Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

Bild:
<< vorherige Seite

der Aemter und Gilden.
neuen Vorschlägen füllen, um vor sich in der Stille seinen
Handel ungestört zu behalten. Indessen würde es doch den
Gelehrten nicht zu verdenken seyn, wenn sie sich um die Ge-
schichte der Handlung und besonders der Aemter und Gilden
jedes Orts einige Mühe geben wollten.

Diese Geschichte aber hat ihre eigne Schranken. In
den Lebensläufen großer Herrn macht die Abstammung mit
Recht ein großes aus. In der Geschichte vornehmer Fami-
lien erwartet man große Thaten, Helden, und glänzende
Scenen. In einer Staatsgeschichte die Veränderungen
seiner Verfassung, Gesetze, Gewohnheiten und Systeme.
In der Amts- und Gildengeschichte aber können sogar die Na-
men der Mitglieder und die Lebensläufe aller Gildemeister
entbehret werden, es sey denn, daß sich einer durch eine neue
Erfindung oder durch eine kühne Wendung in der Art des
Gewerbes rühmlich hervorgethan habe.

Man denke nicht, daß eine solche Geschichte ohne Nutzen
und Reitzungen seyn würde. Wenn man höret, daß das
Tuchmacher Amt in hiesiger Stadt ehedem über zwey hundert
Meister gezählt, und über zwey tausend Menschen ernähret
habe: so würde es wahrlich kein geringer Anblick seyn, die
Ursachen seines ausserordentlichen Versalls zu kennen, die
Stuffen, worauf es nach und nach gesunken, mit einem ge-
rührten Auge zu betrachten, durch die Erkenntniß der Fehler,
wodurch die gesetzgebende Macht einen solchen Verfall ent-
weder befördert oder zugelassen, sich zu bessern, und die Be-
rechnung der Folgen nach ihren Ursachen in einer zusammen-
hangenden Kette zu haben. Eine solche Geschichte würde ei-
nem Philosophen fast so vielen Stof zu Betrachtungen als
die Todten-Listen geben. Sie würde den Fürsten die trau-
rigen Folgen verschiedener Auflagen und Einschränkungen vor-
legen; unsre Gedanken über die Handelsfreyheit herichtigen;

alte

der Aemter und Gilden.
neuen Vorſchlaͤgen fuͤllen, um vor ſich in der Stille ſeinen
Handel ungeſtoͤrt zu behalten. Indeſſen wuͤrde es doch den
Gelehrten nicht zu verdenken ſeyn, wenn ſie ſich um die Ge-
ſchichte der Handlung und beſonders der Aemter und Gilden
jedes Orts einige Muͤhe geben wollten.

Dieſe Geſchichte aber hat ihre eigne Schranken. In
den Lebenslaͤufen großer Herrn macht die Abſtammung mit
Recht ein großes aus. In der Geſchichte vornehmer Fami-
lien erwartet man große Thaten, Helden, und glaͤnzende
Scenen. In einer Staatsgeſchichte die Veraͤnderungen
ſeiner Verfaſſung, Geſetze, Gewohnheiten und Syſteme.
In der Amts- und Gildengeſchichte aber koͤnnen ſogar die Na-
men der Mitglieder und die Lebenslaͤufe aller Gildemeiſter
entbehret werden, es ſey denn, daß ſich einer durch eine neue
Erfindung oder durch eine kuͤhne Wendung in der Art des
Gewerbes ruͤhmlich hervorgethan habe.

Man denke nicht, daß eine ſolche Geſchichte ohne Nutzen
und Reitzungen ſeyn wuͤrde. Wenn man hoͤret, daß das
Tuchmacher Amt in hieſiger Stadt ehedem uͤber zwey hundert
Meiſter gezaͤhlt, und uͤber zwey tauſend Menſchen ernaͤhret
habe: ſo wuͤrde es wahrlich kein geringer Anblick ſeyn, die
Urſachen ſeines auſſerordentlichen Verſalls zu kennen, die
Stuffen, worauf es nach und nach geſunken, mit einem ge-
ruͤhrten Auge zu betrachten, durch die Erkenntniß der Fehler,
wodurch die geſetzgebende Macht einen ſolchen Verfall ent-
weder befoͤrdert oder zugelaſſen, ſich zu beſſern, und die Be-
rechnung der Folgen nach ihren Urſachen in einer zuſammen-
hangenden Kette zu haben. Eine ſolche Geſchichte wuͤrde ei-
nem Philoſophen faſt ſo vielen Stof zu Betrachtungen als
die Todten-Liſten geben. Sie wuͤrde den Fuͤrſten die trau-
rigen Folgen verſchiedener Auflagen und Einſchraͤnkungen vor-
legen; unſre Gedanken uͤber die Handelsfreyheit herichtigen;

alte
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0079" n="61"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">der Aemter und Gilden.</hi></fw><lb/>
neuen Vor&#x017F;chla&#x0364;gen fu&#x0364;llen, um vor &#x017F;ich in der Stille &#x017F;einen<lb/>
Handel unge&#x017F;to&#x0364;rt zu behalten. Inde&#x017F;&#x017F;en wu&#x0364;rde es doch den<lb/>
Gelehrten nicht zu verdenken &#x017F;eyn, wenn &#x017F;ie &#x017F;ich um die Ge-<lb/>
&#x017F;chichte der Handlung und be&#x017F;onders der Aemter und Gilden<lb/>
jedes Orts einige Mu&#x0364;he geben wollten.</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;e Ge&#x017F;chichte aber hat ihre eigne Schranken. In<lb/>
den Lebensla&#x0364;ufen großer Herrn macht die Ab&#x017F;tammung mit<lb/>
Recht ein großes aus. In der Ge&#x017F;chichte vornehmer Fami-<lb/>
lien erwartet man große Thaten, Helden, und gla&#x0364;nzende<lb/>
Scenen. In einer Staatsge&#x017F;chichte die Vera&#x0364;nderungen<lb/>
&#x017F;einer Verfa&#x017F;&#x017F;ung, Ge&#x017F;etze, Gewohnheiten und Sy&#x017F;teme.<lb/>
In der Amts- und Gildenge&#x017F;chichte aber ko&#x0364;nnen &#x017F;ogar die Na-<lb/>
men der Mitglieder und die Lebensla&#x0364;ufe aller Gildemei&#x017F;ter<lb/>
entbehret werden, es &#x017F;ey denn, daß &#x017F;ich einer durch eine neue<lb/>
Erfindung oder durch eine ku&#x0364;hne Wendung in der Art des<lb/>
Gewerbes ru&#x0364;hmlich hervorgethan habe.</p><lb/>
        <p>Man denke nicht, daß eine &#x017F;olche Ge&#x017F;chichte ohne Nutzen<lb/>
und Reitzungen &#x017F;eyn wu&#x0364;rde. Wenn man ho&#x0364;ret, daß das<lb/>
Tuchmacher Amt in hie&#x017F;iger Stadt ehedem u&#x0364;ber zwey hundert<lb/>
Mei&#x017F;ter geza&#x0364;hlt, und u&#x0364;ber zwey tau&#x017F;end Men&#x017F;chen erna&#x0364;hret<lb/>
habe: &#x017F;o wu&#x0364;rde es wahrlich kein geringer Anblick &#x017F;eyn, die<lb/>
Ur&#x017F;achen &#x017F;eines au&#x017F;&#x017F;erordentlichen Ver&#x017F;alls zu kennen, die<lb/>
Stuffen, worauf es nach und nach ge&#x017F;unken, mit einem ge-<lb/>
ru&#x0364;hrten Auge zu betrachten, durch die Erkenntniß der Fehler,<lb/>
wodurch die ge&#x017F;etzgebende Macht einen &#x017F;olchen Verfall ent-<lb/>
weder befo&#x0364;rdert oder zugela&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ich zu be&#x017F;&#x017F;ern, und die Be-<lb/>
rechnung der Folgen nach ihren Ur&#x017F;achen in einer zu&#x017F;ammen-<lb/>
hangenden Kette zu haben. Eine &#x017F;olche Ge&#x017F;chichte wu&#x0364;rde ei-<lb/>
nem Philo&#x017F;ophen fa&#x017F;t &#x017F;o vielen Stof zu Betrachtungen als<lb/>
die Todten-Li&#x017F;ten geben. Sie wu&#x0364;rde den Fu&#x0364;r&#x017F;ten die trau-<lb/>
rigen Folgen ver&#x017F;chiedener Auflagen und Ein&#x017F;chra&#x0364;nkungen vor-<lb/>
legen; un&#x017F;re Gedanken u&#x0364;ber die Handelsfreyheit herichtigen;<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">alte</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[61/0079] der Aemter und Gilden. neuen Vorſchlaͤgen fuͤllen, um vor ſich in der Stille ſeinen Handel ungeſtoͤrt zu behalten. Indeſſen wuͤrde es doch den Gelehrten nicht zu verdenken ſeyn, wenn ſie ſich um die Ge- ſchichte der Handlung und beſonders der Aemter und Gilden jedes Orts einige Muͤhe geben wollten. Dieſe Geſchichte aber hat ihre eigne Schranken. In den Lebenslaͤufen großer Herrn macht die Abſtammung mit Recht ein großes aus. In der Geſchichte vornehmer Fami- lien erwartet man große Thaten, Helden, und glaͤnzende Scenen. In einer Staatsgeſchichte die Veraͤnderungen ſeiner Verfaſſung, Geſetze, Gewohnheiten und Syſteme. In der Amts- und Gildengeſchichte aber koͤnnen ſogar die Na- men der Mitglieder und die Lebenslaͤufe aller Gildemeiſter entbehret werden, es ſey denn, daß ſich einer durch eine neue Erfindung oder durch eine kuͤhne Wendung in der Art des Gewerbes ruͤhmlich hervorgethan habe. Man denke nicht, daß eine ſolche Geſchichte ohne Nutzen und Reitzungen ſeyn wuͤrde. Wenn man hoͤret, daß das Tuchmacher Amt in hieſiger Stadt ehedem uͤber zwey hundert Meiſter gezaͤhlt, und uͤber zwey tauſend Menſchen ernaͤhret habe: ſo wuͤrde es wahrlich kein geringer Anblick ſeyn, die Urſachen ſeines auſſerordentlichen Verſalls zu kennen, die Stuffen, worauf es nach und nach geſunken, mit einem ge- ruͤhrten Auge zu betrachten, durch die Erkenntniß der Fehler, wodurch die geſetzgebende Macht einen ſolchen Verfall ent- weder befoͤrdert oder zugelaſſen, ſich zu beſſern, und die Be- rechnung der Folgen nach ihren Urſachen in einer zuſammen- hangenden Kette zu haben. Eine ſolche Geſchichte wuͤrde ei- nem Philoſophen faſt ſo vielen Stof zu Betrachtungen als die Todten-Liſten geben. Sie wuͤrde den Fuͤrſten die trau- rigen Folgen verſchiedener Auflagen und Einſchraͤnkungen vor- legen; unſre Gedanken uͤber die Handelsfreyheit herichtigen; alte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/79
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/79>, abgerufen am 18.04.2024.