Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

Bild:
<< vorherige Seite

Antw. des H. Commendeurs auf das Schreiben
heiter, und der ganze Hof gefällig. Gesetzt nun, Sie wollten
durchaus eine Seele haben, sich andern gleich beschäftigen und
auf ihrem Canape der Rechenschaft, welche Sie davon abzu-
legen hätten, nachdenken; gesetzt, andre Damen folgten diesem
traurigen Exempel: wo wollte der Arbeiter im Cabinet und
im Felde sich erholen? wer würde ihnen Empfindungen bey-
bringen? Empfindungen, welche das rauhe Herz zum Mit-
leiden und zur leutseligen Hülfe herabstimmen? Ohne Er-
holung ist keine Arbeit; und wo Sie nicht behaupten wol-
len, daß wir uns wie unsre Vorfahren blos am Weine erholen
sollen: so müssen Sie mit ihrer glücklichen Muße dem allge-
meinen Besten zu statten kommen, so müssen Sie sich vor wie
nach in der Gallerie oder in der Assemblee zeigen; und die
Stelle des Gestirns vertreten, das auch die finstersten Philo-
sophen zu seiner Betrachtung reizet: so müssen Sie den Scherz
und die Heiterkeit zu Tische führen, und damit den arbeitsa-
men Seelen neue Kräfte geben. Dabey aber können und
dürfen Sie nicht arbeiten, nicht denken und nicht rechnen;
denn dies würde Ihnen nichts als frühe Runzeln einbringen;
und welcher Staatsmann würde bey diesen nur ein einziges
Project vergessen? Bedenken Sie nur das einzige: Die
Leute, welche von ihrer Zeit Rechenschaft abzulegen haben,
sind zugleich verdammt ihr Brod im Schweiß ihres Ange-
sichts zu essen. Wie schickt sich dieses aber für eine Hofdame,
die den ganzen Tag geschminkt seyn soll? Würde nicht alle
Farbe von ihren schönen Wangen fliessen?

Haben Euer Gnaden aber jedoch eine kleine Herzstär-
kung nöthig; gut, so will ich Ihnen eine vorschreiben, die
gewiß nach Ihrem Geschmack seyn wird. Verrichten Sie
alle Tage in diesem Jahre eine gute Handlung. Der Arbeit-
same, der immer an seinem Werke klebt, und unermüdet be-
schäftigt ist, wird nur durch unmittelbare Gegenstände zum

Mit-

Antw. des H. Commendeurs auf das Schreiben
heiter, und der ganze Hof gefaͤllig. Geſetzt nun, Sie wollten
durchaus eine Seele haben, ſich andern gleich beſchaͤftigen und
auf ihrem Canape der Rechenſchaft, welche Sie davon abzu-
legen haͤtten, nachdenken; geſetzt, andre Damen folgten dieſem
traurigen Exempel: wo wollte der Arbeiter im Cabinet und
im Felde ſich erholen? wer wuͤrde ihnen Empfindungen bey-
bringen? Empfindungen, welche das rauhe Herz zum Mit-
leiden und zur leutſeligen Huͤlfe herabſtimmen? Ohne Er-
holung iſt keine Arbeit; und wo Sie nicht behaupten wol-
len, daß wir uns wie unſre Vorfahren blos am Weine erholen
ſollen: ſo muͤſſen Sie mit ihrer gluͤcklichen Muße dem allge-
meinen Beſten zu ſtatten kommen, ſo muͤſſen Sie ſich vor wie
nach in der Gallerie oder in der Aſſemblee zeigen; und die
Stelle des Geſtirns vertreten, das auch die finſterſten Philo-
ſophen zu ſeiner Betrachtung reizet: ſo muͤſſen Sie den Scherz
und die Heiterkeit zu Tiſche fuͤhren, und damit den arbeitſa-
men Seelen neue Kraͤfte geben. Dabey aber koͤnnen und
duͤrfen Sie nicht arbeiten, nicht denken und nicht rechnen;
denn dies wuͤrde Ihnen nichts als fruͤhe Runzeln einbringen;
und welcher Staatsmann wuͤrde bey dieſen nur ein einziges
Project vergeſſen? Bedenken Sie nur das einzige: Die
Leute, welche von ihrer Zeit Rechenſchaft abzulegen haben,
ſind zugleich verdammt ihr Brod im Schweiß ihres Ange-
ſichts zu eſſen. Wie ſchickt ſich dieſes aber fuͤr eine Hofdame,
die den ganzen Tag geſchminkt ſeyn ſoll? Wuͤrde nicht alle
Farbe von ihren ſchoͤnen Wangen flieſſen?

Haben Euer Gnaden aber jedoch eine kleine Herzſtaͤr-
kung noͤthig; gut, ſo will ich Ihnen eine vorſchreiben, die
gewiß nach Ihrem Geſchmack ſeyn wird. Verrichten Sie
alle Tage in dieſem Jahre eine gute Handlung. Der Arbeit-
ſame, der immer an ſeinem Werke klebt, und unermuͤdet be-
ſchaͤftigt iſt, wird nur durch unmittelbare Gegenſtaͤnde zum

Mit-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0302" n="284"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Antw. des H. Commendeurs auf das Schreiben</hi></fw><lb/>
heiter, und der ganze Hof gefa&#x0364;llig. Ge&#x017F;etzt nun, Sie wollten<lb/>
durchaus eine Seele haben, &#x017F;ich andern gleich be&#x017F;cha&#x0364;ftigen und<lb/>
auf ihrem Canape der Rechen&#x017F;chaft, welche Sie davon abzu-<lb/>
legen ha&#x0364;tten, nachdenken; ge&#x017F;etzt, andre Damen folgten die&#x017F;em<lb/>
traurigen Exempel: wo wollte der Arbeiter im Cabinet und<lb/>
im Felde &#x017F;ich erholen? wer wu&#x0364;rde ihnen Empfindungen bey-<lb/>
bringen? Empfindungen, welche das rauhe Herz zum Mit-<lb/>
leiden und zur leut&#x017F;eligen Hu&#x0364;lfe herab&#x017F;timmen? Ohne Er-<lb/>
holung i&#x017F;t keine Arbeit; und wo Sie nicht behaupten wol-<lb/>
len, daß wir uns wie un&#x017F;re Vorfahren blos am Weine erholen<lb/>
&#x017F;ollen: &#x017F;o mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en Sie mit ihrer glu&#x0364;cklichen Muße dem allge-<lb/>
meinen Be&#x017F;ten zu &#x017F;tatten kommen, &#x017F;o mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en Sie &#x017F;ich vor wie<lb/>
nach in der Gallerie oder in der A&#x017F;&#x017F;emblee zeigen; und die<lb/>
Stelle des Ge&#x017F;tirns vertreten, das auch die fin&#x017F;ter&#x017F;ten Philo-<lb/>
&#x017F;ophen zu &#x017F;einer Betrachtung reizet: &#x017F;o mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en Sie den Scherz<lb/>
und die Heiterkeit zu Ti&#x017F;che fu&#x0364;hren, und damit den arbeit&#x017F;a-<lb/>
men Seelen neue Kra&#x0364;fte geben. Dabey aber ko&#x0364;nnen und<lb/>
du&#x0364;rfen Sie nicht arbeiten, nicht denken und nicht rechnen;<lb/>
denn dies wu&#x0364;rde Ihnen nichts als fru&#x0364;he Runzeln einbringen;<lb/>
und welcher Staatsmann wu&#x0364;rde bey die&#x017F;en nur ein einziges<lb/>
Project verge&#x017F;&#x017F;en? Bedenken Sie nur das einzige: Die<lb/>
Leute, welche von ihrer Zeit Rechen&#x017F;chaft abzulegen haben,<lb/>
&#x017F;ind zugleich verdammt ihr Brod im Schweiß ihres Ange-<lb/>
&#x017F;ichts zu e&#x017F;&#x017F;en. Wie &#x017F;chickt &#x017F;ich die&#x017F;es aber fu&#x0364;r eine Hofdame,<lb/>
die den ganzen Tag ge&#x017F;chminkt &#x017F;eyn &#x017F;oll? Wu&#x0364;rde nicht alle<lb/>
Farbe von ihren &#x017F;cho&#x0364;nen Wangen flie&#x017F;&#x017F;en?</p><lb/>
        <p>Haben Euer Gnaden aber jedoch eine kleine Herz&#x017F;ta&#x0364;r-<lb/>
kung no&#x0364;thig; gut, &#x017F;o will ich Ihnen eine vor&#x017F;chreiben, die<lb/>
gewiß nach Ihrem Ge&#x017F;chmack &#x017F;eyn wird. Verrichten Sie<lb/>
alle Tage in die&#x017F;em Jahre eine gute Handlung. Der Arbeit-<lb/>
&#x017F;ame, der immer an &#x017F;einem Werke klebt, und unermu&#x0364;det be-<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;ftigt i&#x017F;t, wird nur durch unmittelbare Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde zum<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Mit-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[284/0302] Antw. des H. Commendeurs auf das Schreiben heiter, und der ganze Hof gefaͤllig. Geſetzt nun, Sie wollten durchaus eine Seele haben, ſich andern gleich beſchaͤftigen und auf ihrem Canape der Rechenſchaft, welche Sie davon abzu- legen haͤtten, nachdenken; geſetzt, andre Damen folgten dieſem traurigen Exempel: wo wollte der Arbeiter im Cabinet und im Felde ſich erholen? wer wuͤrde ihnen Empfindungen bey- bringen? Empfindungen, welche das rauhe Herz zum Mit- leiden und zur leutſeligen Huͤlfe herabſtimmen? Ohne Er- holung iſt keine Arbeit; und wo Sie nicht behaupten wol- len, daß wir uns wie unſre Vorfahren blos am Weine erholen ſollen: ſo muͤſſen Sie mit ihrer gluͤcklichen Muße dem allge- meinen Beſten zu ſtatten kommen, ſo muͤſſen Sie ſich vor wie nach in der Gallerie oder in der Aſſemblee zeigen; und die Stelle des Geſtirns vertreten, das auch die finſterſten Philo- ſophen zu ſeiner Betrachtung reizet: ſo muͤſſen Sie den Scherz und die Heiterkeit zu Tiſche fuͤhren, und damit den arbeitſa- men Seelen neue Kraͤfte geben. Dabey aber koͤnnen und duͤrfen Sie nicht arbeiten, nicht denken und nicht rechnen; denn dies wuͤrde Ihnen nichts als fruͤhe Runzeln einbringen; und welcher Staatsmann wuͤrde bey dieſen nur ein einziges Project vergeſſen? Bedenken Sie nur das einzige: Die Leute, welche von ihrer Zeit Rechenſchaft abzulegen haben, ſind zugleich verdammt ihr Brod im Schweiß ihres Ange- ſichts zu eſſen. Wie ſchickt ſich dieſes aber fuͤr eine Hofdame, die den ganzen Tag geſchminkt ſeyn ſoll? Wuͤrde nicht alle Farbe von ihren ſchoͤnen Wangen flieſſen? Haben Euer Gnaden aber jedoch eine kleine Herzſtaͤr- kung noͤthig; gut, ſo will ich Ihnen eine vorſchreiben, die gewiß nach Ihrem Geſchmack ſeyn wird. Verrichten Sie alle Tage in dieſem Jahre eine gute Handlung. Der Arbeit- ſame, der immer an ſeinem Werke klebt, und unermuͤdet be- ſchaͤftigt iſt, wird nur durch unmittelbare Gegenſtaͤnde zum Mit-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/302
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/302>, abgerufen am 23.04.2024.