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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

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zu einer westphälischen Biographie.
schichte zu verewigen, erhalten auf diese Weise auch ihr ver-
dientes Ehrenmahl; und die Vergötterung, womit Geschicht-
schreiber und Dichter ein so unerlaubtes als gefährliches Mo-
nopolium treiben, muß einer Heiligsprechung weichen, welche
nicht anders als nach der strengsten Untersuchung und von
Einsichtsvollen Richtern geschiehet. Die glänzenden Tugen-
den oder Laster, wie man sie nennen will, sind solchergestalt
nicht die einzigen, welche der Nachwelt in der Geschichte zu
Mustern vorgestellet werden; die Menschen lernen dadurch
einsehen, daß auch durch stille Tugenden ein ruhmvolles An-
denken zu erwerben sey; und nicht jedes Genie das einen Be-
ruf empfindet, sich aus seiner Sphäre zu heben, wird in die
Versuchung gesetzt, sich sogleich durch die Anzündung eines
Tempels oder durch die Unterdrückung eines Nachbaren zu
verewigen.

Nichts könnte würklich einem Staate vortheilhafter seyn,
als die Lebensbeschreibungen solcher Heiligen, wann sie von
einer geschickten Hand verfertiget, und solchergestalt den From-
men und Redlichen im Lande als Muster zur Nachahmung
vorgelegt würden. Hat gleich mancher Fehler, welche sich
nach dem umerschiedenen Geschmacke der Zeiten in die Art
der Behandlung eingeschlichen, insbesondre aber der Fehler,
daß man wider die Natur der Sache in diesen Lebensläufen
auch das Glänzende, das Heroische und das Rittermäßige zu
sehr und öfters auf Kosten des Wahrscheinlichen gesucht, viele
davon anders denken lassen: so bleibt die Sache an sich doch
allemal von einem so großen Werth, daß sie die allergrößte
Aufmerksamkeit und Bewunderung verdient. Um die Tugend
in Mustern vorzustellen, nehmen wir jezt oft unsere Zuflucht
zu moralischen Erzählungen. Diese sind aber nicht so würk-
sam als die Geschichte solcher Männer, deren man sich als sei-
ner ehemaligen Mitbürger und Verwandte erinnert; insbe-

sondre
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zu einer weſtphaͤliſchen Biographie.
ſchichte zu verewigen, erhalten auf dieſe Weiſe auch ihr ver-
dientes Ehrenmahl; und die Vergoͤtterung, womit Geſchicht-
ſchreiber und Dichter ein ſo unerlaubtes als gefaͤhrliches Mo-
nopolium treiben, muß einer Heiligſprechung weichen, welche
nicht anders als nach der ſtrengſten Unterſuchung und von
Einſichtsvollen Richtern geſchiehet. Die glaͤnzenden Tugen-
den oder Laſter, wie man ſie nennen will, ſind ſolchergeſtalt
nicht die einzigen, welche der Nachwelt in der Geſchichte zu
Muſtern vorgeſtellet werden; die Menſchen lernen dadurch
einſehen, daß auch durch ſtille Tugenden ein ruhmvolles An-
denken zu erwerben ſey; und nicht jedes Genie das einen Be-
ruf empfindet, ſich aus ſeiner Sphaͤre zu heben, wird in die
Verſuchung geſetzt, ſich ſogleich durch die Anzuͤndung eines
Tempels oder durch die Unterdruͤckung eines Nachbaren zu
verewigen.

Nichts koͤnnte wuͤrklich einem Staate vortheilhafter ſeyn,
als die Lebensbeſchreibungen ſolcher Heiligen, wann ſie von
einer geſchickten Hand verfertiget, und ſolchergeſtalt den From-
men und Redlichen im Lande als Muſter zur Nachahmung
vorgelegt wuͤrden. Hat gleich mancher Fehler, welche ſich
nach dem umerſchiedenen Geſchmacke der Zeiten in die Art
der Behandlung eingeſchlichen, insbeſondre aber der Fehler,
daß man wider die Natur der Sache in dieſen Lebenslaͤufen
auch das Glaͤnzende, das Heroiſche und das Rittermaͤßige zu
ſehr und oͤfters auf Koſten des Wahrſcheinlichen geſucht, viele
davon anders denken laſſen: ſo bleibt die Sache an ſich doch
allemal von einem ſo großen Werth, daß ſie die allergroͤßte
Aufmerkſamkeit und Bewunderung verdient. Um die Tugend
in Muſtern vorzuſtellen, nehmen wir jezt oft unſere Zuflucht
zu moraliſchen Erzaͤhlungen. Dieſe ſind aber nicht ſo wuͤrk-
ſam als die Geſchichte ſolcher Maͤnner, deren man ſich als ſei-
ner ehemaligen Mitbuͤrger und Verwandte erinnert; insbe-

ſondre
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[359/0377] zu einer weſtphaͤliſchen Biographie. ſchichte zu verewigen, erhalten auf dieſe Weiſe auch ihr ver- dientes Ehrenmahl; und die Vergoͤtterung, womit Geſchicht- ſchreiber und Dichter ein ſo unerlaubtes als gefaͤhrliches Mo- nopolium treiben, muß einer Heiligſprechung weichen, welche nicht anders als nach der ſtrengſten Unterſuchung und von Einſichtsvollen Richtern geſchiehet. Die glaͤnzenden Tugen- den oder Laſter, wie man ſie nennen will, ſind ſolchergeſtalt nicht die einzigen, welche der Nachwelt in der Geſchichte zu Muſtern vorgeſtellet werden; die Menſchen lernen dadurch einſehen, daß auch durch ſtille Tugenden ein ruhmvolles An- denken zu erwerben ſey; und nicht jedes Genie das einen Be- ruf empfindet, ſich aus ſeiner Sphaͤre zu heben, wird in die Verſuchung geſetzt, ſich ſogleich durch die Anzuͤndung eines Tempels oder durch die Unterdruͤckung eines Nachbaren zu verewigen. Nichts koͤnnte wuͤrklich einem Staate vortheilhafter ſeyn, als die Lebensbeſchreibungen ſolcher Heiligen, wann ſie von einer geſchickten Hand verfertiget, und ſolchergeſtalt den From- men und Redlichen im Lande als Muſter zur Nachahmung vorgelegt wuͤrden. Hat gleich mancher Fehler, welche ſich nach dem umerſchiedenen Geſchmacke der Zeiten in die Art der Behandlung eingeſchlichen, insbeſondre aber der Fehler, daß man wider die Natur der Sache in dieſen Lebenslaͤufen auch das Glaͤnzende, das Heroiſche und das Rittermaͤßige zu ſehr und oͤfters auf Koſten des Wahrſcheinlichen geſucht, viele davon anders denken laſſen: ſo bleibt die Sache an ſich doch allemal von einem ſo großen Werth, daß ſie die allergroͤßte Aufmerkſamkeit und Bewunderung verdient. Um die Tugend in Muſtern vorzuſtellen, nehmen wir jezt oft unſere Zuflucht zu moraliſchen Erzaͤhlungen. Dieſe ſind aber nicht ſo wuͤrk- ſam als die Geſchichte ſolcher Maͤnner, deren man ſich als ſei- ner ehemaligen Mitbuͤrger und Verwandte erinnert; insbe- ſondre Z 4

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/377>, abgerufen am 29.03.2024.