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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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nicht überlassen werden.

Bey so bewandten Umständen verdienen hauptsächlich die-
jenigen Abäußerungsursachen, welche der Augenschein dar-
legt, und die der Richter des Orts mit Zuziehung der Chur-
genossen, so fort außer Zweifel setzen kan, allemal die vor-
züglichste Aufmerksamkeit. Wahr ist es zwar, daß ein Ha-
gelschlag, ein Mißwachs, ein Viehsterben, ein so genann-
tes Unglück am Vieh, ein gerechter aber schwerer Proceß
und viele andre Umstände einen Leibeignen dergestalt zurück
bringen können, daß seine Gebäude und Zäune, den Gebäu-
den und Zäunen eines liederlichen Wirths völlig ähnlich sehn;
wahr ist es auch, daß dergleichen Strafen Gottes wohl einen
ehrlichen Mann in die Versuchung führen können, die Axt
an eine heilige Eiche zu legen, oder sein Büchenholz etwas
stärker anzugreifen, als ein anderer. Allein wenn doch der
Augenschein zuerst geredet, und den Leibeignen mit dem
Beweise jener Unglücksfälle, in so fern er etwas erhebt, be-
laden hat: so pflegt sich die Sache doch bald aufzuklären, in-
dem der Grund oder Ungrund jener Unglücksfälle mit einiger
Mühe leicht übersehen werden kan.

Das sicherste Mittel unter allen würde seyn, die etwahige Bes-
serung, welche ein Leibeigner in dem Hofe hat, meistbietend
zu verkaufen, und ihn und die Gläubiger mit dem daraus er-
haltenen Gelde abzufinden; alsdenn bedürfte es gar keiner
besondern Abäußerungsursachen, sondern man verführe mit
den Leibeignen wie mit den Freyen, wenn sie ihre Schulden
nicht bezahlen können. Diese Besserung könnte man durch
Churgenossen schätzen, und wenn der Gutsherr die Schätzung
bezahlte, demselben gegen deren Erlegung den Hof zur an-
derweiten Besetzung überlassen. Der Gutsherr behielte von
der Schätzung was er selbst zu fordern hätte, und besetzte so-
dann den Hof mit andern nach seinem Gefallen. Wollten

die
Mösers patr. Phantas. II. Th. L
nicht uͤberlaſſen werden.

Bey ſo bewandten Umſtaͤnden verdienen hauptſaͤchlich die-
jenigen Abaͤußerungsurſachen, welche der Augenſchein dar-
legt, und die der Richter des Orts mit Zuziehung der Chur-
genoſſen, ſo fort außer Zweifel ſetzen kan, allemal die vor-
zuͤglichſte Aufmerkſamkeit. Wahr iſt es zwar, daß ein Ha-
gelſchlag, ein Mißwachs, ein Viehſterben, ein ſo genann-
tes Ungluͤck am Vieh, ein gerechter aber ſchwerer Proceß
und viele andre Umſtaͤnde einen Leibeignen dergeſtalt zuruͤck
bringen koͤnnen, daß ſeine Gebaͤude und Zaͤune, den Gebaͤu-
den und Zaͤunen eines liederlichen Wirths voͤllig aͤhnlich ſehn;
wahr iſt es auch, daß dergleichen Strafen Gottes wohl einen
ehrlichen Mann in die Verſuchung fuͤhren koͤnnen, die Axt
an eine heilige Eiche zu legen, oder ſein Buͤchenholz etwas
ſtaͤrker anzugreifen, als ein anderer. Allein wenn doch der
Augenſchein zuerſt geredet, und den Leibeignen mit dem
Beweiſe jener Ungluͤcksfaͤlle, in ſo fern er etwas erhebt, be-
laden hat: ſo pflegt ſich die Sache doch bald aufzuklaͤren, in-
dem der Grund oder Ungrund jener Ungluͤcksfaͤlle mit einiger
Muͤhe leicht uͤberſehen werden kan.

Das ſicherſte Mittel unter allen wuͤrde ſeyn, die etwahige Beſ-
ſerung, welche ein Leibeigner in dem Hofe hat, meiſtbietend
zu verkaufen, und ihn und die Glaͤubiger mit dem daraus er-
haltenen Gelde abzufinden; alsdenn beduͤrfte es gar keiner
beſondern Abaͤußerungsurſachen, ſondern man verfuͤhre mit
den Leibeignen wie mit den Freyen, wenn ſie ihre Schulden
nicht bezahlen koͤnnen. Dieſe Beſſerung koͤnnte man durch
Churgenoſſen ſchaͤtzen, und wenn der Gutsherr die Schaͤtzung
bezahlte, demſelben gegen deren Erlegung den Hof zur an-
derweiten Beſetzung uͤberlaſſen. Der Gutsherr behielte von
der Schaͤtzung was er ſelbſt zu fordern haͤtte, und beſetzte ſo-
dann den Hof mit andern nach ſeinem Gefallen. Wollten

die
Möſers patr. Phantaſ. II. Th. L
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[161/0179] nicht uͤberlaſſen werden. Bey ſo bewandten Umſtaͤnden verdienen hauptſaͤchlich die- jenigen Abaͤußerungsurſachen, welche der Augenſchein dar- legt, und die der Richter des Orts mit Zuziehung der Chur- genoſſen, ſo fort außer Zweifel ſetzen kan, allemal die vor- zuͤglichſte Aufmerkſamkeit. Wahr iſt es zwar, daß ein Ha- gelſchlag, ein Mißwachs, ein Viehſterben, ein ſo genann- tes Ungluͤck am Vieh, ein gerechter aber ſchwerer Proceß und viele andre Umſtaͤnde einen Leibeignen dergeſtalt zuruͤck bringen koͤnnen, daß ſeine Gebaͤude und Zaͤune, den Gebaͤu- den und Zaͤunen eines liederlichen Wirths voͤllig aͤhnlich ſehn; wahr iſt es auch, daß dergleichen Strafen Gottes wohl einen ehrlichen Mann in die Verſuchung fuͤhren koͤnnen, die Axt an eine heilige Eiche zu legen, oder ſein Buͤchenholz etwas ſtaͤrker anzugreifen, als ein anderer. Allein wenn doch der Augenſchein zuerſt geredet, und den Leibeignen mit dem Beweiſe jener Ungluͤcksfaͤlle, in ſo fern er etwas erhebt, be- laden hat: ſo pflegt ſich die Sache doch bald aufzuklaͤren, in- dem der Grund oder Ungrund jener Ungluͤcksfaͤlle mit einiger Muͤhe leicht uͤberſehen werden kan. Das ſicherſte Mittel unter allen wuͤrde ſeyn, die etwahige Beſ- ſerung, welche ein Leibeigner in dem Hofe hat, meiſtbietend zu verkaufen, und ihn und die Glaͤubiger mit dem daraus er- haltenen Gelde abzufinden; alsdenn beduͤrfte es gar keiner beſondern Abaͤußerungsurſachen, ſondern man verfuͤhre mit den Leibeignen wie mit den Freyen, wenn ſie ihre Schulden nicht bezahlen koͤnnen. Dieſe Beſſerung koͤnnte man durch Churgenoſſen ſchaͤtzen, und wenn der Gutsherr die Schaͤtzung bezahlte, demſelben gegen deren Erlegung den Hof zur an- derweiten Beſetzung uͤberlaſſen. Der Gutsherr behielte von der Schaͤtzung was er ſelbſt zu fordern haͤtte, und beſetzte ſo- dann den Hof mit andern nach ſeinem Gefallen. Wollten die Möſers patr. Phantaſ. II. Th. L

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/179>, abgerufen am 19.04.2024.