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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

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über den Gebrauch ihrer Zeit.
Jahre so geschwind hin, daß ich ganz verwirret darüber bin.
Oft schmäle ich noch mit meiner seligen Mutter im Grabe,
daß sie mir nicht mehrern Geschmack an der Haushaltung
beygebracht; und daß ich in den Jahren, wo die Begierde
zu gefallen, mich zu keiner ernsthaften Ueberlegung kommen
ließ, mir nicht wenigstens eine kleine gute Faust, womit ich
einen Topf vom Feuer nehmen könnte, erworben habe. Al-
lein da sagte meine liebe Mutter: Kind, wer will dir die
Hand küssen, wenn sie nach der Küche riecht; und um einen
kleinen Fuß zu behalten, trippelte ich höchstens einmal auf ei-
ner grünen Terrasse herum. Jezt in meinen Alter kann ich
mir nicht einmal abgewöhnen ohne Handschuh zu schlafen;
wie wollte ich mich denn in andern Stücken ändern können?

Sie, Herr Capellan, haben mir oft gesagt, daß Sie keine
Stunde hinbringen könnten, ohne eine Prise Tabak zu neh-
men. Ach nehmen Sie jezt auch eine, und überlegen dabey
einmal, wie ich meine Rechnung besser einrichten könne? Zei-
gen Sie mir einen Plan, der meinen Kräften und meiner
Gewohnheit angemessen ist. Einen Plan, wobey ich nicht
nöthig habe mein Bette früher zu verlassen oder die Assem-
blee zu versäumen. Nehmen Sie mich als ein Geschöpfe an,
das lahme Füsse und Hände, und dabey einen Kopf hat, der
durch die Länge der Zeit nun einmal so verdorben ist, daß er
zu einsamen ernsthaften Betrachtungen gar nicht mehr aufge-
legt ist, dem Youngs Nachtgedanken sogleich die heftigste
Schmerzen verursachen, und der diese Nacht gewiß nicht schla-
fen wird, da ich so lange geschrieben habe.

Ich bin in dessen Erwartung etc.


XXXXVII.
S 5

uͤber den Gebrauch ihrer Zeit.
Jahre ſo geſchwind hin, daß ich ganz verwirret daruͤber bin.
Oft ſchmaͤle ich noch mit meiner ſeligen Mutter im Grabe,
daß ſie mir nicht mehrern Geſchmack an der Haushaltung
beygebracht; und daß ich in den Jahren, wo die Begierde
zu gefallen, mich zu keiner ernſthaften Ueberlegung kommen
ließ, mir nicht wenigſtens eine kleine gute Fauſt, womit ich
einen Topf vom Feuer nehmen koͤnnte, erworben habe. Al-
lein da ſagte meine liebe Mutter: Kind, wer will dir die
Hand kuͤſſen, wenn ſie nach der Kuͤche riecht; und um einen
kleinen Fuß zu behalten, trippelte ich hoͤchſtens einmal auf ei-
ner gruͤnen Terraſſe herum. Jezt in meinen Alter kann ich
mir nicht einmal abgewoͤhnen ohne Handſchuh zu ſchlafen;
wie wollte ich mich denn in andern Stuͤcken aͤndern koͤnnen?

Sie, Herr Capellan, haben mir oft geſagt, daß Sie keine
Stunde hinbringen koͤnnten, ohne eine Priſe Tabak zu neh-
men. Ach nehmen Sie jezt auch eine, und uͤberlegen dabey
einmal, wie ich meine Rechnung beſſer einrichten koͤnne? Zei-
gen Sie mir einen Plan, der meinen Kraͤften und meiner
Gewohnheit angemeſſen iſt. Einen Plan, wobey ich nicht
noͤthig habe mein Bette fruͤher zu verlaſſen oder die Aſſem-
blee zu verſaͤumen. Nehmen Sie mich als ein Geſchoͤpfe an,
das lahme Fuͤſſe und Haͤnde, und dabey einen Kopf hat, der
durch die Laͤnge der Zeit nun einmal ſo verdorben iſt, daß er
zu einſamen ernſthaften Betrachtungen gar nicht mehr aufge-
legt iſt, dem Youngs Nachtgedanken ſogleich die heftigſte
Schmerzen verurſachen, und der dieſe Nacht gewiß nicht ſchla-
fen wird, da ich ſo lange geſchrieben habe.

Ich bin in deſſen Erwartung ꝛc.


XXXXVII.
S 5
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[281/0299] uͤber den Gebrauch ihrer Zeit. Jahre ſo geſchwind hin, daß ich ganz verwirret daruͤber bin. Oft ſchmaͤle ich noch mit meiner ſeligen Mutter im Grabe, daß ſie mir nicht mehrern Geſchmack an der Haushaltung beygebracht; und daß ich in den Jahren, wo die Begierde zu gefallen, mich zu keiner ernſthaften Ueberlegung kommen ließ, mir nicht wenigſtens eine kleine gute Fauſt, womit ich einen Topf vom Feuer nehmen koͤnnte, erworben habe. Al- lein da ſagte meine liebe Mutter: Kind, wer will dir die Hand kuͤſſen, wenn ſie nach der Kuͤche riecht; und um einen kleinen Fuß zu behalten, trippelte ich hoͤchſtens einmal auf ei- ner gruͤnen Terraſſe herum. Jezt in meinen Alter kann ich mir nicht einmal abgewoͤhnen ohne Handſchuh zu ſchlafen; wie wollte ich mich denn in andern Stuͤcken aͤndern koͤnnen? Sie, Herr Capellan, haben mir oft geſagt, daß Sie keine Stunde hinbringen koͤnnten, ohne eine Priſe Tabak zu neh- men. Ach nehmen Sie jezt auch eine, und uͤberlegen dabey einmal, wie ich meine Rechnung beſſer einrichten koͤnne? Zei- gen Sie mir einen Plan, der meinen Kraͤften und meiner Gewohnheit angemeſſen iſt. Einen Plan, wobey ich nicht noͤthig habe mein Bette fruͤher zu verlaſſen oder die Aſſem- blee zu verſaͤumen. Nehmen Sie mich als ein Geſchoͤpfe an, das lahme Fuͤſſe und Haͤnde, und dabey einen Kopf hat, der durch die Laͤnge der Zeit nun einmal ſo verdorben iſt, daß er zu einſamen ernſthaften Betrachtungen gar nicht mehr aufge- legt iſt, dem Youngs Nachtgedanken ſogleich die heftigſte Schmerzen verurſachen, und der dieſe Nacht gewiß nicht ſchla- fen wird, da ich ſo lange geſchrieben habe. Ich bin in deſſen Erwartung ꝛc. XXXXVII. S 5

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/299>, abgerufen am 19.04.2024.