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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

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Schreiben eines reisenden Gasconiers
stens unter den Damen etwas zu finden, was sich in meine
Sammlung von seltenen Thieren schicken würde. Allein auch
hier schlug meine Vermuthung fehl. Ich traf einen vorneh-
men Edelmann an, der mit seinen Leibeignen als mit vernünf-
tigen Menschen umgieng; der ihre Bedürfnisse fühlte; ihnen
mit Rath an die Hand gieng; ihnen in der Noth Vorschuß
that; und sich um ihr ganzes Hauswesen mit einer väterlichen
Sorgfalt bekümmerte. Die Frau vom Hause verließ mich
mitten in einer interessanten Erzählung, um mit einer armen
Frau zu sprechen. Und was ich beynahe für etwas origina-
les gehalten hätte: so gieng das gnädige Fräulein aus dem
Zimmer in den Keller um den Wein auszulangen; ohnerach-
tet ich ihr eben eine neumodische Caricaturhaube vorzeichnete.
In dem Zimmer fand sich nichts als Ordnung und Reinlich-
keit, und wie wir nach Tische in den Garten giengen, fan-
den sich, erzittern Sie doch, keine Orangeriebäume mehr.
Der Herr vom Hause erzählte mir dabey, daß zu seines Groß-
vaters Zeiten kein Edelmann ohne eine Orangerie gewesen
wäre; und jeder sein bestes Gehölze dazu verbraucht hätte,
um diese fremden Puppen zu unterhalten. Jezt aber hielte
man mehr auf eine Eiche, als auf einen Lorbeerbaum. Der
gute Mann, daß er seine Orangerie nicht behalten hat? Wer
vordem zu ihm kam, erzählte ihm allemal, wo er dieselbe
besser gesehen; und das mußte er für ein Compliment auf-
nehmen. Jezt wird man ihn fragen müssen: Ob es dieses
Jahr auch Mast geben werde? Und dann wird die Rede wohl
gar auf die Schweine fallen. Was für eine Erniedrigung!

Ich dachte endlich; auf dem Lande ist es schlecht; aber
in den Städten wird es doch Merkwürdigkeiten für mich ge-
ben. Aber nein, auch hier fand ich einige verunglückte Co-
peyen, wovon ich die Originale unendlich schöner gesehen hatte,
ausgenommen, nichts als gesunde Leute; die emsig und zu-

frie-

Schreiben eines reiſenden Gaſconiers
ſtens unter den Damen etwas zu finden, was ſich in meine
Sammlung von ſeltenen Thieren ſchicken wuͤrde. Allein auch
hier ſchlug meine Vermuthung fehl. Ich traf einen vorneh-
men Edelmann an, der mit ſeinen Leibeignen als mit vernuͤnf-
tigen Menſchen umgieng; der ihre Beduͤrfniſſe fuͤhlte; ihnen
mit Rath an die Hand gieng; ihnen in der Noth Vorſchuß
that; und ſich um ihr ganzes Hausweſen mit einer vaͤterlichen
Sorgfalt bekuͤmmerte. Die Frau vom Hauſe verließ mich
mitten in einer intereſſanten Erzaͤhlung, um mit einer armen
Frau zu ſprechen. Und was ich beynahe fuͤr etwas origina-
les gehalten haͤtte: ſo gieng das gnaͤdige Fraͤulein aus dem
Zimmer in den Keller um den Wein auszulangen; ohnerach-
tet ich ihr eben eine neumodiſche Caricaturhaube vorzeichnete.
In dem Zimmer fand ſich nichts als Ordnung und Reinlich-
keit, und wie wir nach Tiſche in den Garten giengen, fan-
den ſich, erzittern Sie doch, keine Orangeriebaͤume mehr.
Der Herr vom Hauſe erzaͤhlte mir dabey, daß zu ſeines Groß-
vaters Zeiten kein Edelmann ohne eine Orangerie geweſen
waͤre; und jeder ſein beſtes Gehoͤlze dazu verbraucht haͤtte,
um dieſe fremden Puppen zu unterhalten. Jezt aber hielte
man mehr auf eine Eiche, als auf einen Lorbeerbaum. Der
gute Mann, daß er ſeine Orangerie nicht behalten hat? Wer
vordem zu ihm kam, erzaͤhlte ihm allemal, wo er dieſelbe
beſſer geſehen; und das mußte er fuͤr ein Compliment auf-
nehmen. Jezt wird man ihn fragen muͤſſen: Ob es dieſes
Jahr auch Maſt geben werde? Und dann wird die Rede wohl
gar auf die Schweine fallen. Was fuͤr eine Erniedrigung!

Ich dachte endlich; auf dem Lande iſt es ſchlecht; aber
in den Staͤdten wird es doch Merkwuͤrdigkeiten fuͤr mich ge-
ben. Aber nein, auch hier fand ich einige verungluͤckte Co-
peyen, wovon ich die Originale unendlich ſchoͤner geſehen hatte,
ausgenommen, nichts als geſunde Leute; die emſig und zu-

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[248/0266] Schreiben eines reiſenden Gaſconiers ſtens unter den Damen etwas zu finden, was ſich in meine Sammlung von ſeltenen Thieren ſchicken wuͤrde. Allein auch hier ſchlug meine Vermuthung fehl. Ich traf einen vorneh- men Edelmann an, der mit ſeinen Leibeignen als mit vernuͤnf- tigen Menſchen umgieng; der ihre Beduͤrfniſſe fuͤhlte; ihnen mit Rath an die Hand gieng; ihnen in der Noth Vorſchuß that; und ſich um ihr ganzes Hausweſen mit einer vaͤterlichen Sorgfalt bekuͤmmerte. Die Frau vom Hauſe verließ mich mitten in einer intereſſanten Erzaͤhlung, um mit einer armen Frau zu ſprechen. Und was ich beynahe fuͤr etwas origina- les gehalten haͤtte: ſo gieng das gnaͤdige Fraͤulein aus dem Zimmer in den Keller um den Wein auszulangen; ohnerach- tet ich ihr eben eine neumodiſche Caricaturhaube vorzeichnete. In dem Zimmer fand ſich nichts als Ordnung und Reinlich- keit, und wie wir nach Tiſche in den Garten giengen, fan- den ſich, erzittern Sie doch, keine Orangeriebaͤume mehr. Der Herr vom Hauſe erzaͤhlte mir dabey, daß zu ſeines Groß- vaters Zeiten kein Edelmann ohne eine Orangerie geweſen waͤre; und jeder ſein beſtes Gehoͤlze dazu verbraucht haͤtte, um dieſe fremden Puppen zu unterhalten. Jezt aber hielte man mehr auf eine Eiche, als auf einen Lorbeerbaum. Der gute Mann, daß er ſeine Orangerie nicht behalten hat? Wer vordem zu ihm kam, erzaͤhlte ihm allemal, wo er dieſelbe beſſer geſehen; und das mußte er fuͤr ein Compliment auf- nehmen. Jezt wird man ihn fragen muͤſſen: Ob es dieſes Jahr auch Maſt geben werde? Und dann wird die Rede wohl gar auf die Schweine fallen. Was fuͤr eine Erniedrigung! Ich dachte endlich; auf dem Lande iſt es ſchlecht; aber in den Staͤdten wird es doch Merkwuͤrdigkeiten fuͤr mich ge- ben. Aber nein, auch hier fand ich einige verungluͤckte Co- peyen, wovon ich die Originale unendlich ſchoͤner geſehen hatte, ausgenommen, nichts als geſunde Leute; die emſig und zu- frie-

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/266>, abgerufen am 28.03.2024.