Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

Bild:
<< vorherige Seite

der Handlung in den Landstädten.
Handlung als die Alchimie. Sonst müßten wir, die wir
unter einer Last von Pfenningen seufzen, wo der Engländer
Pfunde zu entrichten hat, längst weiter seyn, als wir sind.
Alles, was wir zu unsrer Entschuldigung sagen können, ist,
daß uns der Markt fehle. Woran liegt es aber, daß wir ihn
uns nicht verschaffen? Und, warum muß ein Deutscher zu
Birmingham uns die lackirten Tische auf die Messe schicken?
Warum müssen wir eine Sache, als die Fußdecken, wovon
die Mode in funfzig Jahren so allgemein, als in England
seyn wird, von Wilton haben? Sollte die Stahlarbeit nicht
eben so gut auf dem Harze, als in Schweden und England
gerathen?

Ein Grund unsers Verderbens liegt in der Schwächung
der Handwerker, und in der Ermunterung unserer Krämer.
Man lasse sich die Rollen von unsern Handwerkern nur seit
hundert Jahren zeigen. Die Krämer haben sich gerade drey-
fach vermehret, und die Handwerker unter der Hälfte verloh-
ren. Der Eisenkram hat den Kleinschmid; der Büreau- und
Stuhlkram den Tischler; der Tuchhandel den Tuchmacher;
der Goldkram den Bortenwirker; der goldene, härene, gelbe
und weiße Knopf den Knopfmacher und Gelbgiesser verdorben.
Und kann man sich eine Sache gedenken, womit der Krämer
jetzt nicht heimlich oder öffentlich handelt? Lauret er nicht auf
alle Gelegenheiten und Thorheiten, um etwas neues, wun-
derbares und fremdes einzuführen? Und kann man ein Exem-
pel aufweisen, daß ein einziger Krämer auch nur einen einzi-
gen Handwerker unter seinen Mitbürgern, durch seine Anlei-
tung und Einsicht aufgeholfen habe? Die Rechtshöfe, welche
die Krämerey für die Handlung ansehen, und dasjenige, was
von der Handelsfreyheit mit Recht gilt, der Krämerey zu
gute kommen lassen, würden sich einer Ketzerey schuldig zu

ma-
B 3

der Handlung in den Landſtaͤdten.
Handlung als die Alchimie. Sonſt muͤßten wir, die wir
unter einer Laſt von Pfenningen ſeufzen, wo der Englaͤnder
Pfunde zu entrichten hat, laͤngſt weiter ſeyn, als wir ſind.
Alles, was wir zu unſrer Entſchuldigung ſagen koͤnnen, iſt,
daß uns der Markt fehle. Woran liegt es aber, daß wir ihn
uns nicht verſchaffen? Und, warum muß ein Deutſcher zu
Birmingham uns die lackirten Tiſche auf die Meſſe ſchicken?
Warum muͤſſen wir eine Sache, als die Fußdecken, wovon
die Mode in funfzig Jahren ſo allgemein, als in England
ſeyn wird, von Wilton haben? Sollte die Stahlarbeit nicht
eben ſo gut auf dem Harze, als in Schweden und England
gerathen?

Ein Grund unſers Verderbens liegt in der Schwaͤchung
der Handwerker, und in der Ermunterung unſerer Kraͤmer.
Man laſſe ſich die Rollen von unſern Handwerkern nur ſeit
hundert Jahren zeigen. Die Kraͤmer haben ſich gerade drey-
fach vermehret, und die Handwerker unter der Haͤlfte verloh-
ren. Der Eiſenkram hat den Kleinſchmid; der Buͤreau- und
Stuhlkram den Tiſchler; der Tuchhandel den Tuchmacher;
der Goldkram den Bortenwirker; der goldene, haͤrene, gelbe
und weiße Knopf den Knopfmacher und Gelbgieſſer verdorben.
Und kann man ſich eine Sache gedenken, womit der Kraͤmer
jetzt nicht heimlich oder oͤffentlich handelt? Lauret er nicht auf
alle Gelegenheiten und Thorheiten, um etwas neues, wun-
derbares und fremdes einzufuͤhren? Und kann man ein Exem-
pel aufweiſen, daß ein einziger Kraͤmer auch nur einen einzi-
gen Handwerker unter ſeinen Mitbuͤrgern, durch ſeine Anlei-
tung und Einſicht aufgeholfen habe? Die Rechtshoͤfe, welche
die Kraͤmerey fuͤr die Handlung anſehen, und dasjenige, was
von der Handelsfreyheit mit Recht gilt, der Kraͤmerey zu
gute kommen laſſen, wuͤrden ſich einer Ketzerey ſchuldig zu

ma-
B 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0039" n="21"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">der Handlung in den Land&#x017F;ta&#x0364;dten.</hi></fw><lb/>
Handlung als die Alchimie. Son&#x017F;t mu&#x0364;ßten wir, die wir<lb/>
unter einer La&#x017F;t von Pfenningen &#x017F;eufzen, wo der Engla&#x0364;nder<lb/>
Pfunde zu entrichten hat, la&#x0364;ng&#x017F;t weiter &#x017F;eyn, als wir &#x017F;ind.<lb/>
Alles, was wir zu un&#x017F;rer Ent&#x017F;chuldigung &#x017F;agen ko&#x0364;nnen, i&#x017F;t,<lb/>
daß uns der Markt fehle. Woran liegt es aber, daß wir ihn<lb/>
uns nicht ver&#x017F;chaffen? Und, warum muß ein Deut&#x017F;cher zu<lb/>
Birmingham uns die lackirten Ti&#x017F;che auf die Me&#x017F;&#x017F;e &#x017F;chicken?<lb/>
Warum mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en wir eine Sache, als die Fußdecken, wovon<lb/>
die Mode in funfzig Jahren &#x017F;o allgemein, als in England<lb/>
&#x017F;eyn wird, von Wilton haben? Sollte die Stahlarbeit nicht<lb/>
eben &#x017F;o gut auf dem Harze, als in Schweden und England<lb/>
gerathen?</p><lb/>
        <p>Ein Grund un&#x017F;ers Verderbens liegt in der Schwa&#x0364;chung<lb/>
der Handwerker, und in der Ermunterung un&#x017F;erer Kra&#x0364;mer.<lb/>
Man la&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ich die Rollen von un&#x017F;ern Handwerkern nur &#x017F;eit<lb/>
hundert Jahren zeigen. Die Kra&#x0364;mer haben &#x017F;ich gerade drey-<lb/>
fach vermehret, und die Handwerker unter der Ha&#x0364;lfte verloh-<lb/>
ren. Der Ei&#x017F;enkram hat den Klein&#x017F;chmid; der Bu&#x0364;reau- und<lb/>
Stuhlkram den Ti&#x017F;chler; der Tuchhandel den Tuchmacher;<lb/>
der Goldkram den Bortenwirker; der goldene, ha&#x0364;rene, gelbe<lb/>
und weiße Knopf den Knopfmacher und Gelbgie&#x017F;&#x017F;er verdorben.<lb/>
Und kann man &#x017F;ich eine Sache gedenken, womit der Kra&#x0364;mer<lb/>
jetzt nicht heimlich oder o&#x0364;ffentlich handelt? Lauret er nicht auf<lb/>
alle Gelegenheiten und Thorheiten, um etwas neues, wun-<lb/>
derbares und fremdes einzufu&#x0364;hren? Und kann man ein Exem-<lb/>
pel aufwei&#x017F;en, daß ein einziger Kra&#x0364;mer auch nur einen einzi-<lb/>
gen Handwerker unter &#x017F;einen Mitbu&#x0364;rgern, durch &#x017F;eine Anlei-<lb/>
tung und Ein&#x017F;icht aufgeholfen habe? Die Rechtsho&#x0364;fe, welche<lb/>
die Kra&#x0364;merey fu&#x0364;r die Handlung an&#x017F;ehen, und dasjenige, was<lb/>
von der Handelsfreyheit mit Recht gilt, der Kra&#x0364;merey zu<lb/>
gute kommen la&#x017F;&#x017F;en, wu&#x0364;rden &#x017F;ich einer Ketzerey &#x017F;chuldig zu<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">B 3</fw><fw place="bottom" type="catch">ma-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[21/0039] der Handlung in den Landſtaͤdten. Handlung als die Alchimie. Sonſt muͤßten wir, die wir unter einer Laſt von Pfenningen ſeufzen, wo der Englaͤnder Pfunde zu entrichten hat, laͤngſt weiter ſeyn, als wir ſind. Alles, was wir zu unſrer Entſchuldigung ſagen koͤnnen, iſt, daß uns der Markt fehle. Woran liegt es aber, daß wir ihn uns nicht verſchaffen? Und, warum muß ein Deutſcher zu Birmingham uns die lackirten Tiſche auf die Meſſe ſchicken? Warum muͤſſen wir eine Sache, als die Fußdecken, wovon die Mode in funfzig Jahren ſo allgemein, als in England ſeyn wird, von Wilton haben? Sollte die Stahlarbeit nicht eben ſo gut auf dem Harze, als in Schweden und England gerathen? Ein Grund unſers Verderbens liegt in der Schwaͤchung der Handwerker, und in der Ermunterung unſerer Kraͤmer. Man laſſe ſich die Rollen von unſern Handwerkern nur ſeit hundert Jahren zeigen. Die Kraͤmer haben ſich gerade drey- fach vermehret, und die Handwerker unter der Haͤlfte verloh- ren. Der Eiſenkram hat den Kleinſchmid; der Buͤreau- und Stuhlkram den Tiſchler; der Tuchhandel den Tuchmacher; der Goldkram den Bortenwirker; der goldene, haͤrene, gelbe und weiße Knopf den Knopfmacher und Gelbgieſſer verdorben. Und kann man ſich eine Sache gedenken, womit der Kraͤmer jetzt nicht heimlich oder oͤffentlich handelt? Lauret er nicht auf alle Gelegenheiten und Thorheiten, um etwas neues, wun- derbares und fremdes einzufuͤhren? Und kann man ein Exem- pel aufweiſen, daß ein einziger Kraͤmer auch nur einen einzi- gen Handwerker unter ſeinen Mitbuͤrgern, durch ſeine Anlei- tung und Einſicht aufgeholfen habe? Die Rechtshoͤfe, welche die Kraͤmerey fuͤr die Handlung anſehen, und dasjenige, was von der Handelsfreyheit mit Recht gilt, der Kraͤmerey zu gute kommen laſſen, wuͤrden ſich einer Ketzerey ſchuldig zu ma- B 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/39
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/39>, abgerufen am 24.04.2024.