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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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Von dem Einflusse der Bevölkerung
oder Gartendiebe, und noch weniger Räuber. Jeder der
einen eignen Hof und einen ehrlichen Namen besitzt, wagt
hiebey zu viel, und hat auch keine Versuchung zu stehlen,
weil er mit allem nothdürftig versorgt ist. Die Kinder ei-
ner solchen Nation sind mit keinen schlechten vermischt; sie
werden von hofgesessenen Vätern und Müttern durch Lehre
und Beyspiel zur Arbeit und Ordnung erzogen, und man
kan sagen, daß in einem solchen Lande Fleiß, Ordnung und
Tugend zu Hause sey, und daß die alten Deutschen, um
die Reinigkeit ihrer Sitten zu erhalten, und Freyheit und
Ordnung zu verknüpfen, gar kein besser Mittel wählen konn-
ten, als schlechterdings keine Heuerleute zu dulden, und
ihre kleinen Staatskörper aus lauter hofgesessenen Mitglie-
dern zu bilden. In einer solchen Verfassung bedarf es fast
gar keiner Gesetze und Strafen. Der kleine Staatskörper
gleicht einem würdigen Capittel, wovon jedes Mitgleid sich
selbst und seine Mitbrüder ehrt; worinn man keinen seiner
Pflicht bey Strafe des Zuchthauses erinnert; und wo der
unfehlbare Verlust der Präbende, oder die Verweisung aus
der Versammlung die größte und empfindlichste Strafe ist.
Unfehlbar hatten die nordischen Nationen den großen Ruhm
ihrer Tugenden gröstentheils diesen ihren Einrichtungen
zu danken; und es ist sehr wahrscheinlich, daß die großen
Auswanderungen derselben, nicht sowohl eine Folge ihrer grös-
sern Brvölketung, als jener Verfassung gewesen, nach wel-
cher sie bloß den Hofeserben, und für denselben eines Nach-
bars Tochter zu Hause behalten konnten, die übrigen aber alle
fünf oder zehn Jahr gleich den Bienen in fremde Länder
schwärmen lassen musten, weil sie keine Städte und keine
Nebenwohnungen duldeten, keine Werbungen kannten, und
keine Schiffart hatten, wodurch sie einen Theil der Brut
aufopfern konnten. Bloß ein Theil der Meeranwohner

schwärm-

Von dem Einfluſſe der Bevoͤlkerung
oder Gartendiebe, und noch weniger Raͤuber. Jeder der
einen eignen Hof und einen ehrlichen Namen beſitzt, wagt
hiebey zu viel, und hat auch keine Verſuchung zu ſtehlen,
weil er mit allem nothduͤrftig verſorgt iſt. Die Kinder ei-
ner ſolchen Nation ſind mit keinen ſchlechten vermiſcht; ſie
werden von hofgeſeſſenen Vaͤtern und Muͤttern durch Lehre
und Beyſpiel zur Arbeit und Ordnung erzogen, und man
kan ſagen, daß in einem ſolchen Lande Fleiß, Ordnung und
Tugend zu Hauſe ſey, und daß die alten Deutſchen, um
die Reinigkeit ihrer Sitten zu erhalten, und Freyheit und
Ordnung zu verknuͤpfen, gar kein beſſer Mittel waͤhlen konn-
ten, als ſchlechterdings keine Heuerleute zu dulden, und
ihre kleinen Staatskoͤrper aus lauter hofgeſeſſenen Mitglie-
dern zu bilden. In einer ſolchen Verfaſſung bedarf es faſt
gar keiner Geſetze und Strafen. Der kleine Staatskoͤrper
gleicht einem wuͤrdigen Capittel, wovon jedes Mitgleid ſich
ſelbſt und ſeine Mitbruͤder ehrt; worinn man keinen ſeiner
Pflicht bey Strafe des Zuchthauſes erinnert; und wo der
unfehlbare Verluſt der Praͤbende, oder die Verweiſung aus
der Verſammlung die groͤßte und empfindlichſte Strafe iſt.
Unfehlbar hatten die nordiſchen Nationen den großen Ruhm
ihrer Tugenden groͤſtentheils dieſen ihren Einrichtungen
zu danken; und es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß die großen
Auswanderungen derſelben, nicht ſowohl eine Folge ihrer groͤſ-
ſern Brvoͤlketung, als jener Verfaſſung geweſen, nach wel-
cher ſie bloß den Hofeserben, und fuͤr denſelben eines Nach-
bars Tochter zu Hauſe behalten konnten, die uͤbrigen aber alle
fuͤnf oder zehn Jahr gleich den Bienen in fremde Laͤnder
ſchwaͤrmen laſſen muſten, weil ſie keine Staͤdte und keine
Nebenwohnungen duldeten, keine Werbungen kannten, und
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aufopfern konnten. Bloß ein Theil der Meeranwohner

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[2/0020] Von dem Einfluſſe der Bevoͤlkerung oder Gartendiebe, und noch weniger Raͤuber. Jeder der einen eignen Hof und einen ehrlichen Namen beſitzt, wagt hiebey zu viel, und hat auch keine Verſuchung zu ſtehlen, weil er mit allem nothduͤrftig verſorgt iſt. Die Kinder ei- ner ſolchen Nation ſind mit keinen ſchlechten vermiſcht; ſie werden von hofgeſeſſenen Vaͤtern und Muͤttern durch Lehre und Beyſpiel zur Arbeit und Ordnung erzogen, und man kan ſagen, daß in einem ſolchen Lande Fleiß, Ordnung und Tugend zu Hauſe ſey, und daß die alten Deutſchen, um die Reinigkeit ihrer Sitten zu erhalten, und Freyheit und Ordnung zu verknuͤpfen, gar kein beſſer Mittel waͤhlen konn- ten, als ſchlechterdings keine Heuerleute zu dulden, und ihre kleinen Staatskoͤrper aus lauter hofgeſeſſenen Mitglie- dern zu bilden. In einer ſolchen Verfaſſung bedarf es faſt gar keiner Geſetze und Strafen. Der kleine Staatskoͤrper gleicht einem wuͤrdigen Capittel, wovon jedes Mitgleid ſich ſelbſt und ſeine Mitbruͤder ehrt; worinn man keinen ſeiner Pflicht bey Strafe des Zuchthauſes erinnert; und wo der unfehlbare Verluſt der Praͤbende, oder die Verweiſung aus der Verſammlung die groͤßte und empfindlichſte Strafe iſt. Unfehlbar hatten die nordiſchen Nationen den großen Ruhm ihrer Tugenden groͤſtentheils dieſen ihren Einrichtungen zu danken; und es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß die großen Auswanderungen derſelben, nicht ſowohl eine Folge ihrer groͤſ- ſern Brvoͤlketung, als jener Verfaſſung geweſen, nach wel- cher ſie bloß den Hofeserben, und fuͤr denſelben eines Nach- bars Tochter zu Hauſe behalten konnten, die uͤbrigen aber alle fuͤnf oder zehn Jahr gleich den Bienen in fremde Laͤnder ſchwaͤrmen laſſen muſten, weil ſie keine Staͤdte und keine Nebenwohnungen duldeten, keine Werbungen kannten, und keine Schiffart hatten, wodurch ſie einen Theil der Brut aufopfern konnten. Bloß ein Theil der Meeranwohner ſchwaͤrm-

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/20>, abgerufen am 19.04.2024.