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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

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einer Dame, über den Gebrauch ihrer Zeit.
Mitleid bewegt. Er ist barmherzig, hülfreich und fertig,
wenn ihm seines nächsten Unglück rührt; allein die Noth
derjenigen, so im Verborgenen oder in der Entfernung un-
glücklich sind, kommt nicht so leicht zu seinem Herzen. Euer
Gnaden aber hören bey ihrer Muße und Langeweile man-
che traurige Erzählung; ihr empfindliches Herz wird schneller
gerührt; Sie können länger bey der süssen Betrachtung, wie
sie einem unglücklichen helfen wollen, verweilen. Sie kom-
men täglich zu solchen Personen, welche Verdienste unterstü-
tzen, und den Fleiß glücklich machen können. Bedienen Sie sich
ihres zärtlichen Auges, ihres schmeichelhaften Tons, ihres
ganzen Einflusses, um täglich das Glück eines Menschen zu
befördern, ihn nur in guten Andenken zu erhalten, ihn von
der besten Seite zu zeigen, eine ungegründete üble Meinung
von ihm zu unterdrücken und überall das beste zu befördern.
Wie mancher wird Ihnen nicht noch beyde Hände dazu küssen,
daß Sie ihm nur Gelegenheit gegeben, eine edle Handlung
zu verrichten?

Sie sehen, ich bin ein bequemer Gewissensrath; ich
fordere nicht von ihnen, daß Sie Filet machen oder Marly
nehen sollen; dieses können Sie in ihren Umständen andern
überlassen, die ihr Brod damit verdienen. Ich lasse Ihnen
ihren Schlaf, ihr Assemblee und ihr Soupe; und gebe ihnen
vier und zwanzig Stunden für eine einzige gute Handlung.
Dazu lasse und gönne ich ihnen ihre Langeweile, entweder zur
Strafe oder zur Besserung.

Es bleibt aber dieses unter uns. Ihr Capellan ist ver-
pflichtet bey der Regel zu bleiben. Er wird mehrers von Ih-
nen erfordern, und die Entschuldigung der verwöhnten Zärt-
lichkeit nicht gelten lassen. Ich aber denke anders, weil ich
auch nicht viel mehr in der Welt beschicke, und ich mögte

nicht

einer Dame, uͤber den Gebrauch ihrer Zeit.
Mitleid bewegt. Er iſt barmherzig, huͤlfreich und fertig,
wenn ihm ſeines naͤchſten Ungluͤck ruͤhrt; allein die Noth
derjenigen, ſo im Verborgenen oder in der Entfernung un-
gluͤcklich ſind, kommt nicht ſo leicht zu ſeinem Herzen. Euer
Gnaden aber hoͤren bey ihrer Muße und Langeweile man-
che traurige Erzaͤhlung; ihr empfindliches Herz wird ſchneller
geruͤhrt; Sie koͤnnen laͤnger bey der ſuͤſſen Betrachtung, wie
ſie einem ungluͤcklichen helfen wollen, verweilen. Sie kom-
men taͤglich zu ſolchen Perſonen, welche Verdienſte unterſtuͤ-
tzen, und den Fleiß gluͤcklich machen koͤnnen. Bedienen Sie ſich
ihres zaͤrtlichen Auges, ihres ſchmeichelhaften Tons, ihres
ganzen Einfluſſes, um taͤglich das Gluͤck eines Menſchen zu
befoͤrdern, ihn nur in guten Andenken zu erhalten, ihn von
der beſten Seite zu zeigen, eine ungegruͤndete uͤble Meinung
von ihm zu unterdruͤcken und uͤberall das beſte zu befoͤrdern.
Wie mancher wird Ihnen nicht noch beyde Haͤnde dazu kuͤſſen,
daß Sie ihm nur Gelegenheit gegeben, eine edle Handlung
zu verrichten?

Sie ſehen, ich bin ein bequemer Gewiſſensrath; ich
fordere nicht von ihnen, daß Sie Filet machen oder Marly
nehen ſollen; dieſes koͤnnen Sie in ihren Umſtaͤnden andern
uͤberlaſſen, die ihr Brod damit verdienen. Ich laſſe Ihnen
ihren Schlaf, ihr Aſſemblee und ihr Soupe; und gebe ihnen
vier und zwanzig Stunden fuͤr eine einzige gute Handlung.
Dazu laſſe und goͤnne ich ihnen ihre Langeweile, entweder zur
Strafe oder zur Beſſerung.

Es bleibt aber dieſes unter uns. Ihr Capellan iſt ver-
pflichtet bey der Regel zu bleiben. Er wird mehrers von Ih-
nen erfordern, und die Entſchuldigung der verwoͤhnten Zaͤrt-
lichkeit nicht gelten laſſen. Ich aber denke anders, weil ich
auch nicht viel mehr in der Welt beſchicke, und ich moͤgte

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[285/0303] einer Dame, uͤber den Gebrauch ihrer Zeit. Mitleid bewegt. Er iſt barmherzig, huͤlfreich und fertig, wenn ihm ſeines naͤchſten Ungluͤck ruͤhrt; allein die Noth derjenigen, ſo im Verborgenen oder in der Entfernung un- gluͤcklich ſind, kommt nicht ſo leicht zu ſeinem Herzen. Euer Gnaden aber hoͤren bey ihrer Muße und Langeweile man- che traurige Erzaͤhlung; ihr empfindliches Herz wird ſchneller geruͤhrt; Sie koͤnnen laͤnger bey der ſuͤſſen Betrachtung, wie ſie einem ungluͤcklichen helfen wollen, verweilen. Sie kom- men taͤglich zu ſolchen Perſonen, welche Verdienſte unterſtuͤ- tzen, und den Fleiß gluͤcklich machen koͤnnen. Bedienen Sie ſich ihres zaͤrtlichen Auges, ihres ſchmeichelhaften Tons, ihres ganzen Einfluſſes, um taͤglich das Gluͤck eines Menſchen zu befoͤrdern, ihn nur in guten Andenken zu erhalten, ihn von der beſten Seite zu zeigen, eine ungegruͤndete uͤble Meinung von ihm zu unterdruͤcken und uͤberall das beſte zu befoͤrdern. Wie mancher wird Ihnen nicht noch beyde Haͤnde dazu kuͤſſen, daß Sie ihm nur Gelegenheit gegeben, eine edle Handlung zu verrichten? Sie ſehen, ich bin ein bequemer Gewiſſensrath; ich fordere nicht von ihnen, daß Sie Filet machen oder Marly nehen ſollen; dieſes koͤnnen Sie in ihren Umſtaͤnden andern uͤberlaſſen, die ihr Brod damit verdienen. Ich laſſe Ihnen ihren Schlaf, ihr Aſſemblee und ihr Soupe; und gebe ihnen vier und zwanzig Stunden fuͤr eine einzige gute Handlung. Dazu laſſe und goͤnne ich ihnen ihre Langeweile, entweder zur Strafe oder zur Beſſerung. Es bleibt aber dieſes unter uns. Ihr Capellan iſt ver- pflichtet bey der Regel zu bleiben. Er wird mehrers von Ih- nen erfordern, und die Entſchuldigung der verwoͤhnten Zaͤrt- lichkeit nicht gelten laſſen. Ich aber denke anders, weil ich auch nicht viel mehr in der Welt beſchicke, und ich moͤgte nicht

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/303>, abgerufen am 18.04.2024.