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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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Amaliens Schreiben über die Lustbarkeiten.
geben? Nun bin ich arme Hexe gefangen, ich kämpfe nur
noch auf der Flucht, und mehr um meine eigne Schwachheit
zu verhelen, als den Sieg davon zu tragen. Wenn sie es
durchaus wissen wollen, antworte ich ihm ganz leise ins Ohr:
so will ich Ihnen wohl gestehen, daß ich beständig beyde
Flügel geschlagen habe, um zu fliegen, aber nicht einen Dau[-]
men breit von der Erde gekommen bin. Wir jagten alle nach
der Lust, und keiner erhaschte sie. Bey der Tafel schien einer
den andern zu fragen, wo sie bleibe. Man versuchte den
Ton der Freude; er wollte sich aber nicht finden. Die Trin-
ker ließen die Gläser erklingen, währender Zeit ihr Geist lange
Weile hatte, und beym Tanze waren nur die Verliebten recht
munter; die übrigen folgten dem Reihen, weil sie einmal da
waren; und wie es Zeit war aufzuhören, giengen die mehr-
sten gern zu Bette. Kurz, es fehlte ich weis nicht was;
und keiner schien diejenigen Bedürfnisse zu fühlen, welche zum
wahren Genuß der Freude gehören.

Wer ist zufriedner als mein Mann, wenn ich seinem klei-
nen philosophischen Stolze dieses Opfer gebracht habe? Sollte
er aber in der That recht haben, liebste Freundinn? und sollte
die Eitelkeit und das Vergnügen vergnügt zu scheinen nicht
mit zur Rechnung gebracht werden dürfen? Sollte die mäch-
tige Begierde zu glänzen, zu verschwenden und in aller Welt
Augen als die glücklichste Person zu erscheinen nicht auch ihre
Rechte haben? Und hat mein Mann nicht unrecht, wenn er
im Essen und Trinken weiter nichts als eine Befriedigung der
ersten Bedürfnisse sucht, und ohne Durst keine Lust am Trin-
ken findet? die Forderungen meines Magens sind sehr ge-
ringe; aber dem ungeachtet, sehe ich gern achzig Schüsseln
auf der Tafel. Was ist die dunkle Gemüthsruhe und die so-
genannte innerliche Zufriedenheit gegen die Befriedigung ei-
ner angenehmen Leidenschaft? Wer nichts wie jene sucht, der

kan

Amaliens Schreiben uͤber die Luſtbarkeiten.
geben? Nun bin ich arme Hexe gefangen, ich kaͤmpfe nur
noch auf der Flucht, und mehr um meine eigne Schwachheit
zu verhelen, als den Sieg davon zu tragen. Wenn ſie es
durchaus wiſſen wollen, antworte ich ihm ganz leiſe ins Ohr:
ſo will ich Ihnen wohl geſtehen, daß ich beſtaͤndig beyde
Fluͤgel geſchlagen habe, um zu fliegen, aber nicht einen Dau[-]
men breit von der Erde gekommen bin. Wir jagten alle nach
der Luſt, und keiner erhaſchte ſie. Bey der Tafel ſchien einer
den andern zu fragen, wo ſie bleibe. Man verſuchte den
Ton der Freude; er wollte ſich aber nicht finden. Die Trin-
ker ließen die Glaͤſer erklingen, waͤhrender Zeit ihr Geiſt lange
Weile hatte, und beym Tanze waren nur die Verliebten recht
munter; die uͤbrigen folgten dem Reihen, weil ſie einmal da
waren; und wie es Zeit war aufzuhoͤren, giengen die mehr-
ſten gern zu Bette. Kurz, es fehlte ich weis nicht was;
und keiner ſchien diejenigen Beduͤrfniſſe zu fuͤhlen, welche zum
wahren Genuß der Freude gehoͤren.

Wer iſt zufriedner als mein Mann, wenn ich ſeinem klei-
nen philoſophiſchen Stolze dieſes Opfer gebracht habe? Sollte
er aber in der That recht haben, liebſte Freundinn? und ſollte
die Eitelkeit und das Vergnuͤgen vergnuͤgt zu ſcheinen nicht
mit zur Rechnung gebracht werden duͤrfen? Sollte die maͤch-
tige Begierde zu glaͤnzen, zu verſchwenden und in aller Welt
Augen als die gluͤcklichſte Perſon zu erſcheinen nicht auch ihre
Rechte haben? Und hat mein Mann nicht unrecht, wenn er
im Eſſen und Trinken weiter nichts als eine Befriedigung der
erſten Beduͤrfniſſe ſucht, und ohne Durſt keine Luſt am Trin-
ken findet? die Forderungen meines Magens ſind ſehr ge-
ringe; aber dem ungeachtet, ſehe ich gern achzig Schuͤſſeln
auf der Tafel. Was iſt die dunkle Gemuͤthsruhe und die ſo-
genannte innerliche Zufriedenheit gegen die Befriedigung ei-
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[363/0381] Amaliens Schreiben uͤber die Luſtbarkeiten. geben? Nun bin ich arme Hexe gefangen, ich kaͤmpfe nur noch auf der Flucht, und mehr um meine eigne Schwachheit zu verhelen, als den Sieg davon zu tragen. Wenn ſie es durchaus wiſſen wollen, antworte ich ihm ganz leiſe ins Ohr: ſo will ich Ihnen wohl geſtehen, daß ich beſtaͤndig beyde Fluͤgel geſchlagen habe, um zu fliegen, aber nicht einen Dau- men breit von der Erde gekommen bin. Wir jagten alle nach der Luſt, und keiner erhaſchte ſie. Bey der Tafel ſchien einer den andern zu fragen, wo ſie bleibe. Man verſuchte den Ton der Freude; er wollte ſich aber nicht finden. Die Trin- ker ließen die Glaͤſer erklingen, waͤhrender Zeit ihr Geiſt lange Weile hatte, und beym Tanze waren nur die Verliebten recht munter; die uͤbrigen folgten dem Reihen, weil ſie einmal da waren; und wie es Zeit war aufzuhoͤren, giengen die mehr- ſten gern zu Bette. Kurz, es fehlte ich weis nicht was; und keiner ſchien diejenigen Beduͤrfniſſe zu fuͤhlen, welche zum wahren Genuß der Freude gehoͤren. Wer iſt zufriedner als mein Mann, wenn ich ſeinem klei- nen philoſophiſchen Stolze dieſes Opfer gebracht habe? Sollte er aber in der That recht haben, liebſte Freundinn? und ſollte die Eitelkeit und das Vergnuͤgen vergnuͤgt zu ſcheinen nicht mit zur Rechnung gebracht werden duͤrfen? Sollte die maͤch- tige Begierde zu glaͤnzen, zu verſchwenden und in aller Welt Augen als die gluͤcklichſte Perſon zu erſcheinen nicht auch ihre Rechte haben? Und hat mein Mann nicht unrecht, wenn er im Eſſen und Trinken weiter nichts als eine Befriedigung der erſten Beduͤrfniſſe ſucht, und ohne Durſt keine Luſt am Trin- ken findet? die Forderungen meines Magens ſind ſehr ge- ringe; aber dem ungeachtet, ſehe ich gern achzig Schuͤſſeln auf der Tafel. Was iſt die dunkle Gemuͤthsruhe und die ſo- genannte innerliche Zufriedenheit gegen die Befriedigung ei- ner angenehmen Leidenſchaft? Wer nichts wie jene ſucht, der kan

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/381>, abgerufen am 28.03.2024.