder heraus gebracht hatte.
Sie wußten mit einander nichts von fremden Putze; und be-
wunderten den Staat der Frau Paſtorin als etwas Fuͤrſtliches,
ohne ſich den Wunſch beyfallen zu laſſen, ſo etwas nachah-
men zu duͤrfen.

Wer hat aber dieſe guten Sitten verderbt? Gewiß nie-
mand mehr als der Packentraͤger, der mit ſeinen Galanterie-
waaren nicht auf den Heerſtraſſen, ſondern auf allen Bauer-
wegen wandelt, die kleineſten Huͤtten beſucht, mit ſeinem
Geſchwaͤtz Mutter und Tochter horchend macht, ihnen vor-
luͤgt, was dieſe und jene Nachbarin bereits gekauft; ihnen
den Staat, welchen dieſe am naͤchſten Chriſtfeſte damit ma-
chen werde, mit verfuͤhriſchen Farben mahlt; der entzuͤckten
Tochter ein Stuͤck Sitz auf die Schulter haͤngt, ihr eine ſanfte
Roͤthe uͤber ihren kuͤnftigen Staat ablockt, und der gefaͤlligen
Mutter ſelbſt eine neue Spitze aufſchwatzt, damit ſie ſich vor

ihrer
weil man nicht darinn fortkommen kann. Sie ſind nichts
weniger als ein Zeichen der Armuth, indem wir Bauren-
frauen ſehen, die zwanzig Thaler auf eine Muͤtze, und
zehn Thaler auf einen Halstuch wenden, aber doch, aus
angefuͤhrten Urſachen, bis zur Stadt in Holzſchuhen kom-
men muͤſſen.
b) Man ſchreibt jezt vielſaͤltig: Rotten. Allein das franzoͤſi-
ſche rouir und rouiſſage lehrt, daß es beym alten Roͤ-
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verbleiben muͤſſe.
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[220/0238] Klage wider die Packentraͤger. mit Teppichen belegt war, zu kommen. Ihr Hals zeigte ſeine wohlerworbene braune Farbe; und der einzige Staat war eine runde ſilberne Schnalle, womit ſie ihr ſelbſt gezeugtes Hemd befeſtigte; und zwey Roͤcke, wovon ſich nur einer ſe- hen laſſen durfte. Der Knecht hatte die Haͤlfte ſeines Garns, welches er bey Feyerabend geſponnen, in einer Grube mit Eichenlaub gefaͤrbt; und die Webemagd ihm ein buntes Zeug zum Wamms daraus gemacht, zur Belohnung, daß er ihr Flachs in die Roͤthe b) und wieder heraus gebracht hatte. Sie wußten mit einander nichts von fremden Putze; und be- wunderten den Staat der Frau Paſtorin als etwas Fuͤrſtliches, ohne ſich den Wunſch beyfallen zu laſſen, ſo etwas nachah- men zu duͤrfen. Wer hat aber dieſe guten Sitten verderbt? Gewiß nie- mand mehr als der Packentraͤger, der mit ſeinen Galanterie- waaren nicht auf den Heerſtraſſen, ſondern auf allen Bauer- wegen wandelt, die kleineſten Huͤtten beſucht, mit ſeinem Geſchwaͤtz Mutter und Tochter horchend macht, ihnen vor- luͤgt, was dieſe und jene Nachbarin bereits gekauft; ihnen den Staat, welchen dieſe am naͤchſten Chriſtfeſte damit ma- chen werde, mit verfuͤhriſchen Farben mahlt; der entzuͤckten Tochter ein Stuͤck Sitz auf die Schulter haͤngt, ihr eine ſanfte Roͤthe uͤber ihren kuͤnftigen Staat ablockt, und der gefaͤlligen Mutter ſelbſt eine neue Spitze aufſchwatzt, damit ſie ſich vor ihrer a) b) Man ſchreibt jezt vielſaͤltig: Rotten. Allein das franzoͤſi- ſche rouir und rouiſſage lehrt, daß es beym alten Roͤ- then verbleiben muͤſſe. a) weil man nicht darinn fortkommen kann. Sie ſind nichts weniger als ein Zeichen der Armuth, indem wir Bauren- frauen ſehen, die zwanzig Thaler auf eine Muͤtze, und zehn Thaler auf einen Halstuch wenden, aber doch, aus angefuͤhrten Urſachen, bis zur Stadt in Holzſchuhen kom- men muͤſſen.

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/238>, abgerufen am 23.04.2024.